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© Universal Pictures

"Inglourious Basterds": Bring mir den Skalp von Adolf Hitler!

Wie es hätte sein können: Tarantino erfindet mit "Inglourious Basterds" eine faszinierend erlösende historische Fiktion.

Eine Kunstaktion. Oder ein mobiles Denkmal. Jedenfalls kein Werbegag. Ein paar Monate lang – so lange, wie der Krieg dann doch noch gedauert hat – irrlichtert eine riesige gebogene Plexiglasscheibe durch die Quartiers von Paris. Einzige Beschriftung, in großen Lettern: „LE GAMAAR“. Ein paar Wochen an einer Straßenecke in Belleville, dann in Montparnasse, bald karrt ein Kranfahrzeug die Riesenscheibe nach Porte St. Denis, dann wieder schmiegt sie sich an ein Eckhaus an der Sorbonne, schwebt schließlich am Haken mitten auf die Champs Elysées: die transparente Geisterfassade mit dem Schriftzug des Kinos „Le Gamaar“, das hätte existieren können und doch nie existiert hat im Paris des Jahres 1944.

Also gut: ein Traum nur. Aus einem solchen Traumbuchstabentraum kann anderntags erwachen, wer Quentin Tarantinos wuchtigen Film „Inglourious Basterds“ gesehen hat, einen Film, der einem schnurstracks in die Träume folgt. Im Pariser Kino „Le Gamaar“ hätte, etwas historisches Drehbuchglück vorausgesetzt, der Zweite Weltkrieg enden können, als jüdisches Racheattentat. Während Hitler, Goebbels, Göring und Bormann die Juden millionenfach in den KZs ermorden ließen, wären ein paar Hundert Nazi-Bonzen während der Premiere eines deutschen Propagandafilms niedergeschossen worden und im Zuschauersaal verbrannt. Zur Sicherheit wäre obendrein das ganze „Le Gamaar“ explodiert, das hübsche 350-Plätze-Kino mit zwei Logen, das hätte in Belleville stehen können, am Odéon oder in Saint-Germaindes-Prés.

Quentin Tarantino hat diese Szene so radikal erfunden, wie wohl nur ein Tarantino seine Traumgeschöpfe bis zu Ende erfindet: als alttestamentarisch ultimative Antwort auf die Nazis, im Feuer, mit einem Kino, das sich zum höheren Zweck in ein Krematorium verwandelt, mit einem jämmerlichen Hitler in der Ehrenloge, durchlöchert von der entfesselten Maschinenpistole eines jüdischen GI. Das ist nicht Camp, nicht Pulp – mit solchen Kategorien ist man bei Tarantino schnell am Ziel vorbei –, sondern eine Vision, wie sie die weidlich ausgemessene Bilderwelt des Kinos noch nie erschaffen hat. 65 Jahre hat es gedauert, bis ein Filmemacher die böse deutsche Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, statt sie in schaudernder Verbeugung vor dem Bösen einmal mehr auferstehen zu lassen, einfach umträumt. Und die ganze Schweinebande in die Luft jagt. Katharsis! Sauerstoff! Wunderbar retrofuturistischer Wahnsinn der Fantasie!

Das also vorab. Das Wesentliche. Das, was bleiben wird von „Inglourious Basterds“, wenn der ungemein plastische Vordergrund des Geschehens eines Tages verschwimmt. Womit das Ende verraten wäre. Oder fast das Ende. Und doch: nicht viel mehr als das. Nicht viel mehr als der Atomkern dieses Films, der gespalten sein will. Damit sich seine Energie freisetzt, der die Historie mal eben korrigiert – mit den Mitteln des Kinos und in einem erfundenen Kino. Die Idee, die Tarantino, den ewigen „bad-boy auteur“, wie ihn die Amerikaner nennen, erwachsen und unsterblich macht, ohne dass damit das dauerpubertäre Faszinosum seiner filmischen Fantasiewelten verloren ginge. Das Wilde und das Alberne, das Lauernde und das Rabiate – und jenes lange, supergenaue Hinsehen, das dem arglosen Vorbeigucker bloß krokodilsträge erscheint.

