Filmkritik: Das Partikel-Universum
Millimeterarbeit: Hartmut Bitomskys Dokumentarfilm „Staub“ beschäftigt mit einem alltäglichen Phänomen. Auf den zweiten Blick eröffnet sich das unendlich Alltägliche als die größte Herausforderung der Kunst.
Im Alltag ist Staub meist unerwünscht, ob er nun daheim aus der Bettwäsche kommt oder draußen aus Abriss und Auspuffrohren. Zu Hause rücken wir den Wollmäusen mit Staubsaugern und elektrostatischen Fangtüchern auf den Leib. Im Berliner Stadtraum sind neuerdings Sperrgebiete eingerichtet, um den Feinstaubausstoß dort zu reduzieren.
Aber Staub ist auch unersetzlich für unser Überleben auf der Erde: Ohne Staubkornkern keine Regenbildung. Und beim Anschauen wäre der Himmel ohne die Brechung des Lichts am Feinstaub der Atmosphäre eine farblose Angelegenheit ganz ohne Kaiserblau und Abendröte. Ja, selbst Film ist im Wesentlichen nichts anderes als auf eine transparente Trägerschicht aufgetragener Staub, der vor dem Projektor im dunklen Kinosaal zum Erleuchten gebracht wird.
Der Film handelt von Menschen, die sich dem Staub widmen
Es stäubt allüberall. Nun hat Hartmut Bitomsky – einer der bedeutendsten deutschen Dokumentaristen und seit zwei Jahren Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie dffb in Berlin – dem scheinbar unscheinbaren Stoff einen ganzen Film gewidmet, der assoziativ das Partikel-Universum durchmisst: Aus der Wüste zur Luftgüte-Messstation, vom Braunkohleabbau ins Museum, wo Männer und Frauen mit feinen Pinseln vorsichtig Kunstwerke von Ablagerungen befreien.
Doch da sich der Staub selbst – mit einem Durchmesser von 0,5 bis 0,0005 Millimeter – an der Schwelle zur sichtbaren Welt bewegt, ist es vor allem ein Film über die Menschen, die sich mit ihm beschäftigen und die Apparaturen, die sie dafür einsetzen. Da sind Flugzeit-Sekundärionen-Massenspektrometer und Granatwerfer-Staubanlagen, immer wieder erklären Wissenschaftler Versuchsverfahren, mit denen sie Aerosol-Verteilungen und die Versickerung von Uranstaub im Bodenwasser messen oder Sternengeburten rekonstruieren.
Von der Schwierigkeit das Alltägliche abzubilden
Die mitunter aufschlussreichen Einblicke in eine oft schwer verständliche technokratische Welt haben den Filmemacher allerdings offensichtlich so sehr fasziniert, dass ihm der Gleichgewichtssinn darüber abhanden kam. Denn während Lotus-Effekt und die Korrosion von Projektilen von Experten wortreich erklärt werden, bleibt die Arbeit der praktischen Staubspezialistinnen und Putzkräfte bloße Hintergrund-Choreographie, zu der der Regisseur selbst aus dem Off über Reinigungs-Quadratmeterleistungen doziert. Auch am alltäglichen Kampf mit dem Hausstaub interessiert Bitomsky – neben einer putzwütigen Hausfrau als Lachnummer – nur ein scheinbar innovatives Gerät: Der „Delphin“, der eingesaugten Staub durch ein Wasserbad binden soll.
Gespiegelt wird diese technokratische Perspektive durch Künstlerinnen, deren Arbeiten sich auch als ironischer Kommentar zu solchem Wissenschaftsbetrieb lesen lassen: Was für eine schöne Idee, „Gemeine Hausstaubflocken“ morphologisch sortiert wie Schmetterlinge in Schaukästen aufzuspießen! Der Jargon allerdings, mit dem die Künstlerin (Namen gibt es im Film leider nicht) zwecks Erläuterung ihrer Arbeiten Leibniz und die „Endlichkeit der Fluse“ herbeizitiert, holt uns in seiner Versponnenheit bald wieder in manche Niederungen deutscher Kunstproduktion zurück.
fsk am Oranienplatz und Lichtblick
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