Tarantinos „Death Proof“: Highway, Hölle, heiße Hexen
Meisterwerk oder Murks? Quentin Tarantino kehrt mit „Death Proof“ ins Action-Kino der Siebziger zurück.
Pro von Julian Hanich
Die einzige Enttäuschung dieses grandiosen Vergnügens wird weitgehend unbemerkt bleiben. Als Quentin Tarantinos neuer Film im April in die US-Kinos kam, war er nicht solo: „Death Proof“ war der zweite Teil des Double Features „Grindhouse“, einer Hommage an alte B-Movie-Kinos mit ihren Nonstop-Schundprogrammen. Der erste Teil, die wüste Zombie-SplatterSchlacht „Planet Terror“, stammte von Robert Rodriguez. Eli Roth, Edgar Wright und Rob Zombie hatten irrwitzige Trailer für Trash-Filme beigesteuert, die es gar nicht gibt („Werewolf Women of the SS“). Die Tonspur knisterte. Kratzer durchzogen das Bild. Manchmal sprangen die Szenenanschlüsse – wunderbar radikale Anverwandlung einer untergegangenen Kinoform.
Doch die Resonanz in den USA war mau, und nun gehen die beiden Filme international getrennte Wege. Das Werk des Kino-Nostalgikers Tarantino wurde umgeschnitten und 19 Minuten länger – und um den Ballast des durchhängenden Rodriguez-Spektakels leichter. Sein eigenes Schund-Ding zieht Tarantino nun umso überzeugender durch. Selbst wenn er die Heiße-Frauen-am-Steuer-Filme der siebziger Jahre gewaltig auffrisiert, ist „Death Proof“ vor allem ein Vergnügen für Fans des Musiksamplings, des Fußfetischismus, der ästhetisierten Gewalt, der „Nigga-this-Nigga-that“-Coolness, der Filmzitate und geschliffenen Dialoge voller Popkulturverweise. Anders als sein überambitioniertes, überbordendes, überpoliertes Zitatenkästchen „Kill Bill“ bleibt sein postmodernes Oberflächenkino diesmal schön klein und schmutzig. Tarantinos „Death Proof“ feiert virtuos das Virtuosentum des Tarantino-Kinos – und sonst gar nichts.
Die Handlung? Der PS-vernarrte Stuntman Mike (Kurt Russell), ein düsterer Autonomer der Straße, schleicht sich wie eine Klapperschlange an Gruppen weiblicher Opfer heran. In Bars umkreist er langbeinige Chicas und Babes, becirct sie mit seiner Raspelstimme und beißt dann zu. Wenn sie mit ihren Autos auf die Landstraße einbiegen, bringt er seinen schwarzen Dodge auf Hochtouren. Und schon ist auf dem Highway die Hölle los. In einem perversen Akt der Auto-Erotik werden die Frauen von seinem stahlhartem Geschoss zur Strecke gebracht: live fast, die hard.
Den ersten orgiastischen Zusammenprall hält Tarantino mit mehreren Kameras fest und feiert sie wie einst Antonioni das explosive Finale von „Zabriskie Point“. Im Englischen bezeichnet der Ausdruck „hot rod“ eine getunte Karosse und einen erigierten Schwanz – logisch, dass der Exploitation-Filmer Tarantino sich diese sexuelle Doppeldeutigkeit nicht entgehen lässt. Wenn Mikes Auto jenes seiner Opfer mit Stößen ins Heck penetriert, ist das eine symbolische Vergewaltigungsszene von markerschütternder Wucht. Doch „Kill Bill“ lehrt, dass Tarantino die frisch geweckte Lust auf weibliche Rache irgendwann befriedigt. Im Kern ist auch „Death Proof“ eine Rape-Revenge-Geschichte: „Girls just wanna have fun!“
