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© Prokino

Neuer deutscher Film: Gegen die Glaswand

Erwachsen werden: Maren Ade hat mit ihrem Beziehungsfilm "Alle Anderen" auf der Berlinale triumphiert. Nun kommt ihr Liebesfilm ins Kino. Und Birgit Minichmayr brilliert als verzweifelt Liebende.

Erwachsen werden, darum geht es bei Maren Ade immer. Um die Einsamkeit, die der erste Job in der fremden Stadt mit sich bringt. Oder um die noch viel größere Einsamkeit, wenn sich die Liebe als Täuschung erweist. Was, wenn sich der Idealismus als nicht tragfähig entpuppt? Für die junge Lehrerin in Ades Debüt „Der Wald vor lauter Bäumen“ war das der Punkt, aus dem Leben auszusteigen. Der junge Architekt Chris in „Alle Anderen“ steigt gar nicht erst ein.

Leben, das würde ja Kompromisse bedeuten. Was hat sich dieser Architekt eigentlich vorgestellt, der doch irgendwann mit Auftraggebern wird verhandeln müssen, und mit deren Vorstellungen umgehen? Eine stylish geschwungene Bar in den holzverkleideten Ferienbungalow – geht das, wenn man selbst doch von komplexen, klugen Entwürfen träumt, die nur leider nie bei Wettbewerben gewinnen? Die Glaswand, gegen die Chris läuft und an der er sich eine blutige Nase holt – sie trennt ihn von der Welt.

Es ist das Dilemma einer Generation, die mit Mitte dreißig immer noch nicht angekommen ist im Leben. Da wird das Haar am Hinterkopf schon schütter, aber der Kopf steckt immer noch in den Wolken. Bezeichnend, dass Chris irgendwann wie verbissen durch die Berge läuft, auf der Suche nach dem richtigen Ort, dem richtigen Weg. Genauso läuft er auch durchs Leben. Und da hilft es dann gar nicht, wenn auch noch die Freundin hinterhertrottet, die die nette, aber völlig unpassende Idee hatte, oben im Gebirge ein romantisches Picknick zu veranstalten und nun jammernd den viel zu schweren Rucksack trägt. Der eine trage des anderen Last? Die zwei hier ziehen längst nicht mehr an einem Strang.

Doch nicht die Verbiegungen, die der Alltagsjob irgendwann fordert, auch von dem größten Träumer, oder die Einsicht in die eigene Erfolglosigkeit sind das zentrale Thema von Maren Ades auf der Berlinale gefeiertem Zweitling „Alle Anderen“. Sondern, sehr viel schmerzhafter, es sind die Verbiegungen und Kompromisse, die die Liebe von einem fordern kann – und die unendlich traurige Einsicht, dass die Alternative dazu nur das Eingeständnis wäre, dass da statt dauerhafter Liebe doch nur eine kurze, banale Beziehung war. Stell dir vor: du meinst, zum Liebesbeweis sterben zu können – doch leider sieht niemand hin, wenn du den Sprung aus dem Fenster wagst.

Dabei hatte er so spielerisch begonnen, dieser Sommerurlaub auf Sardinien. Sie bringt der kleinen Nichte am Pool bei, wie man so richtig schön fies sein kann, wie man mit aller Kraft sagen kann „Ich hasse dich“, und er schnitzt aus Ingwerknollen Phallussymbole und nennt sie Schnappi. Ein unkonventionelles Paar: Gitti, PR-Frau bei Universal Music, hat von Birgit Minichmayr einen wunderbar nölenden Akzent mitbekommen, trägt knappe Hotpants und dick Kajal und ist ihrem stattlichen, aber auch etwas behäbigen Architektenfreund von vornherein himmelhoch überlegen. Für diese rothaarige, stachelig-spröde Gitti mit all ihrer Schnoddrigkeit hat Minichmayr auf der Berlinale völlig zu Recht den Silbernen Bären für die beste Hauptdarstellerin bekommen.

Doch bald beginnt das böse Spiel: Wie viel Anpassung muss sein, im Leben und in der Liebe? Man trifft ein anderes Pärchen, er ist erfolgreicher Architekt, sie erfolgreiche Designerin und stolz schwanger, und schon beginnt der Entfremdungsprozess. Ade hat das im Drehbuch fast mathematisch exakt gebaut, in vielfachen Spiegelszenen. Zwei Paare, zwei Häuser, zwei Poolszenen, zwei Musikstücke, zwei Abendeinladungen. Da sitzen Chris und Gitti dann den anderen beiden gegenüber, und irgendwann verteidigt Gitti Chris, und Chris wechselt die Seiten und findet sie peinlich. Wie es überhaupt plötzlich ausgemacht scheint, dass es die Männer sind, die zusammen trinken, und die Frauen plaudern in der Küche. Und auch wenn Gitti sich wehrt und zum Messer greift und keinesfalls sein will wie „alle anderen“, ist der Keim der Verunsicherung gesät.

Ach, Gitti. Hast du nicht gemerkt, dass es gerade deine wilde Energie, dein unbotmäßiger Stolz ist, der dich besonders macht? Dass es dir nichts hilft, wenn du nette Kleidchen trägst und dich dann halt in Gottes Namen auch in die Küche stellst, um das Abendessen zu kochen? Dass du in dem Maße, in dem du dich verändern willst, weil du ahnst, dass Chris konventioneller ist, dass du dich da selbst verlierst, und das ist viel schlimmer, als eine Liebe zu verlieren?

Ganz klar wird das, als Grönemeyers „Ich hab dich lieb“ erklingt. Ein außergewöhnlich kluger, karger Musikeinsatz zeichnet den Film aus: Zwei Mal nur stehen Songs im Zentrum, in jenen zwei Kernszenen des Films, die im absurd zugekitschten Sehnsuchtszimmer der Mutter spielen, unterm Glasvögelbaum, zwischen Nippesvitrinen. Julio Iglesias’ „To all the girls I’ve loved before“ hatte Chris zu einem Balztanz animiert, in dem er über sich hinauswächst, ein Locken und Werben und selbstironisches Rollenspielen, das die Hoffnung weckt, er könne doch ein anderer sein als dieser bräsig-selbstmitleidige Typ. Beim zweiten Lied, nur Tage später, dreht der smarte Architekten-Freund plötzlich den Saft ab, und man ist fast erleichtert, weil es zu unerträglich war zuvor: diese gesenkten Blicke und versiegelten Lippen und das Wissen, dass das große Sehnsuchtsversprechen des Liedes nur noch auf taube Ohren stößt.

Die Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit, ist das das Ergebnis? Dass Gitti am Ende aussteigt, aus der Beziehung, aus dem Film, fast aus dem Leben, in einer ähnlich gewagten Volte, wie sie schon die Lehrerin Melanie Pröschle in „Der Wald vor lauter Bäumen“ wählte, und dass Chris sie dann doch noch mal zurückholt – kaum zu glauben. Zu desillusioniert hat die selbst noch junge Regisseurin Maren Ade ihrer Generation das Armutszeugnis ausgestellt. Man wartet jetzt auf ihren ersten erwachsenen Film.

Delphi, fsk, Hackesche Höfe, International, Kino in der Kulturbrauerei, Yorck

Christina Tilmann

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