Science-Fiction: Die bessere aller möglichen Welten
Willkommen auf dem Mond Pandora: "Avatar" entführt in ein komplett auf dem Rechner erfundenes Universum.
Wer James Camerons „Avatar“ gesehen hat, kehrt staunend, ja benommen von einer Reise zurück, die ihn auf einen unbekannten Kontinent geführt hat oder schnurstracks aus unserem Sonnensystem heraus. Wie davon erzählen?
Manche versuchen es mit Ähnlichkeiten zu anderen Filmen. Es ist wie „Pocahontas“ oder „Der mit dem Wolf tanzt“, sagen sie; eine Culture-Clash-Geschichte mit Squaw und Bleichgesicht und Krieg und Liebe, eine Geschichte über unser Schuldgefühl, sogenannte primitive Kulturen ausgerottet zu haben, denen wir uns insgeheim unterlegen fühlen. Oder sie sagen, es ist ein bisschen affig wie im „Planet der Affen“ oder in den „Alien“-Filmen, nur die Guten, das sind diesmal die anderen. Oder sie sagen: Irgendwie „Gorillas im Nebel“, da spielt Sigourney Weaver auch eine Forscherin, die ihr Leben ganz an den geliebten Gegenstand verliert. Aber das trifft es nicht.
Oder man klammert sich an die vielen Namen in „Avatar“, an den abendländischen und weltkompatiblen Urschlamm aus griechischer Mythologie und Bibel. „Hell’s Gate“, Höllentor, haben die Menschen ihre Forschungsstation und Militärbasis auf jenem mineralreichen, im nächstbesten Sonnensystem gelegenen Mond getauft, dessen Bodenschätze im Jahr 2154 mit einem Schlag unsere lähmende Energiekrise beseitigen könnten. Aber ist dieser Himmelskörper mit den „Hallelujah-Bergen“ nicht vielmehr ein Paradies? Andererseits: „Pandora“ heißt er, nach jener hellenischen Eva, deren Büchse das Übel über die Welt bringt – und hängt an seinem Horizont nicht wie abgesoffen der Planet Polyphem, unserem blauen Planeten nicht unähnlich und benannt nach dem schauerlichen einäugigen Riesen, der von Odysseus geblendet wird? Ist also die Erde die Hölle? Aber das trifft es nicht, nicht allein.
Oder man flüchtet sich ins versuchsweise Begreifen jener unfassbar fortgeschrittenen Technik, die „Avatar“ erst möglich machte; in die Schilderung des neuesten Motion-Capture-Verfahrens, bei dem Kameras, auf die Schauspielerköpfe geschnallt, Mimik und Augenbewegungen so genau aufzeichnen, dass sie dem am Computer generierten, Pandora besiedelnden Urvolk namens Navi so etwas wie Seele verleihen. Oder man stellt sich die unvorstellbare, für die digitale Herstellung dieses Films verwendete Datenmenge eines Petabyte vor, also: 1000 Terabyte – das Fünfhundertfache jenes Bilderzaubermaterials, das Cameron einst für die Illusion des Untergangs der Titanic brauchte. Oder man redet, weil Zahlen der Boden unter jeder Bodenlosigkeit sind, gleich vom Superlativ-Budget für „Avatar“: um die 400 Millionen Dollar, also doppelt so viel wie bei „Titanic“, der schon doppelt so teuer war wie Camerons „Terminator 2“ – alles in ihrer Zeit schon Cameron-Rekorde. Aber das trifft es noch viel weniger.
