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Einer von uns. Josef wird von den Ägyptern aus dem Brunnen gerettet. Illustration zu einer Prophetengeschichte, Persien, 16. Jahrhundert.
©  Staatsbibliothek zu Berlin

"Gläubiges Staunen" im Pergamonmuseum: Kaleidoskop der Kulturen

Unbedingt noch hingehen: Die Ausstellung "Gläubiges Staunen" im Pergamonmuseum präsentiert Zeugnisse biblischer Traditionen im Nahen Osten - und erinnert an eine gelebte Vielfalt, die bedroht ist.

Ein Mann mit weißem Turban hat die Hand zum Schlag erhoben. Die beiden halbnackten, nur mit grünem Lendenschurz bekleideten Menschengestalten haben keine Chance, sie müssen gehen. Der Mann dreht sich noch mal um, will den Schlag abwehren. Die Frau ist schon in der Nähe der Tür. Von oben beobachtet ein geflügelter Engel die Szenerie. Es sind Adam und Eva, die das Paradies verlassen müssen, vom Zeichner als Garten mit weißen und roten Blüten imaginiert. Arabische Schriftzeichen umranken das Bild.

Arabische? Ja, genau: Diese Zeichnung ist, obwohl sie eine biblische Urszene zeigt, weder jüdischen noch christlichen, sondern islamischen Ursprungs. Sie entstand 1577 in Schiras im heutigen Iran. Verblüfft studiert man, mit welcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit der Islam einst zentrale Ereignisse der Bibel ins eigene Geschichtsverständnis inkorporierte. In einer von Konflikt, Terror und gegenseitiger Sprachlosigkeit geprägten Gegenwart erscheint das sehr lange her.

Zu sehen ist die Zeichnung in der Ausstellung „Gläubiges Staunen – Biblische Traditionen in der islamischen Welt“ des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum. Ein Titel, den man genau lesen muss, denn er bezieht sich nicht auf den Islam, sondern auf die islamische Welt. Nicht eine Religion steht im Zentrum, sondern ein Territorium: der vom Islam geprägte Kulturraum – in dem seit jeher auch Juden und Christen leben. Eine Nähe, die unweigerlich zur Vermischung führt. Gezeigt werden denn auch Artefakte und Handschriften christlicher Konfessionen, die seit vielen Jahrhunderten im Nahen Osten existieren: Syrer, Armenier, Äthiopier, Kopten. Die Objekte stammen aus den Beständen der Berliner Staatsbibliothek, der Sammlung Vollmer und des Museums selbst.

Viele Kopten benutzen Arabisch als Umgangssprache

Koptisch ist auch das älteste Objekt der Ausstellung, ein Kodex mit den Sprüchen Salomos aus dem 4. Jahrhundert. Die in Ägypten beheimateten Kopten sind mit acht Millionen Mitgliedern die größte christliche Gemeinschaft im Orient. Das bringt einiges an alltagspraktischer Anpassung mit sich. So kann man ein reich geschmücktes Antiphonar bestaunen, ein liturgisches Buch aus dem 18. Jahrhundert, geschrieben auf Koptisch – und zum besseren Verständnis zwischen den Zeilen auch auf Arabisch. Denn viele Kopten benutzen Arabisch als Umgangssprache.

Der Ausstellungstitel „Gläubiges Staunen“ ist eine auf den ersten Blick witzige, tatsächlich aber etwas schiefe Bezugnahme auf Navid Kermanis Bestseller „Ungläubiges Staunen“, in dem der Muslim Kermani als „Ungläubiger“ mit feinem Sinn für das aus seiner Sicht ganz Andere erzählt, wie er fassungslos vor den Kunstwerken der christlichen Welt steht, in der er als Kölner selbst lebt. Die im Pergamonmuseum präsentierten Objekte hingegen entstammen nicht wirklich einem „Staunen“, sie sind vielmehr Abdrücke einer zweifellos unermesslich tiefen Religiosität.

