Kultur: Katerjammer
„Down in Albion“: Pete Doherty zieht sich mit dem Debütalbum der Babyshambles aus dem Sumpf
Eigentlich sollte dies keine CD in einer ladenneu spiegelnden Plastikhülle sein, sondern eine Langspielplatte. Eine, deren Vinyl auf wilden Festen zerkratzen darf. Deren Cover vom vielen Draufpatschen speckig wird und Eselsohren bekommt. Das würde besser passen zu dieser Sammlung von bemerkenswerten Liedern eines außergewöhnlichen Popstars.
„Down in Albion“ ist das Debütalbum der Babyshambles, der neuen Band von Pete Doherty. Noch vor wenigen Monaten hätten nur Berufsoptimisten damit gerechnet, dass diese Platte jemals erscheinen würde. Denn der Kate-Moss-Freund, das Enfant terrible der britischen Popmusik, hatte es geschafft, gleichzeitig zum berüchtigtsten und berühmtesten Musiker Englands aufzusteigen. Mit seinem Kumpel Carl Bârat gründete er 2001 in London The Libertines, die schnell als große neue Punk-Hoffnung des Königreichs galten: Die kurzen, rotzigen, hoch melodischen Songexplosionen schienen ein Versprechen einzulösen. Allzu lange hatten die britischen Pop-Medien auf die neuen The Clash gewartet, auf würdige Nachfolger von den Smiths. Doch schon die zweite Platte wurde zum schmerzhaft schönen Dokument des Zerbrechens einer Freundschaft. Pete Doherty verfiel immer mehr den Drogen, es folgten Gefängnisaufenthalte, Therapieversuche, verwüstete Hotelzimmer und ein Einbruch im Apartment von Kumpel Bârat als trauriger Tiefpunkt. Vermutlich fehlte nicht viel, und Doherty wäre ein weiteres Mitglied in der Hall of Fame der Drogentoten des Pop geworden.
Man ist versucht, „Down in Albion“ (Rough Trade/Sanctuary) als Werk eines Gescheiterten zu hören: Was für ein Durcheinander unfertig wirkender Songskizzen. Lieder, die ständig zu zerbröseln drohen und dann doch entschlossen weitereiern. Ein Sammelsurium rachitischer Rhythmen und durchlöcherter Arrangements. Stolpernde, patschende Drums, unsauberes, dilettantisches Gitarrengeschrubbe, lachhafte Background-Chöre. Und dann Dohertys Gesang, der immer eine Spur neben der Melodie liegt: Katzenjammergesang. Die Texte sind vage autobiografisch eingefärbt, den Blues der letzten Jahre aufgreifend, allzu deutlich in „La Belle et la Bête“, in dem Kate Moss mit der für ein Supermodel typischen Nicht- Stimme ein paar Zeilen säuseln darf.
Aber das Kranke, Kaputte, Hässliche ist weniger als die halbe Wahrheit. Tatsächlich verbirgt sich im Chaos von „Down in Albion“ eine großartige Pop-Platte. The- Clash-Legende und Libertines-Produzent Mick Jones versteht viel davon, die spontane, ungerichtete Energie einer Band einzufangen. Die Babyshambles, neben Doherty sind das Gitarrist Patrick Walden, Drew McConnell am Bass und Adam Ficek am Schlagzeug, wirken denn auch zuweilen wie eine übermotivierte Schülerkapelle, wenn sie in Schräglage durch Dohertys Songs preschen. Aber da ist noch etwas anderes als das sympathisch unentschlossene Wanken zwischen Kneipenpunk („Killamangiro“), Reggae („Pentonville“), Neo-Britrock („Fuck Forever“) und Pogues-artigem Folk-Gegröle („The 32nd of December“). „Down in Albion“ ist lang, mit 16 Songs in 64 Minuten fast so lang wie beide Libertines-CDs zusammen. Und wundersamerweise wird die Platte zum Ende hin immer besser: „Albion“ ist eine zauberhafte, herzensrein gesungene Ballade, ein Liebeslied auf England, das man dem alten Crackhead Doherty nun wirklich nicht zugetraut hätte. „Back from the Dead“ kommt als lässig shuffelnder Gitarrenpop-Hit daher, der – man hat einen Ruf zu verteidigen – nach zweieinhalb Minuten kollabiert. Den Chorus von „Up the Morning“ schließlich, dem mit luftigen Gitarrengirlanden behängten, vielleicht schönsten Stück der Platte, möchte man vor Begeisterung aus dem Fenster schreien.
Pete Doherty dürfte mit „Down in Albion“ all jene enttäuschen, die im Gefolge seines ruinösen Lebens den kreativen Niedergang kommen sahen. Seine Lieder bezeugen durch Schönheit, Energie und grimmigen Humor den Überlebenswillen und das enorme Talent eines begnadeten Songwriters. Das ist viel mehr, als man von einem Verlorenen erhoffen konnte.
Jörg W, er
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