Berlinale: Ein Skandalfilm und die Folgen
60 Jahre Berlinale: Er ist einer der folgenreichsten Filme in der Geschichte der Berlinale: Michael Verhoevens Vietnamkriegsparabel „o. k.“, über den sich die Jury 1970 so heillos zerstritt, dass sie sich auflöste – und das Festival schließlich abgebrochen werden musste. Der Film wird nicht gezeigt.
Er ist einer der folgenreichsten Filme in der Geschichte der Berlinale: Michael Verhoevens Vietnamkriegsparabel „o. k.“, über den sich die Jury 1970 so heillos zerstritt, dass sie sich auflöste – und das Festival schließlich abgebrochen werden musste. Das gab es vorher und nachher nie wieder. Der aus den Wirren resultierende segensreiche Neuanfang, den die Berlinale im Jahr nach ihrer schwersten Krise mit der Etablierung des Internationalen Forums des Jungen Films machte, prägt ihre Strukturen bis heute.
Man hätte schon gerne (wieder-)gesehen, wie und warum das Nachstellen einer Vergewaltigungs- und Mordszenerie unter US-Soldaten im Verfremdungsstil eines bayerischen Passionsspiels, mit der 16-jährigen Eva Matthes in ihrer ersten Rolle, die Gemüter damals derart erhitzte. Es kam zu Protesten im Saal, ein Jurymitglied, der Produzent Manfred Durniok, verließ vorzeitig das Kino, einige Juroren plädieren wegen angeblichem Antiamerikanismus für Ausschluss aus dem Wettbewerb, was das Festival zunächst bestreitet. In Resolutionen und auf tumultuösen Pressekonferenzen bezichtigt man einander der Zensur und der Lüge, ein Enthüllungstelegramm wird verlesen, Regisseure wie Fassbinder ziehen aus Protest gegen den „o.k.“-Protest ihre Filme zurück – binnen weniger Tage liegt das Festival in Scherben.
In einer 38 Filme umfassenden Retrospektive, in der die Berlinale (11.–21. Februar) zu ihrer 60-Jahr-Feier ausdrücklich mit „The Deer Hunter“ oder „Im Reich der Sinne“ auch ihre historischen Aufreger versammelt, wäre ein prominenter Platz für „o. k.“ also mehr als okay gewesen. Allein, es hat nicht sollen sein. Der Grund: Der niederländische Produzent und Rechteinhaber Rob Houwer verweigerte sein Jawort kategorisch.
Ein Skandal? Eher ein PostskriptumSkandälchen nach 40 Jahren. Vor allem ist es jammerschade, dass die Aufführung des kontroversen Werks, in dem neben Eva Mattes auch Hartmut Becker, Rolf Zacher und Friedrich von Thun mitwirken, nun nicht zustande kommt. Es wäre eine schöne Gelegenheit gewesen, dass sich manche der damaligen Protagonisten hätten freundlicher wiederbegegnen können. Irgend etwas ist da im Bermudadreieck zwischen Houwer, Verhoeven und der Berlinale auf Grund gegangen. Vielleicht die kommunikative Vernunft?
Rainer Rother, der Leiter der Retrospektive, hält sich so vornehm wie fair zurück und spricht von einem Ärger des Produzenten, der „trotz vielfältiger Umstimmungsbemühungen“ nicht einmal durch Berlinale-Chef Dieter Kosslick zu beheben gewesen sei. Michael Verhoeven erinnert sich zwar gerne an eine Präsentation des Films gemeinsam mit Houwer anlässlich des Münchner Filmfests 2008 – auch im Berliner Arsenal-Kino lief „o. k.“, im Juni 2009 im Rahmen einer Reihe zum Neuen Deutschen Film. Verhoeven vermutet aber, Houwer passe es einfach nicht, dass bei „o. k.“ meist der Regisseur im Mittelpunkt des publizistischen Interesses stehe. Und ergänzt deutlicher, er halte die Weigerung des Produzenten, den Film zur diesjährigen Berlinale freizugeben, für „nicht ganz erwachsen“.
Rob Houwer selbst kommentiert den Schlamassel knapp: „Kein Kommentar“. Man geht aber sicher nicht fehl, wenn man das Selbstbewusstsein des engagierten Produzenten, der Filme von Johannes Schaaf, Roland Klick, Volker Schlöndorff und seines (mit Michael Verhoeven nicht verwandten) Landsmanns Paul Verhoeven herausgebracht hat, gerade im Zusammenhang mit „o. k.“ eher groß einschätzt. Doch ob die Feinmotorik bei der Anbahnung des Berlinale-Projekts nun mehr auf Sende- oder auf Empfangsseite empfindlich gestört war, ob Ironie hier oder Ingrimm dort den Ausschlag gegeben haben: Mit letzter Sicherheit dürfte dies, da alle Beteiligten sich bedeckt halten, nicht zu klären sein.
Was bleibt? Leider vor allem dies: Dass, wenn es so weitergeht, nichts bleibt von „o. k.“. Keine DVD-Edition, keine Fernsehausstrahlung, keine weiteren Kinotermine, auch über die Berlinale hinaus. Zum Schaden aller leidenschaftlich Beteiligten, zum Schaden aber vor allem des filminteressierten Publikums.