Armenien etwa wurde 301, noch vor dem Römischen Reich, der erste christliche Staat der Welt und entwickelte früh eine eigene Handschriftentradition. In einer Vitrine liegt aufgeschlagen der Anfang des Markusevangeliums mit der Aufzählung der Vorfahren Jesu, von denen jeder mit einem eigenen, bunt verzierten Porträt am Rand des Textes gewürdigt wird. Auch Äthiopien wurde sehr früh, um 350, christianisiert. Besonders beliebt waren hier die Psalmen, die vom Leben und Wirken König Davids handeln. Zu sehen ist ein überschwänglich und farbenreich ausgemalter Psalter, der David zeigt, wie er die Bundeslade nach Jerusalem bringt.

Die Bibel – das hebräische wie das christliche Neue Testament – ist natürlich der Grundtext, von dem auch in den östlichen Kirchen alles ausgeht. Eine hebräische Schriftrolle mit dem Text des Buches Ester, entstanden im 17. oder 18. Jahrhundert im Jemen, erinnert daran, dass das, was die Christen später als „Altes Testament“ bezeichnet haben, als Tanach eigentlich allem vorangeht und für Juden bis heute keineswegs „alt“ ist. Besucher aus Israel stehen vor der Vitrine und murmeln die historischen Verse leise mit. Daneben liegt ein Buch mit dem Text des Pentateuch, der fünf Bücher Mose, in samaritanischer Schrift. Die Samaritaner kann man, grob vereinfacht, als eine vom Judentum schon im 8. vorchristlichen Jahrhundert abgespaltene Religionsgemeinschaft verstehen, die nur den Pentateuch anerkennt. Aufgeschlagen ist jene Seite, auf der der aaronitische Segen abgedruckt ist. Die Passage ist von den rituellen Küssen der Gläubigen dunkel gefärbt wie ein Brandfleck. Wie viele Tausend Lippen müssen dieses Papier berührt haben! An keiner Stelle der Ausstellung wird anschaulicher, wie bedeutsam diese biblischen Texte für Ritus und Alltag sind.

Genuin islamische Artefakte gibt es nur wenige in der Ausstellung

Was aber ist nun mit dem Islam – und seinen biblischen Traditionen? Immerhin erzählt der Koran in Sure 19 von der Verkündigung Marias durch den Erzengel Gabriel, immerhin ist Jesus einer der wichtigsten Propheten des Islam vor Mohammed. Es sind nicht viele Exponate, die die Ausstellungsmacher direkt aus islamischen Werkstätten zusammentragen konnten, genauer gesagt sechs. Zu sehen sind – neben der eingangs beschriebenen Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies – etwa eine Zeichnung mit Moses (arabisch: Musa), der eine Schlacht beobachtet, entstanden im 17. Jahrhundert ebenfalls im Iran, oder von Josef (Yusuf), der aus dem Brunnen gerettet wird. Oft entstammen sie den Prophetenerzählungen (Qisas al-anbiya), einer eigenen Literaturgattung, die auf Arabisch, Persisch oder Türkisch das Leben der vorislamischen Propheten schildert und häufig mit Zeichnungen illustriert ist.

Etwas störend, da aus einem völlig anderen Kulturraum stammend, sind die zahlenmäßig in der Ausstellung sehr viel stärker vertretenen indischen Miniaturen aus der Mogulzeit des 16. Jahrhunderts mit christlichen Motiven. Der Eindruck entsteht, dass hier vor allem ein Mangel an genuin islamischen Artefakten kaschiert werden sollte. Trotzdem gelingt es dieser kleinen, auf nur drei Räume verteilten Ausstellung eine Ahnung zu vermitteln vom Reichtum islamisch-jüdisch- christlicher Tradition im Nahen Osten. Und von dem, was auf dem Spiel steht, wenn man diese gelebte Vielfalt, dieses Kaleidoskop der Kulturen zerreißt, die allen Krisen und Konflikten zum Trotz in vielen Jahrhunderten gewachsen und jetzt bedroht sind. Wo Islamisten nur eine einzige Deutung der Geschichte zulassen und alles andere ausrotten wollen, sind unsägliches menschliches Leid, Ruinen und geistige Versteppung die Folge.

Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum, nur noch bis 15. Oktober, Fr-Mi 10-18, Do 10-20 Uhr

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