Man kann auch über die fast alltägliche Simulation berichten, mit der alles beginnt. Die Zuschauer starren, 3-D-bebrillt, auf das Fantasiefenster namens Leinwand, auf der Forscher in mit großen Glaswänden verbundenen Sälen auf transparente Monitore starren, die das dreidimensionale Universum von Pandora simulieren. Überall Scheiben, überall Durchlässigkeit in die nächste und übernächste und drittnächste fiktive Welt. Okay, Science-Fiction-Optik, man kennt das. Oder dass da mit Jake Sully (Sam Worthington) ein Ex-Marine als Avatar – also: als Hybrid aus menschlicher und humanoider DNA – in die Welt der Navi eintauchen soll, um sie im Guten zur Rodung ihrer Lebensgrundlage zu bewegen; und wenn sie nicht gehorchen, droht ihnen die Auslöschung durch gepanzerte Riesenflugzeuge, Kampfhubschrauber und Monsterroboter. Auch das kennt man, und es trifft es nicht: ein Sci-Fi-Plot, dramaturgisch so simpel wie technisch kompliziert.
Aber dann.
Jake schlüpft in die Haut seines Avatars und geht auf eine unerhörte Reise, von der ersten Sekunde an. Er stürzt als blauhäutiges, spindelschmales, riesenäugiges, langohriges, drei Meter großes Fastmenschenwesen in die Pandora- Welt aus Riesenbäumen und zarten Schwebequallen, aus hellroten, hyperempfindlichen Riesenkelchfarnen und sechsbeinigen Einhornpferden, aus Hammerhai-Nashörnern und wendigen Flugdrachen, die – die metasexuelle Verbindung aus Drachenfühlrohr und Zopfquaste vorausgesetzt – zu symbiotischen Gefährten der Navi werden. Natürlich wird Jake sofort angegriffen, natürlich wird er gerettet: von Neytiri (Bewegungsspenderin: Zoe Saldana), Häuptlingstochter des Omaticaya-Stamms und schönste und furchtloseste unter den humanoiden Amazonen. Natürlich gibt es erst Streit, dann die Initiation in die Navi-Riten. Und natürlich wird es Liebe.
Der lichtdurchflutete Mond Pandora ist, grandioses Bild für grandioses Bild, totale Simulation. Und doch erscheint er, vielleicht weil er sich wie ohne Filter – und verstärkt durch den überwiegend unaggressiv eingesetzten 3-D-Effekt – vor unseren Augen eröffnet, echter als der schusssicher verpanzerte menschliche Außenposten mit seinem Hightechlabor. Es ist, als taumelten die Zuschauer, jeglicher Atemprobleme und der Schwerkraft ledig, durch ein unendlich staunenswertes supermarines Universum. Die ersten Begegnungen mit Thanator oder Leonopterix: gefährlich. Die Drachenflüge dagegen: pures Glück. Der Krieg, den schließlich die Tiere gegen die menschengemachten Maschinen aufnehmen, weil die nahezu nackten, pfeil- und bogenbewehrten Navi geschlagen sind: faszinierend.
Man könnte James Cameron, dem Schöpfer dieser besseren aller möglichen Welten, vorwerfen, dass er es mit seiner Gottähnlichkeit etwas weit treibt. Tatsächlich predigt er seine Ökobotschaft sehr deutlich – und tendiert auch ästhetisch, etwa bei den Versammlungen der Navi rund um ihren „Baum der Seelen“, mitunter zum Eso-Schmonzes. Aber auch das trifft es nicht. Denn es sind die Navi, auf die die menschliche Exklusivität der Seele übergegangen scheint – zuallererst auf Neytiri, unter den intergalaktischen Figuren die erste würdige Nachfolgerin von „E.T.“. Wie anrührend auch das nicht bloß biblische Erkennen, das sich in der feierlichen Formel „I see you“ ausdrückt und das Jake bald vollends zum Verräter an der Menschensache macht. Der unbeugsame Colonel Quaritch (Stephen Lang) dagegen, der letzte Vertreter menschlichen Weltherrschaftswahns, wirkt in seiner mimischen Erstarrung wie der eigentliche Alien.
Trifft es das? Lässt sich die beseligte Stimmung, in der man aus der hinreißend erfundenen „Avatar“-Realität zurückkehrt, überhaupt erden? Oder das schöne Gefühl, dass wir Menschen vielleicht auch bloß Träume sind, die ihre Avatare in die Wirklichkeit entsenden – bevor es sich wieder sachte in der alltäglichen Simulation verliert?
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