Vor diesem dramaturgisch und kinematografisch mit allen Mitteln ausgespielten Exorzismus des Bösen gibt es zwei unglaubliche Kinostunden und danach eine so drastische wie lakonische Coda. Wer alle schauerlichen, köstlichen Twists von „Inglourious Basterds“ verraten wollte, bräuchte dafür doppelt so lange, wie der Film braucht, und hätte dann allenfalls ein Viertel erzählt. Zum Verständnis zumindest dies: Die Basterds, ein Haufen jüdischer GIs, skalpieren und töten Nazis im besetzten Frankreich. Lieutenant Aldo „Apache“ Raine aus Maynardville, Tennessee, den Brad Pitt mit nahezu unverständlichem Südstaatenslang spricht, führt den Trupp an, zu dem unter anderem Donnie Donowitz (leuchtend wild: Eli Roth) und der von den Basterds aus dem Knast freigeschossene deutsche Widerständler Hugo Stiglitz (funkelnd cool: Til Schweiger) gehören. In Paris macht sich derweil – gespielt von der zauberhaften Mélanie Laurent mit kühler Wut und sich steigerndem Furor – die der Ermordung ihrer Familie als einzige entronnene Jüdin Shosanna daran, ihr Kino für den großen Brand zu präparieren. Im „Le Gamaar“ kommt es zum Showdown, bei dem die beiden separaten Rachepläne zünden.

Aber was nimmt das schon weg vom Bittergenuss dieser Partitur aus Leit- und Nebenmotiven, atemberaubenden Intermezzi, lustvoll ausgespielten Scherzi und vor allem: Stimmen. Ja, man kann „Inglourious Basterds“, an dessen Grundidee Tarantino zehn Jahre lang laborierte und den er letzten Herbst mit einem genialen Affenzahn filmische Wirklichkeit werden ließ, wie eine ultravisuelle, superpolyfone Sinfonie lesen, in der jede Note ausgesucht beunruhigend mit ihren Nachbarinnen korrespondiert. Und immer wieder, wenn der Zuschauer ihn gerade vergessen zu haben glaubt, federt als polyglotter, leutseliger Kapellmeister des Todes der SS-Oberst Hans Landa herbei, dem Christoph Waltz im Konzert der Horror-Nazis Goebbels (Sylvester Groth) und Major Hellstrom (August Diehl) die grausigstgemütliche Stimme gibt.

Von seinem ersten Auftritt an: Der österreichische Schauspieler Christoph Waltz, der im Kino bislang noch nicht viel Bedeutsames hervorgebracht hat und nun in Cannes gleich die Schauspieler-Palme holte, ist die Sensation des Films. Wie leise er das alles macht! Und wie nebenbei! So wie „Inglourious Basterds“ für Quentin Tarantino vielleicht bereits der Film seines Lebens ist („Pulp Fiction“ war eine schöne Anzahlung darauf), spielt Waltz hier die Rolle seines Lebens: als perfide gebildeter Machtmensch, als eitler Experte für die Folter sokratischen Dialogs wie für den eleganten Mord im Handumdrehen, immer bereit für das noch feiner auszuklügelnde Kabinettmiststückchen. Eine so scheußlich begabte deutsche Uniformfratze hat die Filmwelt noch nicht gesehen.

Das fantastische Ensemble von Waltz bis Pitt, von Laurent bis Groth – nicht zu vergessen die verliebte Wehrmachts-Killermaschine Frederick Zoller, die Daniel Brühl so hingebungsvoll doof verkörpert – wird im deutschen Kino allerdings nur beschränkt funktionieren. Denn der Verleih hat sich entschlossen, „Inglourious Basterds“, dessen schwarzer Witz oft gerade durch das Sprachengemisch aus Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch entsteht, insofern zu synchronisieren, als auch alle Engländer und Amerikaner grundsätzlich deutsch sprechen.

Nicht nur, dass hier handwerklich äußerst grob gearbeitet wurde, wie der Blick auf den deutschen Trailer zeigt; im vorliegenden Fall ist die Synchronisation strukturell ein Fehler, weil die Tilgung von Sprach- und Verständnisbarrieren und verräterischer Fremdsprachenakzente dramaturgisch wesentliche Elemente zerstört. Also: Originaltonspur, Originalbabylon, Originalversion mit englischen oder deutschen Untertiteln! Immerhin will der Verleih mehr solcher Kopien als üblich in Umlauf bringen.

Und jetzt doch die erste Szene. Nur der Anfang. Der Anfang des Anfangs. „Once upon a time in Nazi occupied France“, Morricone-Musik ertönt, ein bisschen Western in Mitteleuropa und doch nur Zitat des Zitatenkinos, eine Hügellandschaft im schönsten Sonnenlicht, obenauf das Bauernhaus. Später Nachmittag, das ländliche Tagwerk ist vollbracht, es könnte Frieden sein, ein Früher für immer – und alles, was folgt, nie geschehen. Da mischt sich aus der Tiefe der Totalen etwas Schwarzes ins Gelb und Grün, dazu das Geräusch von Motorrädern mit Beiwagen, die auf dem Feldweg näher kommen – und der Bauer, draußen am Waschtrog, wirft sich noch mal Wasser, viel Wasser aufs Gesicht und über die Brust. Welch grandioses archaisches Bild, bevor der Albtraum beginnt.

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