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Dramatische Szenen: Eine Seite aus dem Buch.
© Casterman

Politik im Comic: Kinder der Revolution

Vor knapp zwei Jahren begann in Tunesien die sogenannte Jasminrevolution - Auslöser massiver Umwälzungen in weiten Teilen der Arabischen Welt. Ein Drehbuchautor und ein Zeichner haben mit der Graphic Novel „Sidi Bouzid Kids“ den Helden des Volksaufstandes ein Denkmal gesetzt.

Die Selbstverbrennung des jungen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010 vor dem Verwaltungssitz der tunesischen Kleinstadt Sidi Bouzid löste eine Welle der Empörung aus, die schließlich zur Jasminrevolution und der Flucht des Präsidenten Ben Ali nach Saudiarabien geführt hat. Die Jugendlichen von Sidi Bouzid, die auf der Straße gegen die Willkür der Regierung und der Polizei protestiert hatten, erkannten plötzlich, dass sie die Chance hatten, das Land wirklich zu verändern.

Die Geschichte der tunesischen Revolution haben der Drehbuchautor Eric Borg und der Zeichner Alex Talamba in der atemberaubend gestalteten Graphic Novel „Sidi Bouzid Kids“ relativ nahe an den historischen Ereignisse nacherzählt. Borg beginnt die Geschichte vor der der Polizeistation von Sidi Bouzid, einer armen Kleinstadt im Herzen Tunesiens, wo der Blogger Foued nach einer Verhaftung wieder einmal freigelassen wurde. Foued erzählt seinen Freunden von den Verhören, von den Schikanen der Polizei und der Folter. Zu den Freunden gehört auch der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi, der kurz darauf wieder auf dem Markt steht und dort ohne Erlaubnis Gemüse verkauft. Eine Polizeistreife fordert ihn auf, seine Sachen zu packen, doch er weiß nicht, wie er sonst seine Familie ernähren soll. Die Anführerin der Polizeistreife, Fayda Hamdi, beschlagnahmt die Waage Mohameds, es kommt zu einem Gerangel und sie schlägt ihn in aller Öffentlichkeit nieder. Ob dieser Demütigung ruft er Foued an und kündet eine große Aktion vor dem Gouvernorat an. Foued kommt zu spät, Mohamed hat sich bereits angezündet.

Schlüsselfigur: Der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in einer Szene aus dem Buch.
Schlüsselfigur: Der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in einer Szene aus dem Buch.
© Casterman

Man merkt, dass Autor Eric Borg auch Drehbuchautor ist. Er versteht es, oft ohne viel Worte dramatische Szenen so zusammen zu schneiden, dass sie spannend und effektvoll wirken, in einer Mischung aus Totalen und ruhigen Szenen. In Alex Talamba hat er einen kongenialen Zeichner an seiner Seite, der in seinem präzise gezeichneten Erstlingswerk in einem fast dokumentarischen Stil das Geschehen festhält. Er wählt dabei auch ungewöhnliche Perspektiven, um den Bildern mehr Wucht zu verleihen. Es wird nichts beschönigt, die Brutalität des Regimes und der Polizei werden schonungslos offenbart. Aber Foued erfährt auch Unterstützung durch das Personal des Krankenhauses für Brandopfer, das zeitgleich auch Präsident Ben Ali aus propagandistischen Zwecken besucht.

Die Autoren folgen der Chronologie der Ereignisse, nehmen sich aber auch die Freiheit, die Kumpanei der ehemaligen französischen Innenministerin Michèle Alliot-Marie, die in Tabarka ihre Ferien verbringt und Ben Ali Sondereinheiten für die Niederschlagung des Aufstandes verspricht, zu schildern. Ebenso sind die Szenen rund um Präsident Ben Ali und seine kokainsüchtige Frau erhellend entlarvend. Sie zeigen Ben Ali als rücksichtslosen Politiker, seine Frau steht ihm in Skrupellosigkeit in nichts nach. Auch die Rolle der Schlägertrupps und Scharfschützen wird schonungslos thematisiert, zum Teil erkennt man die Vorlagen von Pressefotos oder Internetvideos, die die beiden benutzt haben, um die Geschichte möglichst authentisch zu erzählen.

Bislang nur auf Französisch: Das Buchcover.
Bislang nur auf Französisch: Das Buchcover.
© Casterman

Auch die Rolle der Armee wird gewürdigt, die im entscheidenden Moment gegen die brutale Polizei einschreitet und sich auf die Seite des Volkes stellt. Die beiden Autoren belassen es aber nicht beim gelungenen Sieg der Sidi Bouzid Kids. Das Ende ist offen und stimmt nachdenklich. Foued und seine Freunde haben Tahar kennen gelernt, einen alten Tunesier aus dem Widerstand, der sich nach Ben Alis Flucht als Anhänger der islamischen Ennahda-Partei entpuppt. Als er das Foto von Parteiführer Rached Ghannouchi aus der Schublade holt und Allah preist, flieht Foued aus der Wohnung, er hat „Angst sich die Revolution stehlen zu lassen, die gerade erst geboren wurde.“

Eine großartige Graphic Novel, die dem Genre mehr als gerecht wird und in einem Anhang die wesentlichen Personen und historischen Hintergründe erklärt. Borg und Talamba haben den kleinen großen Helden der Revolution ein wunderbares Denkmal gesetzt und die Mechanismen der Diktatur und der Unterdrückung glasklar in Szene gesetzt. Wer „Sidi Bouzid Kids“ lesen will, muss allerdings vorerst des Französischen mächtig sein, eine deutsche Übersetzung wäre wünschenswert und würde gewiss ihr Publikum finden.

Eric Berg (Scenario), Alex Tambala (Zeichnungen): Sidi Bouzid Kids, Casterman, 116 Seiten, 17 Euro. Leseprobe auf der Website des Verlages.

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