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Idil Baydar (re.) mit ihren Figuren Gerda Grischke und Jilet Ayse
© Patrick Knoch

Idil Baydar: Kartoffeltipps von Jilet Ayse

Prollalarm: Idil Baydar mit ihrem Programm "Deutschland, wir müssen reden!" in der Berliner Bar jeder Vernunft.

Jilet Ayse kriegt die Panik. Sie hat gelesen, dass die Deutschen aussterben. „Aber wer zahlt dann mein Hartz IV?“ Nein, die Deutschen dürfen nicht aussterben. Deshalb nimmt Jilet Ayse ihre geballte Neuköllner Lebensweisheit zusammen und gibt den Kartoffeln ein paar Tipps zur Optimierung ihres Paarungs- und Erziehungsverhaltens: Nicht so viel reden, offensiver sein, auch mal mit Hausschuhen werfen.

Laut, prollig, geschmacklos – Jilet Ayse ist eine Art Cindy aus Marzahn mit türkischem Migrationshintergrund. Erfunden hat sie die 39-jährige Idil Baydar, die in Celle aufgewachsen ist, seit 17 Jahren in Berlin lebt und einige Zeit als Sozialpädagogin an der Rütli-Schule gearbeitet hat. Ihre Kunstfigur Jilet Ayse wurde erst durch ihre Internet-Clips bekannt, letztes Jahr war sie schon einmal in der Bar jeder Vernunft zu sehen, wo sie jetzt ihr Programm „Deutschland, wir müssen reden!“ präsentiert (wieder: 28.10., 20 Uhr).

Sie setzt darin das Konzept der Klischeeschleuder Jilet Ayse fort, was nach einer Stunde im Dauerfeuer ihrer Walla- Pointen ein gewisses Unbehagen auslöst. Spielt sie doch ständig die gleiche Tonleiter hoch und runter, ohne Ausbrüche oder Drehungen. Sie scheint davon auszugehen, dass sie durch die starke Überzeichnung des Stereotyps schon dessen Bruch erreicht. Dabei ist eher das Gegenteil der Fall. Ähnlich verhält es sich bei Bülent Ceylan, in dessen Show Baydar kürzlich zu Gast war. Sein Erfolg beruht auf einer noch extremeren Form der „Selbstkanakisierung“, die auf eine bösartige, auch ausbeuterische Verspottung weniger gebildeter Menschen türkischer oder arabischer Herkunft hinausläuft.

Eine Antithese zu Jilet Ayse entwirft Baydar im zweiten Showteil mit der Figur der rassistischen Kittelschürzen-Oma Gerda Grischke, die „auch mal sagen will, was Phase ist“. Schon klar: Sie und die Ghettogöre sind ähnlich reaktionär. Zum Abschluss dann ein krasser Wechsel des Metiers und des Tonfalls: In einem Video sagt Idil Baydar ein Gedicht über geschlagene Schwestern und bigotte Brüder auf. Es wirkt wie eine angeklebte Distanzierung von ihrer eigenen Show, als wolle sie noch schnell eine „Botschaft“ abschicken.

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