Interview zum Film "Beginnsers": „Kinder fühlen genauer“
Mike Mills über das Coming-out seines Vaters, über Humor – und das Recht auf Traurigkeit
Einer der beiden Erzählstränge Ihres Films scheint sehr nahe Ihre eigene Biografie zu berühren. Wie haben Sie reagiert, als Ihr Vater Ihnen mit 75 Jahren erklärt hat, dass er homosexuell ist?
Der Film gibt nicht exakt mein Leben wieder. Anders als meine Filmfigur habe ich zum Beispiel noch zwei ältere Geschwister. Als ich 18 war, hat meine Schwester mir erzählt, dass mein Vater, bevor er meine Mutter geheiratet hat, schwul war. Aber das war für mich etwas, das in der vorehelichen Vergangenheit meiner Eltern lag, und ich habe weder mit meiner Mutter noch mit meinem Vater darüber gesprochen. Deshalb kam das Coming-out meines Vaters für mich nicht so plötzlich. Überraschend hingegen war, dass mein Vater mit 75 noch einmal sein Leben umgekrempelt hat. Er wollte seine Sexualität ausleben und sich neu verlieben. Die große Explosion in unserer Familie war der Tod meiner Mutter, und ich hatte Angst, dass mein Vater ihr bald folgen würde. Als er dann verkündete, dass er schwul ist, war das für uns Kinder in dieser Situation keine große Sache.
Ihre Eltern haben in den fünfziger Jahren geheiratet und sind ein Leben lang zusammengeblieben. Was bedeutete Ehe für diese Generation?
Meine Eltern waren dreißig, als sie geheiratet haben, für die damaligen Verhältnisse war das sehr spät. Mit der Hochzeit haben sich die beiden in amerikanische Normalität eingefügt und wollten ein Teil des Mainstreams sein. Aber ehrlich gesagt, so richtig verstehe ich die Ehe meiner Eltern bis heute nicht. Darüber könnte man einen extra Spielfilm machen. Sie waren sich ja in all den Jahren sehr nahe, ihre Ehe war nicht unglücklich, nicht etwa eine große Lüge, die nach dem Tod meiner Mutter aufgedeckt wurde. Ich glaube, mein Vater wollte als junger Mann irgendwann einfach unbedingt heterosexuell werden – und war zu verängstigt, um seine sexuelle Identität anzuerkennen. Vielleicht war sein Coming-out in gewisser Weise so auch für ihn eine Überraschung.
In den sechziger Jahren tobte in den USA die sexuelle Revolution. Ist diese Ära an Ihrem Vater vollkommen vorbeigegangen?
Ja, das ist wirklich verrückt. In den sechziger Jahren lebten meine Eltern in der Nähe von San Francisco, der Hochburg der Schwulenbewegung. Harvey Milk wurde dort zum Stadtrat gewählt, und mein Vater war als Leiter eines Museums sicherlich nicht von den gesellschaftlichen Entwicklungen abgekoppelt. Aber das zeigt nur, wie sehr wir durch unsere Jugend geprägt sind. Mein Vater entdeckte seine Sexualität in den dreißiger Jahren, da war er Teenager. Das war eine sehr restriktive Zeit, in der er lernen musste, seine Neigungen zu verleugnen.
Der Film erzählt seine Geschichte auf zwei Ebenen – hier die Ehe der Eltern, dort ihr Sohn, der in einer neuen Liebe langsam seine Beziehungsunfähigkeit überwindet. Wie wird unsere Art zu lieben von den Eltern bestimmt?
Das ist eine sehr große Frage, die sich nicht in wenigen Sätzen beantworten lässt. Für uns Kinder waren unsere Eltern ein stabiles Paar. Aber unter der Oberfläche spürte man eine gewisse Leere. Irgendetwas fehlte, und dafür haben Kinder ein sehr genaues Gespür. Kinder fühlen Dinge, die sich ihre Eltern nicht eingestehen wollen. Meine Eltern strahlten aus, dass man dem Schein der Liebe nicht wirklich trauen kann, dass Liebe immer auch mit einer gewissen Traurigkeit verbunden ist – und dass man das, was man will, in der Liebe nicht findet. Dieses Gefühl haben wir in uns aufgesogen.
Trauer, Verlust, Liebe – in „Beginners“ geht es durchweg um große Gefühle. Wie haben Sie den Ton der Erzählung bestimmt?
Die Mischung aus Humor und Traurigkeit gehört für mich zum Leben dazu. So blicke ich auf die Welt. Mein Vater war übrigens genauso. Wenn etwas Schlimmes passierte, machte er erst einmal einen Witz darüber. Ich habe drei Jahre an dem Drehbuch gearbeitet, und damals bin ich selbst durch all diese Emotionen gegangen: Ich habe meinen verstorbenen Eltern hinterhergetrauert, ich habe mich neu verliebt und so ist eine Geschichtenebene nach der anderen hinzugekommen. Ich mag es, wenn Filme verschiedene Stimmungen zur gleichen Zeit ansprechen.
„Beginners“ findet einen zärtlichen Umgang mit der Traurigkeit seiner Hauptfigur. Wie viel Mut braucht man, um diese Traurigkeit im Unterhaltungsbetrieb Kino zu zeigen?
Offen gestanden war ich mir dessen gar nicht bewusst, bis wir die ersten Testvorführungen gemacht haben. Da sagten dann einige, der Film sei zu traurig. Es ist schon kurios: Wenn man im Kino einen Menschen zeigt, der aus Wut einen anderen umbringt, ist das okay. Aber wenn man jemanden zeigt, der trauert, weil ein ihm nahestehender Mensch gestorben ist, gilt das als Kassengift. Für mich ist Traurigkeit eine selbstverständliche Facette des Lebens. Warum soll man die nicht im Kino zeigen dürfen?
Das Gespräch führte Martin Schwickert.
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