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Kino: "Wendy und Lucy": Mein Honda, mein Hund

„Wendy und Lucy“, das sind eine Frau und ihr Hund, die nach Alaska auswandern und die Schatten der Freiheit kennen lernen - ein berührendes Stück Kino in bedrückender Schönheit.

Eine junge Frau und ein Hund fahren quer durch die Staaten Richtung Alaska. Der Hund heißt Lucy, das Mädchen heißt Wendy. Ihr alter Honda hat keinen Namen. Das klingt nach Ungebundenheit, nach Freiheit. All die kleinen Orte mit ihren kleinen Leuten in ihren kleinen Häusern und ihre kleinen Sorgen einfach hinter sich lassen. Aber wann wird aus Ungebundenheit Ausgesetztsein?

Es ist keine Ferienreise, die Wendy da unternimmt. In Alaska gibt es eine Fischfabrik, die vielleicht noch Leute sucht. Wendy hat einen kleinen Kalender, in den trägt sie alles ein, die Fischfabriken, in denen sie schon gearbeitet hat, wie viel Dollar sie noch hat – mit einer Sorgfalt, als wäre dieses Notizbuch das Buch ihres Lebens. Ja, es weiß von ihrer Existenz, es enthält sie sogar. Viel mehr Mitwisser ihres Daseins gibt es nicht.

Eine Bewegung des Kopfes, ein Blick genügen

Michelle Williams ist das Mädchen auf der ständigen Durchreise durchs Leben. Zu ihren letzten Filmen zählen Wim Wenders’ „Land of Plenty“ und Ang Lees „Brokeback Mountain“. Für ihre Rolle bei Ang Lee wurde sie für den Oscar nominiert. Heath Ledger und sie wurden während der Dreharbeiten ein Paar, sie bekamen ein Kind und trennten sich wieder, noch bevor er starb, im Januar 2008 an einer Medikamentenvergiftung.

Sie ist nicht schön, ihre Züge sind gar ein wenig derb, ein Jungenmädchen, keins, nach dem die meisten Männer sich umschauen. Doch besitzt diese Schauspielerin eine wunderbar karge Intensität. Eine Bewegung des Kopfes, ein Blick genügen. Und selbst wenn sie die alltäglichsten Dinge sagt, ist das ein Ereignis. Vielleicht auch darum, weil keiner viel redet, wenn er allein mit seinem Hund quer durch die USA fährt.

Aber dem alten Wachmann muss sie dann doch etwas sagen, der eines Morgens durch ihr Autofenster schaut und ihr sehr bestimmt mitteilt, dass sie hier nicht parken kann. Und schlafen auch nicht. Allein der Tonfall ihrer Antwort verrät, dass sie nicht zum ersten Mal in die Gesichter von Wachmännern blickt. Und dann springt der Honda nicht an. Aber so schnell ist Wendy nicht aus der Ruhe zu bringen. Bald stehen zwei Näpfe vorm Auto, Frühstück im ersten Sonnenlicht für Lucy! Aber es fallen nur ein paar letzte Brocken aus der XXL-Tüte.

Hündisch gut ist auch Lucy als Lucy

Karge Szenen von bezwingender Intimität sind das. Regisseurin Kelly Reichardt hat den sicheren Blick für das Wesentliche im Beiläufigen. Ist „Wendy und Lucy“ ein sozialkritischer Film? Nein, diesem kleinen berührenden Stück Kino ist es sehr egal, ob wir etwas lernen. Aber sehen sollte man schon können. „Wendy und Lucy“ gehört zu jenen Filmen, deren bedrückende Schönheit aus Wahrheit und Lebenstiefe kommen.

Michelle Williams versteht sich auf Hunde als Filmpartner, schließlich bekam sie 1994 ihre erste größere Rolle in einem „Lassie“-Remake. Hündisch gut ist auch Lucy als Lucy. Hier folgt kein Streit auf das ausgefallene Frühstück, Frau und Hund gehen einträchtig Flaschen sammeln – für eine neue Tüte Hundefutter wird es reichen. Denkt Wendy. Bis sich beide der Flaschenrücknahme nähern – und alle Penner des Ortes sind schon da. Und haben viel mehr Flaschen als sie. Immerhin, die Penner reden mit ihr. Gehört sie schon zu ihnen? Stumm überlässt sie einem Rollstuhlfahrer ihr Leergut. So schnell schließen sich die Türen des Lebens, die eben noch weit offen zu stehen schienen.

Wer keine Arbeit hat, bekommt auch keine

Absolute Freiheit bedeutet, frei von allem zu sein. Von jeder Sicherheit, jedem Halt. Sie bedeutet, ausgeliefert zu sein. Und Unglück besitzt eine bedenkliche Anziehungskraft. Wo ein Unglück ist, kommt gleich das nächste hinterher. Wendy ist stark, sie versteht sich auf das Leben, das sie führt. Aber dieser Tag irgendwo in Idaho ist selbst für sie zu viel: Erst erwischt werden beim Ladendiebstahl, dann Polizeiwache, und als sie endlich zurückkommt zu den Fahrradständern vorm Supermarkt, wo Lucy angebunden war, ist der Platz leer.

Seltsam, dass gerade die Freiheit so eiserne Gesetze kennt: Wer keine Arbeit hat, bekommt auch keine. Wer eine Chance will, muss immer schon eine gehabt haben. Wer kein Zuhause hat, bekommt auch keins. An Wendys Zuhause, dem alten Honda, ist auch mehr kaputt, als anfangs gedacht. Es ist schon wahr: Manchmal kann ein Tag ein ganzes Leben ändern. Und es geht trotzdem weiter. Ist das eigentlich eine gute oder eine schlechte Nachricht?

- fsk am Oranienplatz und Hackesche Höfe (beide OmU)

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