"Nord": Aufatmen!
Schräg-schön: das norwegische Road-Movie „Nord“. Ausgangspunkt war die eigene Depression des Regisseurs.
Jomar (Anders Baasmo Christiansen) will nicht raus aus der Klapse. Aber die Ärzte sind der Meinung, dass es für den depressiven Dauerpatienten an der Zeit ist, sich der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu stellen. Und so landet Jomar als Pistenwächter an einem Skilift. Er raucht, säuft und weint in den norwegischen Winter hinaus. Einziger Trost sind die Reportagen über Tunnelunglücke auf einem Doku-TV-Kanal. Früher war der untersetzte Mittdreißiger ein schneidiger Ski-Profi. Dann kam der Unfall und mit ihm die Angstzustände, die Antriebslosigkeit und die Depression. Aber als Jomar erfährt, dass er einen Sohn hat, den seine Ex-Freundin seit vier Jahren alleine großzieht, rappelt er sich aus seiner gepflegten Trostlosigkeit auf und fährt los – immer Richtung Norden mit dem Schneemobil und einem Fünfliterkanister Selbstgebranntem als Wegzehrung.
In seinem Spielfilmdebüt „Nord“ entwirft der norwegische Dokumentarfilmer Rune Denstad Langlo ein angenehm bizarres Off-Road-Movie. Ausgangspunkt war die eigene Depressionserfahrung des Regisseurs, der aber im Gegensatz zu seinem dänischen Kollegen Lars von Trier („Antichrist“) daraus keine Psychohorrorselbstbespiegelung entwickelt, sondern einen tragikomischen Umgang mit der Krankheit findet. Auf seiner Reise durch die unendlichen, dünn besiedelten Weiten nordnorwegischer Schneewüsten begegnet Jomar einer ganzen Reihe von eigenbrötlerischen Charakteren. Ein Mädchen, das in der Einöde niemanden zum Spielen hat, quartiert den schneeblinden Gast im Wandschrank ein. Ein junger Landwirt lädt zum Besäufnis und zeigt, wie man mit Tampon, Klebeband und Schmirgelpapier auch von einer minimalen Schnapsdosis betrunken werden kann. Ein alter Mann, der in einem Zelt auf dem zugefrorenen See auf die Eisschmelze wartet, schweigt den Besucher voller Lebensweisheit und Todessehnsucht an.
Das sieht auf der Leinwand weitaus weniger schwermütig aus, als es sich auf Zeitungspapier liest. Langlo findet eine feine Balance zwischen Ironie und Melancholie und studiert ebenso geduldig wie genau das kriselnde Mannsbild, das zwischen Selbstmitleid, Abenteuerdrang und düsteren Urängsten durch die bittere Kälte strauchelt. Immer wieder öffnet er dabei den Blick für betörend schöne Schneelandschaften und lässt das Publikum in der winterklaren Luft sehr viel früher aufatmen, als es der Hauptfigur vergönnt ist.
Filmkunst 66, Filmtheater Friedrichshain, fsk (OmU), Hackesche Höfe (OmU), Kino in der Kulturbrauerei, Yorck
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