Die Action in diesem Film gehört zum Besten, was man seit langem im Kino gesehen hat. Wer diese race-and-chase-Szenen als Jahrmarktsattraktionen abtut, hat nicht verstanden, dass gerade hier das Kino ganz bei sich selbst ist. Schon Filmpioniere wie Edwin S. Porter und James Williamson kosteten die Rauschwirkung filmischer Geschwindigkeitsmomente aus. Und der große Filmtheoretiker Béla Balász entwickelte daraus gar Gedanken zur Philosophie der Zeit: „In den Szenen der Verfolgung kann der Film die Minuten der Angst und der Hoffnung durch das ‚bald, bald!' und ‚noch immer nicht' in sichtbare dramatische Sekunden teilen, ausdehnen, und so das Schicksal nicht nur in seiner Wirkung zeigen, sondern es selbst in seinem lautlosen Fluge durch die Zeit.“
Quentin Tarantino mag ein Erzironiker sein, aber seine Actionszenen zelebriert er mit Ingrimm – atemberaubend in Bewegung und Gewalt und voller Verachtung für die Lehnstuhl-Action der Computer-Animateure und Pixel-Illusionisten. Sein Retro-Kino will zurück zum Wahren und Echten der alten Stuntman-Schule. Zu Filmen wie „Vanishing Point“ (1971), „Dirty Mary Crazy Larry“ (1974) oder „Gone in 60 Seconds“ (1974) – nicht diesem „Angelina-Jolie-Bullshit“, wie es einmal heißt. Schaut her, ruft Tarantino, hier zerreißt es richtiges Metall, hier bersten echte Windschutzscheiben, hier riskieren lebendige Menschen Kopf und Kragen.
Die Rechnung geht auf: Tarantinos analoges Kino packt und schüttelt den Zuschauer in einem Maß, wie es die digitalen Binärcodes der CGI-Filme nie und nimmer schaffen. Wenn die Stuntfrauen Gas geben, schaltet der Zuschauer auf Neuronendauerfeuer und pumpt Adrenalinfontänen. Seit „Speed“ war Tempo und Beschleunigung im Kino nicht mehr so leibhaftig spürbar. Am Ende ist es, als waberte der Geruch von Benzin, heißem Asphalt und verschmortem Gummi durch den Kinosaal. Und der Schweiß des ausgepumpten Publikums.
Contra von Jan Schulz-Ojala
Der Hollywoodfilm hat sich in der laufenden Saison konsequent auf eine Frühform des Kinos zurückgezogen: die Jahrmarktsattraktion. Zeitgemäßer gesagt: den „boah ey“-Effekt. Wer derzeit das in den Multiplexen donnerstäglich neu hingezimmerte deutschamerikanische Kinovolksfest besucht, findet dort, stets traut vereint, die Achterbahnfilme („Die Hard 4.0.“), die Geisterbahnfilme („Hostel 2“) und die Lachsackfilme („Fluch der Karibik 3“). Wo „Ocean’s“ draufsteht, ist auch „Ocean’s“ drin, und nebenan lockt die Konkurrenz von Disney- und Pixarland in ihre immer bunteren Buden aus digitalen Versatzteilen. Leicht benommen, mehr bauchwärts als im minderbeschäftigten Hirne, entsteigt man den Fahrgeschäften der Illusion, und ordentlich Geld fürs Ticket sowie Hunger und Durst unterwegs hat man auch wieder ausgegeben.
Gegen derlei funktionierende Belustigungsindustrie ist, zumal in einem lange verregneten Sommer, wenig zu sagen – und wenn nun Quentin Tarantino mit „Death Proof“ zeitweise Quartier nimmt auf den Sandplätzen der Vergnügungssucht, dann fordert das auch ohne „Hereinspaziert!“-Schlepper mindestens die übliche Aufmerksamkeit. Zumal Tarantino den Three-in-one-Cocktail verspricht: „Death Proof“ ist, in seinen prägnanteren Szenen, mal Achterbahnfilm und mal Geisterbahnfilm und mal beides zusammen – und auch Lachsackfilm der verschärften Hoho-Kategorie, wie Pressevorführungen bereits erschöpfend unter Beweis stellen. Vor allem aber ist er, und das sollte bei der anhebenden Rezeption nicht übergangen werden, über weiteste Strecken ein Stück Dialogkino, das die Gesamtsilbenzahl einer besonders gesprächsseligen französischen Jahresfilmproduktion locker hinter sich lässt.
