Filmfestivals: Kino gegen Terror
Die Berlinale wird von Nordkorea und dem Iran unter Druck gesetzt, das Ramdam in Belgien wurde gar abgesagt: Über Filmfestivals in unruhigen Zeiten - und warum sie jetzt erst recht gebraucht werden.
Das Filmfestival im belgischen Tournai war erst drei Tage alt, da wurde es abrupt abgesagt. Am Donnerstagabend verfügte der Bürgermeister die Schließung des Zehn-Säle-Multiplexes bis kommenden Mittwoch, so lange sollte das Festival dauern. Der Grund: eine laut Polizei „sehr ernst zu nehmende“ Terrordrohung. Vielleicht, so rätseln nun die Organisatoren, hat der frisch Oscarnominierte afrikanische Spielfilm „Timbuktu“ den Gewaltankündigern nicht ins Programm gepasst, oder auch die Doku „The Essence of Terror“?
Was dem jungen Festival Ramdam – zu Deutsch etwa: fröhliches Remmidemmi – soeben in der dicht an der französischen Grenze gelegenen Stadt widerfahren ist, soll der Berlinale, die in elf Tagen beginnt, nicht passieren. Und das nicht nur, weil etwa die jüngste hochoffizielle nordkoreanische Drohung einer „gnadenlosen“ Strafaktion schon deshalb grotesk ist, weil die inkriminierte Satire „The Interview“ gar nicht auf der Berlinale läuft.
Seit "Charlie Hebdo" ist Schluss mit lustig
Aber was ist noch bloß grotesk und damit strukturell veralberungstauglich in diesen Wochen, wo den Urhebern und dem Publikum geistiger Produkte, seien sie Karikaturen oder Kino oder Kunst, physische Gewalt angedroht wird oder gar widerfährt? Seit dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ ist einstweilen schrecklich Schluss mit lustig – und wer sich auf die beschwerliche Suche nach guten Nachrichten macht, muss etwa bis in den Pariser Vorort Villiers-sur-Marne gehen: Dort wurde der Film „Timbuktu“, zunächst vom Bürgermeister abgesetzt, prompt wieder ins Kinoprogramm genommen – wegen heftiger Zuschauerproteste.
Nordkorea mag politisch und medial so isoliert sein, dass es nicht mal Fakten checkt, bevor es mit Taten droht. Der Iran, politisch nicht gerade segensreich vernetzt, geht subtiler vor und attackiert in Kommentaren regierungsnaher Medien die Berlinale einstweilen ästhetisch: Man lade dort schlechte Filme ein, bloß weil sie politisch passen. Der interventionistische Grundimpuls allerdings ist ähnlich. Iran fühlt sich provoziert, weil erneut ein trotz Berufsverbots produzierter Film eines prominenten Regimegegners auf der Berlinale läuft – „Taxi“ von Jafar Panahi.
Dieter Kosslick gibt den Chefdiplomaten
In Frankreich ist seit dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ überall von der „liberté d’expression“ die Rede, jener schönen menschlichen „Äußerungsfreiheit“, die alle Arten gemeinschaftlicher Gedankenfreiheit einschließt, von der Meinungsfreiheit bis zur Kunstfreiheit. Auf nichts Geringeres als dieses alltäglich in offenen Gesellschaften gelebte Grundrecht haben es Diktatoren ebenso wie Terroristen abgesehen. Und jedes Zurückweichen, auch aus begründetem Schutz für Menschenleben, deuten sie als Niederlage.
Wenn nun Berlinale-Chef Dieter Kosslick Botschaftsvertreter erboster Staaten hier geduldig auf Irrtümer hinweist und dort die grundsätzlich guten bilateren Kulturbeziehungen beschwört, betätigt er sich notwendigerweise als Chefdiplomat seines Hauses – wobei ihm seine Herkunft aus dem politischen Raum zugute kommen mag. Sein vordringlichster Job ist das eigentlich nicht. Aber in einer Welt, in der die Realität zusehends Züge eines Horrorfilms annimmt, dürfte derlei geschmeidige Klarsichtigkeit immer nützlicher werden.
Filmfestivals sind Feste
Filmfestivals, das Wort sagt es, wollen und sollen Feste sein, Schauplätze der Neugier auf Anderes, auf künstlerisch Grenzüberschreitendes von überallher. Im belgischen Tournai lobten die Organisatoren dafür sogar einen Extrapreis aus, für den „herausfordernden Film“. Ja, bisher mögen Filmfestivals – mit ihnen die Berlinale – der schönste Luxus der Welt gewesen sein. Derzeit beginnen wir, sie in neuer Weise zu brauchen. Wofür wir sie ganz besonders feiern sollten.