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© AFP

Gus Van Sant im Interview: Die Stunde der Außenseiter

Regisseur Gus Van Sant im Tagesspiegel-Interview über seinen Film über den schwulen Aktivisten Harvey Milk, über Obama und über den Oscar.

Als der schwule Aktivist Harvey Milk sich als erster Homosexueller in den Stadtrat von San Francisco wählen ließ, wusste er um die Gefahr, der er sich aussetzte. Am 27. November 1978 wurde er gemeinsam mit Bürgermeister George Moscone im Büro erschossen. Regisseur Gus Van Sant hat dem schwulen Bürgerrechtler mit „Milk“ ein filmisches Denkmal gesetzt, mit Sean Penn in der Hauptrolle. Der Film, der in der vergangenen Woche auch auf der Berlinale lief, ist für acht Oscars nominiert.

Mr. Van Sant, wann haben Sie das erste Mal von Harvey Milk gehört?

Bewusst habe ich erst von ihm gehört, als im Radio die Nachricht seiner Ermordung kam. Zu Lebzeiten habe ich ihn nie erlebt. Ich hatte zwar von der Castro-Gegend in San Francisco gehört, aber wusste nicht wirklich viel. Heute ist er ziemlich vergessen. Auch darum haben wir diesen Film gedreht.

Welche Bedeutung nimmt Harvey Milk als erster offen schwuler Stadtrat in der amerikanischen Geschichte ein?

Harvey Milk war in den siebziger Jahren aktiv und das war eine sehr bewegte Zeit in San Francisco. Die Leute fingen damals an, ihre Homosexualität öffentlich auf der Straße zu leben, was es bisher eigentlich nur in der New Yorker Christopher Street gab. Gleichzeitig gab es in dieser Zeit viele gesetzliche Veränderungen für Homosexuelle und Harvey Milk hat darauf starken Einfluss genommen.

Wie hat es Milk geschafft, so viele Wähler hinter sich zu bringen?

Seine Überzeugungen und seine Philosophie waren sehr klar. Er hatte einen guten Humor und brachte seine Zuhörer zum Lachen. Seine politische Energie strahlte weit über San Francisco hinaus. Außerdem hat er sich nicht nur um „schwule“ Themen gekümmert, aus der Einsicht heraus, dass er nicht nur von Schwulen gewählt werden wollte. Er hat auch gegen Hundekot gekämpft.

Harvey Milk kämpfte erfolgreich gegen „Proposition 6“, einem Volksentscheid, der schwule Lehrer aus den Schulen verbannen wollte. Nun ist in Kalifornien gerade „Proposition 8“, ein Volksentscheid gegen die schwule Ehe, verabschiedet worden. Glauben Sie, Ihr Film hätte an diesem Ergebnis etwas geändert?

Der Film hätte die Volksabstimmung sicherlich beeinflusst. Aber wir haben es einfach nicht geschafft, ihn so früh fertig zu bekommen, dass er wirklich in den Abstimmungsprozess hätte eingreifen können. Um eine politische Wirkung zu entfalten, hätte der Film ein Jahr früher herauskommen müssen.

Ist es heute noch schwer in Hollywood, einen Film zu diesem Thema durchzusetzen?

Es war nicht nur die schwule Thematik, die die Finanziers abschreckte, sondern auch der politische Inhalt. Man war sich nicht sicher, ob so ein Film genug Zuschauer anzieht.

Hat „Brokeback Mountain“ mit seinem Oscar-Erfolg nicht Vorarbeit geleistet?

Doch, wir haben mit dem gleichen Studio zusammengearbeitet, das auch „Brokeback Mountain“ produziert hat. Trotzdem war die Finanzierung nicht einfach. Und was die Oscars angeht: „Brokeback Mountain“ hatte schon vorher viele Preise gewonnen, ganz im Gegensatz zu „Milk“. Ich weiß nicht, ob das unsere Chancen erhöht oder schmälert. Aber eins weiß ich: Wenn wir gewinnen, gibt es eine riesige Party.

Sie haben einige Ihrer besten Filme wie „Elephant“ oder „Paranoid Park“ während der Bush-Ära gedreht. Eine gute Zeit für Filme?

Ich weiß nicht, ob es diese direkte Verbindung zwischen der Realität und den Filmen gibt, in dem Sinne, dass man in besseren Zeiten hoffnungsvollere Filme dreht. Aber man reagiert schon auf die Temperatur, die politisch gerade herrscht. Da gibt es in wirklich guten Zeiten manchmal den Wunsch, dem entgegenzuwirken, in schlechten Zeiten versucht man etwas Bleibendes zu schaffen. Restriktive Zeiten sind gut für gute Filme.

„Milk“ ist in Amerika zu einem Zeitpunkt in die Kinos gekommen, als mit Barack Obama gerade ein fundamentaler Wechsel in der Politik stattgefunden hat. Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen beiden?

Es gibt wirklich Ähnlichkeiten. Sie sind beide Außenseiter, aber sie haben lange im Betrieb gearbeitet. Außerdem sind sie im gleichen Alter an die Macht gekommen. Aber was sie wirklich verbindet, ist ihre Art, über Dinge nachzudenken. Beide gehen eher wissenschaftlich an Fragen heran. Obama hat eine unglaubliche Neugierde auf Dinge, die auch mich interessieren. Harvey war ganz ähnlich. Ich fühle mit beiden eine starke Verbindung.

Die Fragen stellten Martin Schwickert und Christina Tilmann.

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