„Du quasselst, du quasselst, das ist alles, was du kannst“, sagt Papagei Laverdure in Raymond Queneaus „Zazie in der Metro“ – und tatsächlich sind die Frauenquartette, die Tarantino in zwei dramaturgisch streng parallel gebauten Episoden gegen einen durchgeknallten Serienkiller in Stellung bringt, Quasselstrippen ohne Ende. Auch wenn sich die mediale Aufmerksamkeit bereits überwiegend auf die Pirelli-Kalender-Schlüsselreize scharfer Miezen und schneller Autos konzentriert: Durch endlose Gespräche von unerhörter Belanglosigkeit – in Autos, in Bars, in Diners – muss sich durchkämpfen, wer in den sogenannten Genuss zweier Gewaltexplosionen kommen will. Dabei reden die chicks, als sei’s die zäh verrinnende Realzeit einer dem Nullpunkt entgegenstrebenden Inspiration, über Drogen, über Männer, über die italienische Vogue; erst dann geht es zum Schlachtefest, erst mit dem einen, dann mit entgegengesetztem Ausgang.
Spätestens jetzt wäre die Tarantino-Geniekult-Maschine anzuwerfen: alles Absicht! Alles ironischer Trick zweiten, dritten, vierten Grades, auch die heraufbeschworene Zuschauer-Langeweile! Und hatten nicht auch die sturzkomisch und stinkblutig durch ihre Episoden stolpernden „Pulp Fiction“-Gangster über alles und noch viel mehr gequatscht, was das Zeug hielt, von den Fritten bis zur Fußmassage? Aber ja: Nur war dieses Banalo-Blubbern in den furios verschachtelten Pulp-Sub-Stories der Humus jederzeit ausbrechender, auch irrwitzig misslingender Gewalt – und lesbar als die schrill simultane Alltagspartitur einer total dekonstruierten Gesellschaft. Und, auch das ruft „Death Proof“ schmerzhaft in Erinnerung: „Pulp Fiction“, das cineastische Manifest einer alles unter ihre Grinsebreitreifen nehmenden Spaßgesellschaft, ist 13 Jahre her.
Mit Mitte Vierzig dagegen wirkt Tarantino, von seinen Jurypräsidenten-Auftritten in Cannes bis zu aktuellen Interviews, wie ein schwerer Fall von Regisseurs-Doping; wie ein Hysteriker, der sich in seiner Black Box aus Trashfilmen und mit einer Überdosis von (Selbst-)Zitaten gegen die Welt abschottet. Und inzwischen, den Start mit „Reservoir Dogs“ 1991 hinzugezählt, wie das fast tragische Anderthalb-Hit-Wonder des amerikanischen Kinos: Allein seine immer wieder extrem überdrehte Performance – in „Death Proof“ liefert er einen hochtourigen Auftritt als Barmann – hält die Hoffnung auf das noch größere Werk, auf den sich endlich entpuppenden Dauergroßmeister am Leben.
Tatsächlich geht es mit Quentin Tarantino, das Publikum wie Kritiker mitunter erfassende Verklärungsbedürfnis einmal abgezogen, stetig bergab: In seiner Episode von „Four Rooms“ (1995) musste er sich Regie-Kumpel Robert Rodriguez um Längen geschlagen geben, „Jackie Brown“ (1997) war der misslungene und weithin vergessene Ausflug ins weniger hektische Erzählen, und sechs Jahre später kam das „Kill Bill“-Doppel: der nur mehr manisch zu nennende Versuch, alle Action-Genres dieses Planeten in einer simplen Rachestory zu vereinen. Das meistbietend versorgte Publikum honorierte die Mühe, künstlerisch bedeutete der Film rasenden Stillstand.
„Death Proof“ nun ist insofern konsequent, als der Ex-Videothekar Tarantino, der sich autodidaktisch am Genre-Trash der siebziger Jahre übte, zu seinen Anfängen zurückkehrt: very very special interest und in Sachen Action, Story, Schauspieler(innen) so unerheblich, dass sich eigentlich der Direktstart im abschöpfend sortierten Videothekenfachhandel anbieten würde. Aber wo Tarantino drin ist, steht auch Tarantino drauf, und so dreht „Death Proof“ denn doch seine Ehrenrunde auf der großen Leinwand. In diesem bereits weitgehend verkorksten Kinojahr stört das nicht weiter.
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