Hermann Glöckner in der Villa Grisebach: Kartons, Körper, Mähmaschinen
Die Villa Grisebach feiert den 125. Geburtstag von Hermann Glöckner mit einer großen Schau. Der Patriarch der Moderne beschritt stoisch seinen Weg durch zwei deutsche Diktaturen. Im Kunstmarkt ist er immer noch ein Geheimtipp.
„Millionenfach herzliche Glückwünsche für Walter Ulbricht“ titelte die Sächsische Zeitung am 1. Juli 1968. Hermann Glöckner versieht den Aufmacher ein halbes Jahr später mit einer schwarzen Diagonale. Streng linear zur einen, wie ausgefranst zur anderen Seite. Ein ebenso lapidarer wie prägnanter Strich durch die Propaganda-Rechnung. Zur Entstehungszeit hatte der Künstler seinen 80. Geburtstag begangen. Das Dresdner Kupferstichkabinett oder genauer gesagt dessen verdienter Direktor Werner Schmidt widmete ihm zum Jubiläum eine Ausstellung. Die erste offizielle zu DDR-Zeiten überhaupt. Von den Kultur-Funktionären der SED geduldet nur, weil Werke gezeigt wurden, die die Nazis verfemt hatten, wie Schmidt in einem Interview erläuterte.
So leise die Ironie der Zeitungsmontage, so stoisch hat Glöckner seinen künstlerischen Weg durch die zwei deutschen Diktaturen beschritten – „entartet“ in der ersten, „formalistisch“ in der zweiten. Hat nicht aufbegehrt, sich aber auch nie angedient. Schon gar nicht künstlerisch. Eine Haltung, für die der herausragende Einzelgänger bereits zu Lebzeiten den ehrfurchtsvollen Beinamen Patriarch der Moderne erhielt.
Seinen 125. Geburtstag feiert die Villa Grisebach mit einer retrospektiven Schau, die weit über das konstruktivistische Werk, mit dem Glöckner bekannt wurde, hinausweist. Zeitlich setzen die rund 150 Bilder, Tafeln und Faltungen, Collagen und plastischen Werke 1912 ein. Der „Wanderer mit Korb auf dem Rücken, auf baumbestandenem Weg“ steht noch im Zeichen einer traditionellen Figuren- und Naturauffassung. In der Verknappung jedoch lässt sich der geometrisch inspirierte Blick erahnen, mit dem Glöckner ab 1919 zur Abstraktion findet. Zwei schnurgerade, kahle Baumstämme rahmen den Wanderer.
„Zwei Profile, en face“ aus einer Cornflakes-Schachtel
Nicht geradlinig, aber doch bodenständig verlief das Leben dieses Jahrhundertkünstlers im Wortsinn. Die Geburtsstadt Dresden verlässt er erst 1986, ein Jahr vor seinem Tod, um zur Lebensgefährtin Traude Stürmer nach West-Berlin überzusiedeln. Glöckners künstlerische Wege hingegen bilden ein frei florierendes, geradezu überbordendes Geflecht, in dem sich Stile und Techniken höchst fruchtbar durchdringen. Die Landschaften – in denen Felder, Dächer oder eine „Mähmaschine vor dem Lugberg“ aus Rechtecken und Dreiecken erwachsen – vermögen diesen Reichtum des aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Künstlers ebenso zu belegen wie die Porträts. Ein neusachliches Frauenbildnis von 1927 lenkt die Aufmerksamkeit schon im Titel auf die winzigen, spitzwinkligen „Türme“.
Um 1958 schält sich ein menschliches Antlitz aus dem nun informellen Duktus, während die eigenwilligen Profile geometrische Formen mit Ausdruckskraft und Glöckners feinem Humor vereinen. Eine piktogrammartige Assemblage von 1959 deutet die Silhouette mit gebrochenem Band und das Auge mit einem Zylinder an. „Zwei Profile, en face“ lässt der 95-Jährige aus einer Cornflakes-Schachtel entstehen. In einer Wendetafel von 1935 wird das geritzte „Profil in Braun, auf rotem und gelben Grund“ von Keilen flankiert, die sich rückseitig zu abstrakten Formationen verdichten.
Aus den Grundformen variiert Glöckner ab den dreißiger Jahren sein kühnes „Tafelwerk“. Beidseitig bemalte oder beklebte Kartons, die der Künstler als Körper auffasst und mit denen er die Malerei zum Objekt, mithin ins Dreidimensionale transformiert. Gipfelnd in „Räumliche Brechung eines Rechtecks“ (1945): eine dünne Kupferplatte, die sich mit drei Faltungen zur hinreißenden Plastik erhebt. Die skulpturale Idee entstand ein Jahrzehnt zuvor. Was einmal mehr von Glöckners stilistischer Komplexität zeugt. Gelten die „Faltungen“, starkfarbige Papierarbeiten wie „Aufgipfelung in Rot“, die Schornsteinformen oder „Verzahnung von Keilen zwischen Streifen“, gemeinhin doch als Erfindung der sechziger Jahre.
Linien schweben und tanzen über das Papier
„Vielleicht hat mir im geometrischen Zeichnen das Freude gemacht, was sich später auch in der Natur fand, oder, anders ausgedrückt, ich habe in den geometrischen Formen schon damals etwas gesehen, etwas darin gespürt, was eben nicht bloß Geometrie ist“, so Glöckner in der 1983 erschienenen Monografie von John Erpenbeck. Es ist diese konstruktive Harmonie der Natur, die auch die „Schwünge“ des Spätwerks so faszinierend macht, in denen sich Konstruktivistisches und Informel zu einem minimalistischen Klang vereinen. Die Linien schweben und tanzen über das Papier. Manche als komplexe Choreografien, andere vereinzelt oder zu zweit, sich einander annähernd wie zu einer Kontakt-Improvisation.
Wenngleich Glöckner in den wichtigen Überblicksausstellungen prominent vertreten war, scheint er im westlich geprägten Kunstmarkt immer noch ein Geheimtipp, eine Entdeckung zu sein. Nicht zuletzt der fulminante Erfolg in der Villa Grisebach lässt darauf schließen. Bei Preisen zwischen 750 und 50.000 Euro waren bereits am übervollen Eröffnungsabend rund drei Viertel der Arbeiten verkauft.
Villa Grisebach, Fasanenstr. 25; bis 1. 11., Mo–Fr 10–18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr
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