Gropius-Bau: Kalifornische Sonnen
Jenseits von Hollywood: Wie die Kunst nach Los Angeles kam. Die Ausstellung „Pacific Standard Time“ im Martin-Gropius-Bau zeigt Werke aus den Jahren 1950 bis 1980.
Brecht konnte Los Angeles nicht ausstehen. „Nachdenkend über die Hölle“ – wie der Exilant um 1940 ein Gedicht überschrieb – fand er, diese müsse „noch mehr Los Angeles gleichen“. Brecht kam bekanntlich nicht mit Hollywoods Filmindustrie zurecht. Mit Los Angeles – Hollywood wurde in Europa zum Synonym für die ganze Region – kamen viele nicht zurecht, die dort Zuflucht suchten. L. A. ist das Gegenbild zur Metropole New York, keine Stadt, sondern ein Netz vielspuriger Autobahnen, die Villenviertel von Slums trennen und endlose Suburbs von den Nobeladressen mit Blick auf den Pazifik.
Ein hartnäckiges Vorurteil lautet zudem, dass Los Angeles keine Kultur habe, im Besonderen keine Kunst. Hollywood, die ganze Unterhaltungsindustrie, ja, aber doch keine Kultur im Sinne von Europa oder eben auch von New York. Das Vorurteil ist derart hartnäckig, dass sich das renommierte Getty Center, wie eine Akropolis hoch über der dunstigen Ebene von Los Angeles thronend, zum Vorreiter – und mit zehn Millionen Dollar auch zum Finanzier – eines gewaltigen Ausstellungsvorhabens gemacht hat, das unter dem Titel „Pacific Standard Time“ im vergangenen Herbst rund 60 Kulturinstitutionen mit Kunstausstellungen im Großraum L. A. vereinte. Die Hauptschau „Kunst in Los Angeles 1950 –1980“, ausgerichtet vom Getty Research Center als Ergebnis jahrelanger Forschungsarbeit, ist nun nach Berlin gewandert und breitet im Martin-Gropius-Bau eine bislang unbekannte Kunstlandschaft aus. Mit Thomas Gaehtgens, dem Direktor des Getty-Forschungszentrums, sitzt ein früherer Berliner Universitätsprofessor und Pariser Institutsleiter an einem kulturellen Schalthebel der Region. Er schaut mit dem unvoreingenommenen Blick des Zugereisten auf die kalifornische Kunstszene, die bislang an ihrem Minderwertigkeitskomplex litt.
Gewiss, Los Angeles ist der zwischenmenschlichen Kommunikation nicht unbedingt förderlich – und schon gar nicht dem Kunstbetrieb, der die räumliche Nähe braucht wie in New York. Eine andere Sache ist es, die Hierarchie aufzubrechen, die die amerikanische Kunstgeschichtsschreibung über Jahrzehnte prägte, mit New York an der Spitze. „Südkalifornien brachte viele der gegenwärtigen künstlerischen Trends hervor“, ließ das Getty Center trotzig wissen, „doch die enorm reichhaltige Geschichte dieser Entwicklung bleibt weitgehend unbekannt.“
Der Besucher des Gropius-Baus tut gut daran, den Vergleich mit New York – der für die Entstehung des Projekts und vor allem die amerikanische Rezeption eine Rolle spielte – schlicht zu vergessen. Stattdessen muss Los Angeles als tatsächlich ganz und gar junge Stadt begriffen werden, als ein Niemandsland, das nach dem Zweiten Weltkrieg erst allmählich und unter großen Mühen zum Ort der Kunst heranreifte. Das Los Angeles County Museum of Art beispielsweise bezog erst 1965 sein eigenes Gebäude.
Bezeichnenderweise stammt das Gemälde, mit dem die Ausstellung beworben wird, von einem Zuwanderer – dem Engländer David Hockney. Seine Swimmingpoolbilder, hier „A bigger splash“ von 1967, haben die europäische Vorstellung eines Lebens unter Palmen ähnlich geprägt wie die Musik der Beach Boys. Und dann die Tankstellenbilder von Ed Ruscha, dem „kalifornischsten“ der hier vertretenen und meist weniger bekannten Künstler. Unter den großen Namen fehlt der von Richard Diebenkorn, der das gleißende Licht Südkaliforniens in seinen pastelligen Abstraktionen einfing. Von seinen Werken war keine Leihgabe zu erhalten, was die Schwierigkeiten beleuchtet, die dieses Ausstellungsvorhaben ansonsten bravourös gemeistert hat.
