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Kampf ums Überleben: Eine Seite aus „Die Verwerfung“.
© Zwerchfell

„Die Verwerfung“ von Lukas Kummer: Kinder der Finsternis

Apokalyptische Odyssee: Der Comic „Die Verwerfung“ erzählt vom Schicksal eines Geschwisterpaars zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges.

Der Dreißigjährige Krieg ist die historische Chiffre für Kriegshorror schlechthin. Im „Simplicissimus“ wird die Szenerie nach der Schlacht bei Wittstock aus dem Jahr 1636 beschrieben: „Die Erde, deren Gewohnheit ist, die Toten zu bedecken, war damals an selbigem Ort selbst mit Toten überstreut, welche auf unterschiedliche Manier gezeichnet waren, Köpf lagen dorten, welche ihre natürlichen Herren verloren hatten, und hingegen Leiber, die ihrer Köpf mangleten; etliche hatten grausam- und jämmerlicher Weis das Ingeweid heraus, und andern war der Kopf zerschmettert und das Hirn zerspritzt; da sah man, wie die entseelten Leiber ihres eigenen Geblüts beraubet und hingegen die lebendigen mit fremdem Blut beflossen waren.“

Die vielen einzelnen Kriege um die politische und religiöse Macht im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hinterließen vor allem in Deutschland Verheerungen und eine brutalisierte Bevölkerung. Wer gefoltert oder vergewaltigt worden war, war mit dem Glück davongekommen. Krieg, Hungersnöte und Seuchen hatten zwischen 1618 und 1648 die Bevölkerung ganzer Landstriche dramatisch dezimiert.

„Mit jeder Tat vernichtet man sich ein Stück weit selber“

Lukas Kummer macht in seiner Graphic Novel „Die Verwerfung“ daraus nichts anderes: Seine Geschichte begleitet das verwaiste Geschwisterpaar Krainer, das sich im Winterjahr 1646 durch eine apokalyptische Landschaft schleppt. Johanna gibt sich als „Harald“ aus und versteckt ihren Busen, weil sie sich der schwedischen Armee als Soldat andienen möchte; der kleine Jakob ist ihr dabei Ballast und zugleich die letzte Brücke zu jener Welt, in der Familie und Zärtlichkeit noch denkbar waren. Sie laufen an all den Galgenbäumen vorbei, auf denen die unterschiedlichen Armeen jeden aufgeknüpft haben, der ihnen in die Quere kam.

Kommen den beiden Söldner entgegen, verstecken sie sich unter Leichen. Sie hungern und frieren und begegnen einer irr Gewordenen, die die eigenen Zehen isst. Ihr Versuch, diesen Winter zu überleben, wird so zu einer Analogie für den Verlauf des Dreißigjährigen Krieges: Johanna und Jakob verwahrlosen im Angesicht des menschlichen und moralischen Morasts immer weiter, sodass auch bei ihnen, den Kindern, die Grenze zwischen den Opfern und Tätern dieser grauenhaften historischen Umstände nicht mehr zu erkennen ist.

Apokalyptisch: Das Cover des besprochenen Buches.
Apokalyptisch: Das Cover des besprochenen Buches.
© Zwerchfell

Der 1988 in Innsbruck geborene Kummer studierte bis 2014 an der Kunsthochschule Kassel. Seitdem arbeitet er als freier Illustrator und Storyboard Artist. Auf seinem Blog veröffentlicht er den Comicstrip „Inspektor Bunsenbrenner“, in dem sich Bunsenbrenner mit seiner Partnerin Fräulein Groschenlos ähnlich ungeschickt auf Verbrecherjagd begibt wie Blake Edwards’ Pariser Polizeiinspektor Jacques Clouseau.

Diese harmlose Welt Bunsenbrenners könnte nicht weiter entfernt sein von Kummers schwarzen-weißen, eindrucksvoll arrangierten Kriegserzählung. Die Augen der Kinder sind müde Schlitze, die Gesichter der anderen gemeine Fratzen und der Hintergrund stets weiß – auch grafisch sind die Bilder ohne Perspektive. Selbst in einem Moment der Sicherheit, als sie sich für die Nacht unter einem Boot verstecken, beschreibt Jakob die Ausweglosigkeit ihres Schicksals: „Mit jeder Tat, ob gut oder böse, vernichtet man sich immer ein Stück weit selber.“

Aus diesem Herz der Finsternis gibt es keine Rückkehr. Die Brutalität und der Horror, und das macht Lukas Kummers Geschichte nicht leicht zu lesen, haben genau wie damals keine Auflösung. Nicht erst am Ende seiner Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg wünscht man sich den Westfälischen Frieden herbei. Doch der ist auch da noch lange nicht in Sicht.

Lukas Kummer: Die Verwerfung. Eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg. Zwerchfell Verlag, Stuttgart. 119 Seiten, 20 Euro

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