Klassik-CD der Woche: Maria João Pires: Keine Kompromisse
Zum 70. Geburtstag der Ausnahmepianistin Maria João Pires sind in einer wohlfeilen 17-CD-Box jetzt noch einmal alle Einspielungen herausgekommen, die sie zwischen 1972 und 1987 bei der französischen Firma Erato veröffentlicht hat.
Der Sieg beim Beethoven-Wettbewerb 1970 in Brüssel öffnete ihr die Türen der wichtigen Konzertsäle, berühmt geworden aber ist Maria João Pires mit ihren Mozart-Interpretationen. Mit größtmöglicher Klarheit spielt die Portugiesin die Werke des Salzburger Genies. Alles wirkt organisch, und doch hat jeder einzelne Ton Sinn und Gewicht, keine Kontur wird verwischt, der Pedalgebrauch ist minimal. Wahrhaft visionäre Stückdeutungen sind das, aufgenommen in den Pioniertagen der Alte-Musik-Bewegung. Wobei Maria João Pires nie zu den Dogmatikern einer historisch informierten Aufführungspraxis gehörte. Sie spielt Mozart einfach so, wie sie ihn empfindet, auf einem modernen Konzertflügel, aber durchaus vom Hammerklavier her gedacht, mit Verve in den schnellen Sätzen und zarter Innigkeit in den langsamen.
Zum 70. Geburtstag der Ausnahmepianistin sind in einer wohlfeilen 17-CD-Box jetzt noch einmal alle Einspielungen herausgekommen, die sie zwischen 1972 und 1987 bei der französischen Firma Erato veröffentlicht hat. Musikalisch sind sie immer noch spannend – weil Maria João Pires’ Spiel nichts Modisches anhaftet. Sensibel und feinfühlig ist ihr Zugang zum Oeuvre jener Komponisten, denen sie ihr Künstlerleben gewidmet hat: Chopin und Schumann, Schubert, Bach, Beethoven und eben Mozart.
Mehrfach musste Pires als Studentin die Lehrer wechseln, bis sie einen Mentor fand, der sie nicht zur Virtuosin drillen wollte. Es war Karl Engel an der Musikhochschule in Hannover, der ihr Selbstvertrauen gab, sie in der Überzeugung bestärkte, dass es für den Interpreten nicht darum geht, sich zum Star zu machen, sondern dass die Persönlichkeit zunächst hinter das Stück zurücktreten muss. Am Ende dieses Forschungsprozesses kann dann durchaus eine ganz persönliche Deutung stehen. So modern Pires’ Mozart klingt, ganz von Bach her gedacht, so puderperückig spielt sie 1974 die Klavierkonzerte des Thomas-Kantors. Wunderbar zartgliedrig sind ihre Chopin-Konzerte (1977), wobei mehr als einmal die Sphäre der Saudade gestreift wird, jenes portugiesischen Nationalgefühls der bittersüßen Melancholie. Für die berühmten Walzer findet sie dann wieder agogisch sehr individuelle Lösungen (1984). Zum Urvater der Romantik schließlich macht die Pianistin Franz Schubert, mit viel Pedal und einem geradezu wattigen Klangbild (1985).
Die intensive Arbeit im Tonstudio war Maria João Pires stets wichtiger als der Live-Auftritt. Und doch hat sie nach 35 Jahren gerade ihren Vertrag mit der Deutschen Grammophon gekündigt, weil ihr die moderne Engführung von Kunst und Kommerz missfällt. Sie tadelt ihre Kollegen nicht – für sich selber aber schließt sie Kompromisse aus. Umso mehr darf man sich darauf freuen, dass Maria João Pires im November nach Berlin kommen wird, um mit der Staatskapelle an zwei Abenden Mozarts G-Dur-Klavierkonzert KV 453 zu erhellen.
Die CD-Box ist bei Warner erschienen.
Frederik Hanssen