Stattdessen lenkt die Ausstellung, die den Kuratoren vom Getty zufolge für Berlin „völlig neu erarbeitet“ wurde, den Blick auf „zwei eigenständige Kunstrichtungen“ der Stadt: die geometrische „Hard Edge“-Malerei und die Skulptur aus Keramik. „L. A. war wirklich einzigartig in der Bedeutung der Keramik“, unterstreicht Kurator Andrew Perchuk. John Mason, Billy Al Bengtson oder Peter Voulkos arbeiteten eng zusammen und schufen – so das Begleitbuch – „das erste funktionierende Rollenbild, wie man als Künstler in L. A. erfolgreich sein konnte“. Nicht zuletzt trat diese Künstlergruppe durch ihren Machismo in Erscheinung, und so bildete sich seit den späten sechziger Jahren eine feministische Gegenbewegung mit Judy Chicago (siehe Text auf dieser Seite) an der Spitze.
Für die Berliner Präsentation ist ein „Berlin Room“ hinzugefügt worden – der nun der eindrucksvollste der Ausstellung geworden ist. Sam Francis, in den sechziger Jahren gefeiert, bemalte in seinem Atelier in Santa Monica für die Neue Nationalgalerie eine acht mal zwölf Meter große Riesenleinwand, die ursprünglich frei im Raum hing. Sie wurde alsbald eingerollt und lagert seither im Depot. Jetzt prangt „Berlin Red“ mit betörenden Farben und kontrastiert mit der Installation des 1994 verstorbenen Wahl-Berliners Ed Kienholz, „Volksempfängers“ von 1975/77, gleichfalls Eigentum der Nationalgalerie.
Die kalifornische Kunstkolonie fand nämlich weniger in den USA selbst als vielmehr in (West-)Deutschland Beachtung. Für die legendäre Kasseler Documenta 5 von 1972 gestaltete Ed Ruscha den Katalogumschlag, und Kienholz zeigte seine schockierende Großinstallation „Five Car Stud“. Sie konnte nicht nach Berlin transportiert werden.
Peter-Klaus Schuster, der ehemalige Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, schwärmt vom Katalog als einem „Kultbuch“, als „Anarchie in Buchform“. Anarchisch ist das Buch durchaus nicht, sondern eine wohlstrukturierte Fundgrube für Neugierige; andererseits aber auch kein Ausstellungskatalog. Ein Werkverzeichnis der Berliner Leihgaben sucht man vergeblich. Es ist eben ein Buch, das die Kunstlandschaft von Southern California vorstellt und akribisch aus Archivmaterial rekonstruiert, dem ganzen Kleinkram, der in drei Sälen der Ausstellung ausschnittsweise vorgeführt wird, etwa zu den wenigen prägenden Galerien wie der Ferus Gallery, die Los Angeles in den Jahren vor 1980 vorzuweisen hatte. Da ist das Getty Research Center auf der Höhe seiner Möglichkeiten, dessen Archiv in schwindelerregendem Ausmaß Dokumente zur Kunst sammelt.
Nun also ist die „Hölle“, die Brecht empfand, ein bisschen deutlicher zu erkennen. Doch sogar die fein komponierten Aufnahmen des Architekturfotografen Julius Shulman, der im Gropius-Bau eine Art „Ausstellung in der Ausstellung“ erhalten hat – die allein einen Besuch wert ist –, können die Hölle nicht unbedingt wohnlicher darstellen. Unter der gleißenden Sonne Südkaliforniens gedeihen die Künste allenfalls im zähen Kampf. Hollywood behält die Oberhand.
Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 10. Juni. Katalogbuch bei Hatje Cantz, 360 S., 38 €. – Umfangreiches Begleitprogramm unter www.gropiusbau.de
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