Drei: Berlin, ein Traumspielplatz
Komödie der Kollisionen: Tom Tykwers Liebesfilm "Drei" ist eine Hommage an die Stadt der Liebe.
Diese Stimmen im Kopf. Schnell, unsortiert, im Nu entsteht eine Art Biografie, ein krauser Lebenslauf in fast forward. Harmonie. Trott. Fremdgehen. Reue. Nicht heiraten. Nicht Kinder. Nicht zusammenziehen. Doch zusammenziehen. Doch Kinder. Weiter. Therapie. Älter. Weiter. Langsamer. Weiter. Noch langsamer.
Eine Männerstimme sagt das aus dem Off, bevor der Film anfängt, ein paar Dutzend Wörter, während Oberspannleitungen vorbeifliegen, erst zwei, dann eine, dann keine mehr und nur noch der Himmel. Du stirbst, sagt der Mann, ich auch. Schnitt. Zwei liegen im Bett aufeinander, die Frau ist Sophie Rois, empört fragt sie nach: Wieso sterbe ich zuerst? Die erste Szene hat Screwball-Qualität, dieser Kollaps einer Lebenssinnsuche im brüsken Widerspruch, in der Pointe.
Alltag einer Zweisamkeit. Sie: Schlaf mal wieder mit mir! Er: Warum schläfst du nicht mit mir? Der Mann ist Sebastian Schipper, Regisseur von „Ein Freund von mir“ und „Absolute Giganten“, man kennt ihn auch als Schauspieler, in „Lola rennt“ rast er mit dem Rad durch die Stadt. Nun ist er einer von dreien in „Drei“, Tom Tykwers Beziehungs-Melokomödie, die an all den Orten in Berlin spielt, an denen man selber ein bisschen zu Hause ist, im Jolesch in der Muskauer Straße, im Gropiusbau oder im Mauerpark. Berliner Ensemble, Palais am Funkturm, Alex … die Orte leuchten von innen, wie das Badeschiff auf der Spree bei Nacht, ein Ufo mitten in der Stadt. Das hat Tykwer mit Wim Wenders gemeinsam, dass er die Orte ihrer Banalität enthebt, ohne sie zu verfremden. Kreuzberg, Mitte, Prenzlauer Berg, alles Tagtraumstätten: Tykwer versieht Architektur und Schauplätze mit einer Aura. Plötzlich sind sie gut aufgehoben im Kino.
Ein Heimatfilm für Städtebewohner. Für „Drei“, seinen achten Spielfilm, ist der 45-jährige Regisseur nach Ausflügen in die Welt, nach den aufwendigen Großproduktionen „Das Parfum“ und „The International“ zurückgekehrt, nach Berlin, wo er in den Achtzigern als Kinoprogrammierer anfing und 1994 mit Wolfgang Becker, Dani Levy und Stefan Arndt die Produktionsfirma X-Filme gründete. Weil sein in Venedig uraufgeführtes, nach eigenem Drehbuch realisiertes Kammerspiel von seinesgleichen handelt, von Menschen, die sich in der Medien- und Kulturszene tummeln, ist es erst recht eine Heimkehr.
Eine Dreierkiste also. Die Kultur-TV- Moderatorin Hanna (Rois) und der Architekt Simon (Schipper) sind seit 20 Jahren ein Paar. Ein ganz normales Paar mit Altbauwohnung, Teilzeitkrisen und immer noch Spaß beim Sex. Bis der Stammzellenforscher Adam (Devid Striesow) Hanna beim Ethikrat über den Weg läuft. Bald trifft Adam auch Simon, in der Männerumkleide des Badeschiffs. Beide, Hanna und Simon, verlieben sich in Adam, beide tauschen sie innige Küsse und haben Sex mit ihm, ohne das voneinander zu wissen. Reiner Zufall?
Aber „Drei“ erschöpft sich nicht im Chaos der Gefühle, in den Heimlichkeiten, Peinlichkeiten und der Situationskomik einer Dreiecksgeschichte. Älterwerden und Kinderkriegen, Gentechnik und Genderdebatte, Kopftuchstreit und Irakkrieg, Hermann Hesse, Ingeborg Bachmann, Judith Butler, Krankheit und Tod (Simon bekommt, ausgerechnet, Hodenkrebs, seine Mutter, Angela Winkler, stirbt binnen Tagen an Bauchspeicheldrüsenkrebs), dazu die Kulturszene mit Sasha-Waltz-Choreografie, Robert-Wilson-Inszenierung, René Pollesch, Kinobesuch, Ausstellungseröffnung, Wissenschaftskongress, Gunter von Hagens „Körperwelten“ – all das ist mit von der Partie. Außer Atem im Großstadtdschungel. David Bowie singt „Ground Control to Major Tom“, und das Leben läuft davon.
