US-Hit "Juno": Ein bisschen Mutter
Teenie-Komödie, ja bitte: Jason Reitmans US-Kinohit "Juno“ erfindet ein verbrauchtes Genre neu.
Fachleute werden die Köpfe wiegen und sagen: So geht das ja nun gar nicht. Dass eine resolute 16-Jährige, nach dem ersten Sex gleich schwanger, per Anzeige ein adoptionswilliges Paar aussuchen und ihm so ziemlich im Alleingang das Kind versprechen kann; dass der Kindsvater, da mag er selber noch so ein Milchgesicht sein, bei alldem flott übergangen wird; und dass gleich nach der Geburt die selber frisch von ihrem Mann verlassene Adoptivmutter das Kindlein in den Arm nehmen und davontragen darf in ihr ramponiertes Puppenheim: no way, jedenfalls nicht in Deutschland.
Ist der amerikanische Film „Juno“, in dem genau dieses zur Zufriedenheit aller Beteiligter geschieht, also ein Märchen? Eines dieser Weichspül-Mainstreamwerke, die die Wirklichkeit für ihre Zwecke zurechtbiegen, hier selbst jene der vergleichsweise laxen US-Adoptionsregeln? Eines von denen auch, die mit ein paar familiären und sozialen Stereotypen jenes diffuse Kino-Wohlgefühl herbeiführen, das erst mit eimerweise Popcorn und Cola so unabweisbar einlullend funktioniert? So einfach geht die Rechnung nicht auf. Denn „Juno“ ist zwar so ein Traum. Und trotzdem wahr.
Der nach der brillanten (Anti-)Raucherlobby-Satire „Thank You for Smoking“ zweite Film des erst 30-jährigen Jason Reitman, rasant geschrieben von der erst 29-jährigen Diablo Cody und in der Hauptrolle umwerfend verkörpert von der 20-jährigen Ellen Page, reißt den Zuschauer vom Start weg in einen Strudel aus Frische, Schmerz, Glück, Albernheit, Weisheit, Ewigkeit und immer wieder neuem Augenblicksvergnügen. Nachdenken? Bitte später. Bedenken tragen? Allesfalls dienstlich. Sich mitfreuen? Aber klar doch. Über einen Film, der mit einem Witz von 7-Millionen-Dollar-Budget aml eben das Zwanzigfache in Amerika eingespielt hat (nur schlechtgelaunte Beobachter meinen, Reitman habe aus blankem Opportunismus alle gesellschaftlich gegensätzlichen Fraktionen bedient). Und über den Oscar natürlich für das extrem witzige und unangestrengt anrührende Drehbuch (wobei Hauptdarstellerin Ellen Page, die nun allenthalben mal mit der jungen Audrey Hepburn und mal mit der jungen Jodie Foster verglichen wird, ihn genauso verdient hätte).
Juno also. In Jeans, Kapuzenshirt und Holzfällerhemd stapft sie übers Schulgelände, eine Riesenplastikflasche mit O-Saft in der Hand, aus der sie lässig auch im Gehen trinkt. So geht das los. Anderswo joggen die Jüngelchens der Dancing Elk Highschool in ihren goldgelben Satin-Turnhöschen, Juno guckt da nur kühl rüber, Juno alias 100 Prozent Eigensinn. Eben war Jüngelchen Paulie (Michael Cera) selber noch Jungfrau, genau wie sie selber, aber dann hat sie ihn statt zur Zweitbesichtigung von „Blair Witch Project“, kleine Hexe Juno, zu sich selber verführt. Und zack. Schwanger. Drei Tests eindeutig positiv. Nur dass die beste Freundin Leah (Olivia Thirby) dann nichts Besseres als „Oh my God!“ in den Hörer zu seufzen imstande ist, wenn man ihr per Aufklapp-Hamburger-Phone die Nachricht überbringt: Tja, so trivial ist eben die Welt.
Dass diese Schwangerschaft keine eigentliche Horror-Nachricht ist mit allem Konflikte-Pipapo: erste Überraschung. Dass Juno „das Ding“ zwar austragen, aber keine Mama werden will, sondern das Baby cool gleich nach der Geburt weggeben: die zweite. Und dritte Überraschung: dass ihre Patchwork-Eltern – Papa Mac (erdig: J.K. Simmons) und Stiefmutter Bren (himmlisch: Allison Janney) – nach kurzer Verstörung mit der Situation warmherzig und hilfsbereit umgehen. Warum, darf man fragen, darf sowas nicht auch sein, ohne dass das rechte Amerika das gleich zum flammenden Bekenntnis gegen die Abtreibung hochjazzt?
All die scharfen Wendungen des Drehbuchs trägt Ellen Page mit links, als gehörten sie von nun an zum Zickzack des Lebens; erst wird man ausgehalten von Pa und Ersatzma, dann hält man eben selber was aus. Und Juno, die bald hochschwangere Spottfigur ihres Jahrgangs, ist stark. Ihrer Stärke etwa ist zu verdanken, dass das erwählte Adoptivelternpaar Vanessa (Jennifer Garner) und Mark (Jason Bateman) sich als durchaus nicht so familiensattelfest erweist wie versprochen – die Schlafstadt-Sauberfrau und ihr Werbejingle-Komponist, der lieber Rockmusiker geworden wäre. Und irgendwann ist Juno stark genug, sich auch zu Verletztlichem zu bekennen, als sie denn doch wieder vor dem rührend harmlosen Paulie steht.
Wahrscheinlich muss man 16 sein oder kongenial eine 16-Jährige spielen, um „I think I’m in love with you“ so zu sprechen: als tastende Selbsterkundigung, wie zum ersten Mal im Leben gesagt und sich selber kaum geglaubt, mit wunderbar winzigem Fragezeichen.
Viele Wege führen in diesen Film – wobei die zur Identifikation einladenden Figuren ihre mögliche Klischeehaftigkeit spätestens bei der ersten dramaturgischen Bewährungsprobe Lügen strafen. Immer, wenn der Highway Richtung Sentimentalität breit genug ausgebaggert scheint, biegen sie in Nebenpfade ab, auf die der Zuschauer ihnen umso bereitwilliger folgt. So ist „Juno“ alles andere als eine jener Teenie-Klamotten, in denen die gnadenlose Verfratzung der Nebencharaktere ruckzuck die jugendlichen Helden selber infiziert. Und als Coming-of-Age-Story wiederum funktioniert der Film insofern nur bedingt, als er nach allerlei Kreis- und Kreißbewegungen geradezu listig zu seinem Ausgangspunkt zurückzukehren scheint.
Einmal zurück auf Jugend bitte! Ein Traum, natürlich; zum Aufwachen schön.
Ab morgen in 16 Berliner Kinos; OV im Cinestar SonyCenter, OmU im Odeon
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