Im Kino: "Goodbye, Christopher Robin": Kinderland ist abgebrannt
Das Biopic „Goodbye, Christopher Robin“ erzählt mit nostalgischer Verklärung, wie der Kinderbuchheld Winnie the Pooh entstand.
Seit dem Tod des seligen Harry Rowohlt, der die Kolumne „Pooh’s Corner“ in der „Zeit“ verfasste, ist dem britischen Kinderbuchhelden Winnie the Pooh in Deutschland kaum noch Aufmerksamkeit zuteilgeworden. Gleich zwei Filme buhlen diesen Sommer um die Aufmerksamkeit der Fans des „Bären mit sehr geringem Verstand“, der in Problembär-Deutschland trotz Rowohlts jahrzehntelangen Bemühungen um Akzeptanz schlicht „Pu der Bär“ heißt.
Im August kommt Marc Forsters Film „Christopher Robin“ ins Kino, in dem der Disney-Konzern die seit den sechziger Jahren in Zeichentrickfilmen beackerte Bären-Marke aus der Feder des Schriftstellers A. A. Milne weiterentwickelt. Und zwar als Kombination von Realfilm und Computeranimation. Ewan McGregor spielt den Titelhelden Christopher Robin, der als erwachsener Geschäftsmann plötzlich wieder von den Stoffspielzeugkameraden seiner Kindheit Besuch erhält und auf diese Weise ganz disneylike den Glauben an die Kraft der Fantasie zurückerhält.
Den Auftakt macht jetzt jedoch Simon Curtis mit „Goodbye, Christopher Robin“. Sein Biopic wirft einen melancholischen Blick auf die Entstehungsgeschichte der 1925 erstmals veröffentlichen Geschichten um den kleinen Christopher Robin und seine in Milnes Büchern und Gedichten zum Leben erweckten Stofftiere Pu, Ferkel, Känga, I-Aah, Eule und ihr versponnenes Leben im Hundertmorgenwald.
Kinderbuchheiligtum aus dem Schützengraben
Nach Curtis’ durchaus interessanter Lesart ist merry old Englands Kinderbuchheiligtum gewissermaßen den Schützengräben an der Somme entwachsen. Also dem Bedürfnis nach tröstendem Seelenbalsam für ein kriegstraumatisiertes Land. Personalisiert durch die verstörten Psychen des Dramatikers, Essayisten und Kriegsgegners Milne und seines Illustrators Ernest Shepard, die beide zur Generation der Gezeichneten gehören.
Um Ruhe vor dem ihn in donnernden Flashbacks heimsuchenden Dämonen des Schlachtfelds zu finden, zieht Milne (Domhnall Gleeson) sich mit seiner Frau Daphne aus der Londoner Boheme in die Provinz zurück. Auf der alten Farm ranken die Rosen wie bei Rosamunde Pilcher. Und über die Hügel von East Sussex ergießt sich das goldene Septemberlicht kindheitsseliger Nostalgie. Den Vogel in diesem zuckersüß zauberhaften Setting schießt aber Will Tilston in der Rolle des neunjährigen Schriftstellersohns Christopher Robin ab. Mit rehbraunen Kulleraugen, Grübchen und Prinz-Eisenherz-Frisur stammt er direkt aus dem Niedliche-Jungs-Figurenkatalog.
Der Liebe seiner Eltern – und das ist nach den Kriegsbezügen der zweite gute Bruch – empfiehlt ihn das erst mal nicht. Die interessieren sich ihrer Zeit und ihrem Stand gemäß nur wenig für das Einzelkind, das sich „Billy, the Moon“ nennt. Margot Robbie, die im vergangenen Jahr mit der großartigen Eislauf-Groteske „I, Tonya“ eine Oscar-Nominierung als beste Schauspielerin einsammelte, bleibt blass als elegante Rabenmutter. Und doch ist sie es, die – wenn sie aus London auf Besuch anreist – fröhlich Billys Stofftierbestand auffüllt und Teddybär, Esel und Känguru Stimmen und Geschichten einhaucht. Ein Erweckungsprinzip, das schließlich in einem märchenhaften Vater-Sohn-Sommer kulminiert, in dem der um Inspiration ringende Autor, sein Sohn und dessen Tiere die aus den „Pu“-Büchern bekannten Episoden erleben. Bienen mittels eines Luftballons Honig abjagen, Pu-Stöcke von der Brücke in den Fluss werfen und so.
Vermarktung seiner Kinderseele
Wie Simon Curtis die Motive und deren im Geist von Ernest Shepard animierten Zeichnungen unaufdringlich in die Geschichte integriert, das ist schön gemacht. Das Drama des vom Kindheitsruhm überrollten Christopher Robin bleibt in der konventionellen, zu sehr den Schauwerten und der Sentimentalität verhafteten Inszenierung jedoch unterspielt. „Schreibst du ein Buch?“, fragt Billy einmal seinen Vater und spricht den die Vermarktung seiner Kinderseele vorausahnenden Satz. „Ich dachte, wir haben einfach zusammen Spaß.“
Diese paradiesische Unschuld ist mit der im englischen Sprachraum schnell einsetzenden Popularität von Pu vorbei. Bald hängen im Hundertmorgenwald die Paparazzi von den Bäumen, um den echten Christopher Robin abzulichten. Und ein Geburtstagsanruf der in den USA auf Promotiontour befindlichen Milnes beim Sohn geht als Radio-Schalte über den Äther. Der Sohn zahlt den Preis von Vaters Ruhm. Doch in Curtis’ Film eben nicht in der gebotenen Bitternis, die den echten Christopher Robin, der 1996 in Devon starb, zeitlebens seinen Eltern entfremdete. In „Goodbye, Christopher Robin“ erteilt er ihnen die Absolution. Schon schade. Das Ausloten der Spannung zwischen Leben und Literatur hätte ein toller Film werden können. So bleibt es ein herziges Melodram, das einen Jungen, einen Bären und einen zwiespältigen Vater mit hübsch wattierter Harmoniesucht bedeckt.
Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmkunst 66, Kulturbrauerei, Colosseum, OV: Cinestar Sony Center
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