Schön an „Drei“ ist, wie gesagt, zunächst die Verspieltheit, mit der da geliebt, theoretisiert und ästhetisiert wird, das latente Zuviel, eine innere Unruhe und leichte Fiebrigkeit. Keine Totalen, sondern Close-ups, Traumszenen, SplitScreen, Kitsch, Kolportage, Sexfantasien à la Jeff Koons. Auch die Bilder gehen fremd, wenn sie sich eine dokumentarisch drastische Hoden-OP leisten, eine Pferdekutsche mit Sarg auf dem 17. Juni, als Zitat aus de Sicas Schwarz-Weiß-Film „Das Wunder von Mailand“, oder Angela Winkler, die als Engel in den Himmel über Berlin entschwebt.
Tykwer nimmt sich die Freiheit. Aber er versagt sie sich auch. Sein Berlin ist nie schmuddelig. Selbst der Plattenbau, in dem Adam wohnt, ist irgendwie schick. Keine Hässlichkeit, kein Rempeln in der U-Bahn, keine Spießer, keine grölenden Kids. So sortiert sich das vermeintlich vitale Durcheinander zur erlesenen Komposition, ohne ausfransende Ränder, mit ausgeklügelter Farbästhetik. Immer wieder werden die drei vor weißem Hintergrund platziert, nicht von ungefähr hängt eine Porträtfotografie von Thomas Struth an der Wand. Der Film behauptet Authentizität: So leben die Fortysomethings und proben das späte Erwachsenwerden, bei dem auch Männer mal einen Orgasmus simulieren und heimlich ins Kondom spucken. Tykwer stilisiert die Stadt gleichzeitig zur Wirklichkeitsinstallation, ähnlich wie Simon, der für Konzeptkünstler Installationen baut. So droht das Experiment seines Trios, in dem jeder jeden liebt, zum Laborversuch zu erstarren, allem Herzblut, allem Aufruhr, aller Verstörung zum Trotz.
Sophie Rois mit Schwangerschaftstest auf dem Klo, die immer lauter „Stop“ schreit, als die Färbung eindeutig wird. Devid Striesows wortkarge Präsenz, sein unwiderstehliches Lächeln. Sebastian Schippers Erdenschwere und seine Verwirrung, nachdem er Sex mit einem Mann hatte. Man schaut gerne zu, wie die Protagonisten über sich selbst ins Staunen geraten, wie sie sich ändern und doch nicht aus ihrer Haut können.
Aber Sophie Rois kann mehr, als mit halboffenem Mund wahlweise konsterniert oder außer sich zu sein. Auch von Striesows Bandbreite macht Tykwer kaum Gebrauch. So haftet Hanna, Simon und Adam etwas Manieriertes, Eindimensionales an. Und spätestens bei Striesows Adam geht die Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht mehr auf: ein smarter Wissenschaftler, der Motorrad fährt, Judo trainiert, Fußball spielt, im Chor singt, sich auf Premieren und Vernissagen herumtreibt, segeln geht, mit Männern und mit Frauen schläft und auch noch Zeit hat, seinen Sohn aus einer früheren Beziehung zu besuchen? So einen gibt’s nur im Kino.
Auch darin ähnelt Tykwer Wim Wenders: Er ist ein fantastischer Bilderfinder, kein Schauspieler-Regisseur. Der Komödie der Kollision, als schließlich doch noch alle drei aufeinanderstoßen, folgt die heilige Patchwork-Familie. Tykwer löst den „Abschied vom deterministischen Biologieverständnis“ (Adam/Striesow) nicht wie einst Wilder oder Lubitsch in der Leichtigkeit einer weiteren Pointe auf, sondern in einer fast religiösen Chiffre, einer mystisch überhöhten Dreisamkeit. Und wenn sie nicht gestorben sind, gibt’s Vätermutterkind.
Warum auch nicht, könnte man sagen, das Kino soll ja Wünsche erfüllen. Aber muss es gleich wieder diese klassisch-konservative Harmonie sein, selbst bei der Dazwischenkunft eines Dritten? Warum wird „Drei“ so humorlos, so feierlich?
Vielleicht ist das die Crux bei Tykwer- Filmen: Sie wollen cool bleiben und empfinden zugleich große Empathie. Beides zusammen ist schwer. Dass Tom Tykwer dieses Dilemma in seinem ersten deutschsprachigen Film seit „Lola rennt“ nicht löst, dass das Design im Zweifel zwar siegt, aber das Unbehagen daran immer mitschwingt, ist nicht die Schwäche, sondern die Stärke seines Berliner Liebesfilms „Drei“.
Ab Donnerstag in 12 Berliner Kinos.
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