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Ledger
© Concorde

Heath Ledger: Rückkehr aus dem Reich der Toten

Heath Ledgers letzter Film: Terry Gilliam plündert in "Das Kabinett des Dr. Parnassus" den "Faust"-Mythos.

Sein erster Auftritt ist gespenstisch. Der junge Mann baumelt an einem Strick über der Themse. Das Leben scheint seinen Körper, der in einem weißen Entertainer-Anzug steckt, bereits verlassen zu haben. Es blitzt und donnert, London und der Rest der Welt könnten in dieser Nacht untergehen. Doch zufällig rumpelt gerade eine Theatertruppe in einem Pferdefuhrwerk über die Brücke. Die Schauspieler schneiden den Sterbenden ab, sie retten ihn mit Mund-zu-Mund-Beatmung und verstauen ihn wie eine Marionette in einer Kiste. Fortan wird er mit dem Wandertheater über die Jahrmärkte ziehen.

Schockierend ist diese Szene aus Terry Gilliams neuem, am Donnerstag startenden Film „Das Kabinett des Dr. Parnassus“, weil der junge Mann, der da noch einmal vom Tod ins Leben zurückkehrt, von Heath Ledger gespielt wird. Der australische Schauspieler starb während einer Drehpause im Januar 2008 an einem Cocktail aus Schmerzmitteln, Schlaftabletten und Psychopharmaka. Regisseur Gilliam hat in Interviews berichtet, dass Ledger am Set ruhelos wirkte, nicht mehr schlafen konnte und sich immer neue Medikamente verschreiben ließ. Der Star, der für seinen diabolischen Joker im Batman-Film „The Dark Knight“ posthum einen Oscar erhielt, wurde nur 28 Jahre alt.

Das Leben und der Ruhm, so scheint es, haben Heath Ledger überfordert. So könnte man in der Szene mit dem Strick eine Metapher für die Gnadenlosigkeit des Unterhaltungsgewerbes sehen. The Show must go on, notfalls auch über Leichen hinweg. In Wirklichkeit war es aber nur ein makabrer Zufall, dass Ledger ausgerechnet während der Arbeit an einem Film starb, der über weite Strecken wie ein bonbonbunter Drogentrip wirkt und in dem die Grenzen zwischen Erde, Himmel und Hölle durchlässig werden.

Gilliam hatte sich nach Ledgers Tod dafür entschieden, „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ auch ohne ihn zu Ende zu drehen. Für die noch ausstehenden Sequenzen mit dessen Figur – sie trägt den Allerweltsnamen Tony – sprangen Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell ein. Tony hat zunächst sein Gedächtnis verloren, lange bleibt auch unklar, ob er sich umbringen wollte oder ermordet werden sollte. Dieser Luftikus und Leichtfuß hat, wie viele Helden bei dem Kino-Surrealisten Gilliam, die psychologische Tiefe eines Stückes Pappe. Alles an ihm ist Oberfläche, deshalb reichen Oberlippenbart, zurückgegelte Haare und der weiße Anzug aus, um ihn zu spielen. Die Aufsplittung der Hauptfigur in vier verschiedene schauspielerische Erscheinungsformen macht aus „Parnassus“ ein streckenweise vergnügliches Bilderrätsel. Dank der virtuosen Montage fällt es mitunter schwer zu unterscheiden, ob da gerade Depp oder Law durch die Traumwirklichkeit des Tingeltangel-Kabinetts tänzelt.

So ist „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ zwar ein höchst kunstfertiger, aber doch nicht großer Film geworden. Terry Gilliam, der seine Karriere als Trickfilmer in der Anarcho-Komiktruppe Monty Python begann, hat schon immer gerne Mythen und Märchen ausgeschlachtet. Er setzte den Lügenbaron „Münchhausen“ noch einmal auf seine Kanonenkugel und bediente sich für „Brothers Grimm“, mit Heath Ledger als Jakob Grimm, bei den Schauergeschichten der deutschen Romantik. Schlüssige Plots braucht man bei Gilliam nicht zu erwartet, dafür liefert er immer wieder erlesene Bilder-Tableaus.

Diesmal kreuzt er gewissermaßen den „Faust“-Stoff mit „Alice im Wunderland“. Dr. Parnassus, gespielt vom 80-jährigen Kino-Haudegen Christopher Plummer, hat in einem Spiel mit dem Teufel (Tom Waits) die Unsterblichkeit gewonnen. Er ist schon über tausend Jahre alt, deshalb macht ihn die Gegenwart des 21. Jahrhunderts melancholisch. Dummerweise hat er sich auf eine erneute Wette mit dem Pferdefüßigen eingelassen. Wenn es ihm bis zum kurz bevorstehenden 16. Geburtstag seiner Tochter (Lily Cole) nicht gelingt, fünf Menschen in sein Kabinett zu locken, gehört ihre Seele dem Teufel.

Parnassus lässt den alten Hippietraum Wirklichkeit werden, in der eigenen Vorstellungswelt verschwinden zu können. Durch einen Spiegel in seiner rumpeligen Schaubude betreten die Besucher ihre Fantasie. Hier ist alles sonnendurchflutet, aber überall lauern auch Abgründe. Mancher Reisende kehrt nicht zurück. Es ist ein Reich der ewigen Zauberwälder, Sommerwiesen und Bergeinsamkeiten, in dem sich „Dr. Parnassus“ verliert. Heath Ledger hätte einen besseren letzten Film verdient gehabt.

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