Jüdisches Filmfest: Michael Verhoeven: Es waren alle
Michael Verhoeven wurde beim Jüdischen Filmfest geehrt. Die Bereicherung der Deutschen am Eigentum ihrer jüdischen Nachbarn ist das Thema seines Films "Menschliches Versagen".
Listen, Listen, Listen. Vermögensaufstellungen. Versteigerungsergebnisse. Für die kleine Ursel Hanauer aus Köln schreibt Max Schönberg als Haushaltsvorstand den Besitz auf: Sommerkleidchen, Blüschen, Schürzen, Socken, Schulmappe, Brotbeutel. Fehlt nur Spielzeug.
Die Bereicherung der Deutschen am Eigentum ihrer jüdischen Nachbarn ist das Thema des Films „Menschliches Versagen“ von Michael Verhoeven, für den dieser zum Abschluss des Jüdischen Filmfests Berlin mit dem neu gestifteten Preis für den besten deutschen Dokumentarfilm 2008 ausgezeichnet wurde. Die 2000 Euro Preisgeld reichte Verhoeven an den Historiker Wolfgang Dreßen weiter. Dessen Ausstellung „Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn“ inspirierte Verhoeven zu seinem Film. Sie ist, bis Ende Juni, noch einmal im Ausstellungspavillon am Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu sehen. Auch Verhoevens Film läuft dort dreimal täglich.
Als Dreßen in den Archiven der Oberfinanzdirektion Köln nachfragte, kam die Antwort „Wir haben nichts“. Erst ein anonymer Anruf brachte ihn auf die Spur: Da war sehr viel. Meterweise Akten, die seit siebzig Jahren unter Verschluss lagen und minutiös Aufschluss darüber gaben, wer auf Auktionen die kostbaren oder auch nur alltäglichen Besitztümer deportierter Juden erstanden hatte. Das bittere Ergebnis: Es waren alle. Oder fast alle. Die kaufwilligen Deutschen zeigten sich so gierig, dass die Ämter per Zeitungsaufruf darauf hinweisen mussten, dass keine „Judenwohnungen“ mehr zu haben sein.
Keine ganz neue Erkenntis, spätestens seit Götz Alys (2005) Buch „Hitlers Volksstaat“. Und immer noch ein Tabuthema. Von seinen Studenten höre er, wenn er das Thema behandele, oft die Reaktion: „Aber meine Oma nicht“, erzählt Dreßen. Und der Schauspieler August Zirner, Sohn österreichischer Emigranten, malt sich aus, wie er in Wiener Wohnungen geht und fragt: Dürfte ich mal Ihr Porzellan sehen? Das Monogramm da, was heißt denn das? Und woher kommt diese Truhe? Der Nazi, das ist der andere, das sei die Einstellung, die den Umgang mit dem Massenraub so schwierig mache, erklärt Verhoeven. Im Gegenteil: Fast alle haben mitgemacht. Und den Erbschmuck der Großtante sollte man sich noch mal genauer ansehen.
Christina Tilmann
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