Baz Luhrmann im Interview: Kein schöner Land
"Australia"-Regisseur Baz Luhrmann im Tagesspiegel-Interview über Shakespeare, Strindberg und Aborigine-Frauen.
Herr Luhrmann, in Ihrem neuen Film …
… ist das Ihre Zeitung? Wie lautet die Schlagzeile? Ah, ich seh schon, Wirtschaftskrise. Ich fürchte, wir bewegen uns auf dunkle Zeiten zu.
Als Beginn unseres Gesprächs tönt das aber nicht gerade fröhlich.
Solange man am Leben ist, gemeinsam mit Menschen, die man liebt, ist wahrscheinlich alles gut. Als Geschichtenerzähler hat man ja ein Gespür dafür, dass sich vieles wiederholt. Es könnte aber sein, dass die neue Justierung der Mechanismen unserer Gesellschaft diesmal den Entwicklungen nicht schnell genug folgen kann. An Unruhen wie in Athen werden wir uns wohl gewöhnen müssen.
Bedeutet das für einen Filmemacher, dass man jetzt andere Filme machen muss?
Wie meinen Sie das?
Filme, die sich mit der Realität auseinandersetzen statt mit „Moulin Rouge“?
Nein. Eskapismus ist in schweren Zeiten wohl das Wichtigste überhaupt.
Ihr neuer Film hat allerdings einen ernsten Hintergrund: Es geht darin auch um die „Stolen Generations“ – Aborigine-Kinder, die aus ihren Familien herausgerissen wurden.
Ein wenig besorgt war ich schon, ob das gelingen kann. Es ist sehr kompliziert, soziale Realität in eine Geschichte einzubetten, die unterhalten soll. Und nichts ist schwieriger, als einen Film wie diesen mühelos aussehen zu lassen. Ich habe ja am Theater angefangen, mit Strindberg und solchen Sachen. Nicht dass ich behaupten wollte, psychologische Dramen seien leichter zu inszenieren als Märchen, aber sie sind schon deshalb weniger kompliziert, weil sie aus Beobachtung hervorgehen. Es ist Stanislawski gegen die Oper! Meine Filme funktionieren so: Die intellektuelle Reaktion kommt durch das emotionale Einfallstor. Shakespeare hat das auch so gemacht.
Haben Sie deshalb den artifiziellen Stil Ihrer „red curtain“-Filme abgelegt?
Ich frage mich immer: Was brauche ich jetzt in meinem Leben? Erst dann suche ich nach einer künstlerischen Aufgabe, die sich damit verbinden lässt. Ich möchte Dinge tun, die mir ein erfülltes Dasein ermöglichen und zugleich dem Publikum nützen.
Und wie finden Sie diese Dinge?
Die Wahrheit ist: Ich weiß nicht, was ich will. Deshalb gehe ich „walkabout“, um das herauszufinden. Zuletzt war ich zu Fuß in Australien unterwegs. Dann ging es nach China. Von dort nahm ich die transsibirische Eisenbahn.
Alleine?
Ja. Meine Familie und meinen Namen ließ ich in Paris zurück. Wissen Sie, wenn man tut, was ich tue, wenn 600 Leute für einen arbeiten und man in jedem Restaurant der Welt einen Platz bekommt, dann kostet es Kraft, mit der Welt in Kontakt zu bleiben. Deshalb ist es gut, wenn ich ab und zu selbst eine Fahrkarte lösen muss.
Wissen Sie noch, wie das geht?
Ich bin völlig ratlos. Jedes Mal, wenn ich „walkabout“ gehe, hat sich das System komplett geändert.
Das muss ja schlimm sein …
Es ist beunruhigend! In meinem Abteil in der Transsibirischen war die Klimaanlage defekt. Meine Schaffnerin war eine richtige Babuschka und sagte zu allem, was ich wollte, nur „Njet, Njet!“. Nachts lag ich in meinem Bett, die Luft blies mir ins Gesicht, ich war den Tränen nahe und dachte: Ich kann das nicht! Es ist schrecklich hier! Ich will nach Hause! Nach drei Tagen waren Babuschka und ich Freunde geworden. Sie reparierte die Lüftung und zeigte mir auch, wie man diesen seltsamen Schlauch fürs Duschen benutzt.
Erholung klingt anders.
Wichtig ist, dass ich alleine bin mit mir und meinen Gedanken. Diesmal hatte ich auch Hörbücher dabei. Ich stöpselte meine Reiselautsprecher in den iPod, machte das Licht aus und ließ mir einen Wein bringen. Wenn ich aus dem fahrenden Zug schaue und dem Erzähler zuhöre, wirkt das enorm auf mich.
Wie die meisten Ihrer Filme ist „Australia“ auch ein Film übers Geschichtenerzählen. Wie sehr waren die Aborigines am Erzählen ihrer eigenen Geschichte beteiligt?
Der Film ist gemeinsam entstanden. Alles andere wäre für mich nicht infrage gekommen. Ich wollte auf ihrem Land drehen, also bat ich zuerst um Erlaubnis.
Wie macht man das konkret?
Wir gingen gemeinsam „walkabout“, machten Jagd auf Kängurus und aßen „bush tucker“. Ich saß mit den Frauen am Feuer, und sie fragten: Wirst du der Welt zeigen, wie schön unser Land ist? Ich versprach es ihnen. Sie sagten: Dann komm und mach diese Geschichte mit uns. Den älteren Frauen erklärte ich, dass ich Geschichten erzähle mit Bildern, die sich bewegen. Die Jüngeren wussten, was ein Film ist. Eine hatte sogar eine Videokamera und drehte selbst einen Film über die gemeinsame Zeit. Der Junge, der den Waisenmischling Nullah spielt, hatte zwar keine Ahnung, wer Nicole Kidman ist. Die „X-Men“ kannte er aber sehr gut.
Haben die Aborigines den Film gesehen?
Wir sind übers Land gefahren und haben „Australia“ vorgeführt, auch in den entlegenen Winkeln. Heute früh erst erreichte mich eine Nachricht von den Gajerrong People und der Eora Nation. Sie sind sehr zufrieden mit dem Film. Sie haben allerdings einen anderen Titel für „Australia“. Für sie ist es „der Film mit dem Drover“.
Das Gespräch führte Sebastian Handke.
BAZ LUHRMANN (46) ist der Bilder-Magier Australiens. Seine Filme „Strictly Ballroom“ (1991), „Romeo und Julia“ (1996) und „Moulin Rouge“ (2001) sind Opern des Kinos.
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