Berliner Kulturhaushalt: Kinder statt Kundry!
Opernluxus? Darbende Kinder- und Jugendtheater? Der Berliner Kulturetat bedenkt die einen üppig, die anderen zu wenig. Dabei reicht das Geld für alle. Ein Appell, pünktlich zur Lesung des Etats im Kulturausschuss.
Gerade leistet sich die Stiftung „Oper in Berlin“ mal wieder eine überregionale Imagekampagne: Auf 600 Plakaten, die je zwei Wochen in Frankfurt, Dresden, Baden-Baden, Hamburg, München, Stuttgart und Potsdam hängen, ist in großen Lettern zu lesen: „Ich brauch’ Tapetenwechsel“, „Die ganze Welt kommt gern zu dir“ oder auch „Schaut auf diese Stadt“. Sätze, die inhaltlich nichts mit dem Angebot zu tun haben, das die Staatsoper, die Deutsche und die Komische Oper bieten. Der Absender der Botschaft ist deshalb auch in so kleiner Schrift in einer Ecke versteckt, dass er aus vorbeifahrenden Autos garantiert nicht zu entziffern ist.
„Eigentlich muss man für den Opernstandort Berlin nicht werben“, sagt Christian Boros, dessen Agentur gutes Geld an der Marketingaktion verdient. „Wir zeigen mit unserer Kampagne lediglich souverän und frech Selbstbewusstsein und Haltung.“ So, so. Der Spaß kostet 147 000 Euro.
Das Atze Musiktheater braucht nicht mehr Geld, als die teure Opernwerbeaktion kostet
Die Zeiten des wowereitschen „arm, aber sexy“ sind damit offiziell vorbei in der Berliner Hochkultur. Der Regierende Kultursenator Michael Müller streut im Entwurf für den Etat 2016/17 mit vollen Händen siebenstellige Summen über den Staatstheatern aus, allein die Opernstiftung darf sich im kommenden Jahr auf zusätzliche 3,5 Millionen Euro freuen, 2017 sogar auf 6,5 Millionen. So viel kostet es, wenn der Senat den Musiktheatern Tariferhöhungen und Aufwendungen fürs Facilitymanagement finanziert. Nachdem die Politik in den letzten beiden Dekaden der Meinung war, steigende Mitarbeiter-Gehälter müssten die Institutionen aus eigener Tasche aufbringen, ändert das Land hier nun seinen Kurs.
Auf die Berliner Kinder- und Jugendtheater müssen die Zusatzgelder und die Plakataktion jedoch wie der blanke Hohn wirken. Ihre Wünsche und Bedürfnisse werden im Doppelhaushalt nicht berücksichtigt. Wo es um Repräsentationskunst geht, macht Müller auf dicke Hose – die Ensembles aber, die sich um den Nachwuchs kümmern, traditionell mit minimalen Mitteln und auf der Basis von Selbstausbeutung, die sollen leer ausgehen.
Sozialneid wäre falsch: Es ist genug Geld für alle da
Das Atze Musiktheater, das per Gerichtsbeschluss gezwungen wurde, seine bislang freiberuflich beschäftigten Darsteller sozialversicherungspflichtig anzustellen, wird die nächste Saison ohne eine Zuschusserhöhung nicht überleben – die in etwa den Kosten für die Opernwerbekampagne entspricht. Die anderen Player auf diesem für die Publikumsentwicklung so fundamentalen Gebiet barmen um ähnlich geringe Summen. Das stilbildende, in der ganzen Welt verehrte Grips Theater braucht 150 000 Euro, das Theater Strahl 200 000, das Theater o.N. 110 000.
Natürlich könnte man jetzt von den Schwergewichten unter den Subventionsempfängern Solidarität mit den Nachwuchsförderern einfordern. Schon 0,5 Prozent (!) der Summe, die Berlins Musiktheater pro Jahr verschlingen, würden genügen, um die größte Not bei den Kinder- und Jugendbühnen zu lindern. Doch wo offensichtlich Geld genug da ist, führt eine Sozialneiddebatte in die falsche Richtung.
Was die Freie Szene für Erwachsene betrifft, spiegelt der Etatentwurf erstmals angemessen die Bedeutung wider, die die künstlerischen Start-ups in der Außenwahrnehmung der Touristenmetropole besitzen. Staatssekretär Tim Renner, der selber aus dem Dunstkreis des Innovationsclusters kommt, hat erfolgreich für neue Förderinstrumente gekämpft, für Probenräume und Stipendien.
Sicher, mit einem Herz fürs Kindertheater lässt sich nicht halb so viel Medienruhm einheimsen wie mit dem Einsatz für die coolen Kreativen. Wer allerdings nur einen halben Gedanken darauf verschwendet, wo denn all die Besucher der Alternativ-Treffpunkte und Off-Spielstätten, der Opern, der Volks- und Schaubühnen ihre ersten Erfahrungen mit den schönen Künsten gemacht haben, der müsste als nachhaltig denkender Kulturpolitiker eigentlich von selber drauf kommen, was er auf keinen Fall vernachlässigen darf. An diesem Montag zum Beispiel, wenn der Kulturetat erneut im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses auf der Tagesordnung steht.