Knef-Film "Hilde": Der Mut der frühen Jahre
Zog die Schauspielerin Hildegard Knef 1945 in den Krieg? Erstmals veröffentlichte Briefe bestätigen ihre Geschichte.
Dem Krieg ist sie bis zu ihrem Tod nicht mehr entkommen. Er hat sie zäh und stark gemacht, aber auch verletzlich und schutzbedürftig. „Ich habe immer nur gelernt zu überleben, nie zu leben“, hat Hildegard Knef gesagt. Der Satz wird in „Hilde“ zitiert, dem Knef-Film mit Heike Makatsch, der am Donnerstag ins Kino kommt. Er scheint die Zerrissenheit der Diva zu erklären, die Triumphe feierte und dennoch fürchtete, jederzeit den Boden unter ihren Füßen verlieren zu können. Das Kriegsende hat sie als private Apokalypse erlebt, sie will im April 1945 in Berlin, als Soldat verkleidet, gegen die Rote Armee gekämpft haben. In ihrer Autobiografie „Der geschenkte Gaul“, einem Bestseller mit bis heute verkaufter Auflage von über vier Millionen Exemplaren, schildert sie das Inferno in grellen Szenen. Der Wahrheitsgehalt des Buches wurde immer wieder angezweifelt. Doch jetzt sind Briefe von Knef aufgetaucht, die ihren „Bericht aus einem Leben“ – mit einigen Abstrichen – bestätigen.
Knef war bei Kriegsende 19 Jahre alt, sie hatte zum Gründungsjahrgang der Ufa-Schauspielschule in Potsdam-Babelsberg gehört, war bereits in einigen Filmen aufgetreten und von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels in einem Memorandum gelobt worden: „Die ist nett.“ Und sie war verliebt, in einen deutlich älteren, mächtigen Mann. Ewald von Demandowsky, 36, NSDAP-Mitglied, Produktionschef des Tobis-Filmstudios, Goebbels-Protegé und zeitweilig „Reichsfilmdramaturg“, hatte ihr bereits einen Heiratsantrag gemacht. Als Demandowsky, wie alle männlichen Einwohner Berlins im Alter zwischen 15 und 60 Jahren, zum „Volkssturm“ einberufen wurde, will Knef sich dem Geliebten angeschlossen haben. Im „Geschenkten Gaul“ schreibt sie, dass man ihr im Volkssturm-Hauptquartier Schmargendorf eine Uniform und „Maschinengewehr, Munition, Handgranaten, Pistole“ ausgehändigt habe.
Knef und Demandowsky gerieten am Berliner S-Bahnring in schwere Gefechte, versuchten dann, sich über Spandau in Richtung der amerikanischen Linien durchzuschlagen, und wurden bei Friesack, knapp 50 Kilometer nordwestlich von Berlin, von polnischen Milizsoldaten gefangen genommen. Einzige Quelle dafür war bislang der „Geschenkte Gaul“. Nun aber sind in einem neuen Buch erstmals Briefe zu lesen, die Knef in den unmittelbaren Nachkriegsmonaten an ihre damals in Uelzen lebende Mutter schickte. Am 9. September 1945 schreibt sie über die Volkssturm-Episode: „Immer schlimmere Nachrichten aus den Vororten kamen, und die Möglichkeit, als noch nicht 70-Jährige den Vergewaltigungen zu entgehen, war gleich 0,0. Ich machte v. D. den Vorschlag, mich einfach mitzunehmen, wir überlegten furchtbar; alles schien noch gefährlicher, als die Kämpfe mitzumachen, und genug Mut habe ich ja, – jetzt kann ich das mit ruhigem Gewissen behaupten, denn ich habe in den 4 Wochen, die ich unterwegs war, wohl mehr erlebt als mancher lang gedienter Frontsoldat. Von 70 Mann, mit denen wir zusammen waren, leben heut noch 4 und wir gehören merkwürdigerweise dazu.“
Die Kriegsschilderungen im „Geschenkten Gaul“ wirken wie Sequenzen aus einem Albtraum: hyperreal und gleichzeitig merkwürdig unkonkret. Nach genauen Zeit- und Ortsangaben sucht man vergeblich. „Da rast es los aus den Dächern, aus den Fensterhöhlen: Granatwerfer, Maschinengewehre, Flammenwerfer“, so Knef. „Es hebt mich hoch, trägt mich weg, lässt mich fliegen, schlägt mich gegen Eisenhartes, lässt mich liegen. Ich spür Blut, fass ins Gesicht, hab blutige Hand, denke: jetzt bin ich tot, so ist das also.“ Der Film „Hilde“ folgt dieser Subjektivität, er zeigt den Krieg mit Handkamera und in Nahsicht, als Tohuwabohu aus explodierenden Granaten und sterbenden Menschen.
Knef hat ihre Erinnerungen zugespitzt, sie fabuliert und übertreibt. Russische Soldaten, an die sie von den polnischen Milizen übergeben worden sei, hätten sie als Spionin verhört, hat sie im „Geschenkten Gaul“ behauptet. Man habe sie in ein dunkles Loch gesperrt, in dem eine halb verweste Frauenleiche lag. Die Wirklichkeit war wohl etwas weniger abenteuerlich.
„Am dritten Tag lieferten uns die Polen an die Russen aus“, berichtet sie der Mutter. „Dann gingen die Märsche los, eine Woche lang, jeden Tag 30 km mit fürchterlichem Fraß. Bis Biesenthal kamen wir. (...) Abends um 10 Uhr im Hauptlager gelandet, erklärte der Kommandant, ich müsste als Frau schleunigst verschwinden. (...) Ich verabschiedete mich von D., der so ziemlich die Nerven verlor, und versteckte mich erst einmal drei Tage im Ort. (...) Dann latschte ich munter in zwei Tagen gen Berlin. Ich latschte nach Wilmersdorf, und siehe da, das liebe Vaterherz war strahlend in alter Stätte.“
An den Geliebten schrieb Knef einen Abschiedsbrief, der ihn nicht mehr erreichte: „Sind wir zwei Kinder, die sich lieben oder sind wir durch die Liebe wieder zu Kindern geworden?“ Sie habe Ewald von Demandowsky zum letzten Mal im Gefangenenlager gesehen, versicherte Knef. In Wirklichkeit kehrte Demandowsky – so hat der Dokumentarfilmer Felix Moeller recherchiert – im Sommer 1945 nach Berlin zurück, in einem U-Bahnhof kam es zu einer Zufallsbegegnung zwischen ihm und Knef. Später wurde er von der amerikanischen Militärpolizei verhaftet, an die Russen ausgeliefert, von einem Militärtribunal zum Tod verurteilt und am 7. Oktober 1946 in Berlin erschossen.
Eine Woche später, am 15. Oktober, wurde im Admiralspalast die Premiere des ersten deutschen Nachkriegsfilms „Die Mörder sind unter uns“ gefeiert. Hauptdarstellerin Hildegard Knef saß in der ersten Reihe neben Regisseur Wolfgang Staudte. „Solche sauberen lebensbejahenden Menschen, wie sie der Film zeigt, brauchen wir“, jubelte eine Kritik.
Petra Roek: Fragt nicht warum. Hildegard Knef. Die Biografie, edel Vita, Hamburg 2009, 336 S., 24,95 €. – Christian Schröder hat 2004 die Knef-Biografie „Mir sollten sämtliche Wunder begegnen“ im Aufbau-Verlag veröffentlicht.
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