Fotografie: Jürgen Schadeberg: Der neugierige Fremde
Johannesburg, Paris, New York. Zu Besuch bei dem großen Fotografen Jürgen Schadeberg, der nach Berlin zurückgekehrt ist.
„Ah, das ist unsere spanische Zugehfrau“, sagt Jürgen Schadeberg und unterbricht kurz seine Erzählung, die er mithilfe etlicher Fotobände auf seinem Sofa vor dem Besuch ausbreitet. Schadeberg lauscht in den Flur hinein. „Meine Frau spricht kein Spanisch und schlecht Deutsch und die Zugehfrau kein Englisch.“ Er kichert wie ein Junge. „Das ist immer lustig, wenn die zwei sich unterhalten.“ Der 80-Jährige hat einen Sinn dafür, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Und er hat ein Auge für kleine Begebenheiten, auch mitten in seiner eigenen Wohnung.
Aber eigentlich geht er immer da hin, wo es wehtut. Bekannt geworden ist der Fotograf für seine Bilder aus dem Südafrika der fünfziger Jahre. Damals arbeitete er bei dem schwarzen Lifestyle-Magazin „Drum“, als einer von wenigen Weißen in der Redaktion. Zusammen mit dem investigativen Reporter Henry Nxumalo gab er dem Blatt eine politische Note, fotografierte gegen die Ungerechtigkeit des Apartheidregimes an, hielt das Leben in den Townships von Johannesburg und die Musikszene in den Jazz-Clubs Sophiatowns fest. Es heißt sogar, er habe die Dokumentarfotografie in diesem Land erst etabliert. Dabei war er gerade mal 19 Jahre alt, als er vom Schiff kam.
Schadebergs Lebenswerk wird nun in einer Ausstellung im Willy-Brandt-Haus gezeigt. Neben Fotos aus Afrika sind darunter seine Serien aus Arbeiterviertel in Glasgow und London oder Berlin zur Zeit des Mauerbaus. Es ist ein Willkommensgruß an den Fotografen. Denn nun ist er in die Stadt zurückkehrt, in der er 1931 geboren wurde.
Vor fünf Monaten sind Schadeberg und seine englische Frau Claudia, eine Filmproduzentin, mit der er zusammen mehrere Dokumentationen gedreht hat, nach Wilmersdorf gezogen. Ihre verwinkelte Wohnung sieht so aus, als lebten sie bereits fünfzig Jahre hier. Bücher reihen sich an Bücher, Vasen, Uhren, Möbelchen. An den Wänden hängen Schadebergs eigene Fotos, gleich am Eingang ist ein Raum mit seinem Archiv eingerichtet, in denen Abzüge lagern. Es gibt eine Dunkelkammer und im Keller 400 gerahmte Bilder. Ein ganzes Leben hat sich hier auf den Regalen und Tischchen abgesetzt. Warum er wieder zurück nach Berlin gekommen sei? „Hier ist die Großstadt. Und wir brauchen eine große Wohnung“, sagt Schadeberg. So einfach ist das.
Vorher hatten er und seine Frau einige Jahre in einem Dorf bei Paris gelebt. Und davor überall in Europa, ein Jahr lang in New York. Durch Berlin geht er nun wieder mit großen Augen. „Es gibt so viele Touristen hier und so viele Exzentriker“, findet er. Vielleicht braucht Schadeberg die Umzüge zu gegebener Zeit. Damit er überall mit dem Blick des neugierigen Fremden ankommt.
Obwohl. Südafrika lässt ihn immer noch nicht los. Denn die Apartheid sei zwar vorbei, Missstände gebe es aber immer noch genug, sagt er, der kein Bild nur des Bildes wegen schießt. Viele Hochhäuser um Johannesburg sind verlassen, abgeschnitten von Strom und Wasser, rund hundert seien es noch, schätzt Schadeberg. Landbevölkerung siedelt sich dort an, die Lebensumstände sind katastrophal. Und doch werden die Bewohner immer wieder vertrieben. „Von einer Firma, die von offizieller Seite angefordert wurde“, erzählt Schadeberg. „Vor allem vor der Fußball-WM wollte man nicht, dass Touristen das entdecken.“ Also ist er einmal selbst dort hingefahren, in diese grauen Ghettos.
Schadeberg macht schöne Fotos, ohne zu beschönigen. Überall steckt Komposition, selbst wenn die einfache Behausung eines armen Arbeiters abgebildet ist. „Wenn ich will, dass man mein Bild einfach lesen kann“, sagt der Fotograf, „dann muss ich eben auf solche Dinge wie Bildaufbau achten. Wenn Sie wollen, dass man Sie versteht, müssen sie ja auch grammatikalisch richtig schreiben.“ Eine Fotografie aus der Ausstellung, aus dem Kapitel fünfziger Jahre in Südafrika: Eine Gruppe Polizisten geht an einer Ladenzeile entlang, noch können sie nicht die zwei jungen schwarzen Männer am rechten Bildrand sehen, die sich flach an eine Mauer drücken. Schadeberg war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um vom Kontrollstaat ein Bild zu schießen.
Oder eine andere Aufnahme: 1994, Nelson Mandela kehrt nach Robben Island zurück, an den Ort seiner 27 Jahre dauernden Gefangenschaft. Schadeberg begleitet ihn, er hatte den Kämpfer gegen die Apartheid schon als jungen Anwalt in dessen Kanzlei porträtiert. Nun also lehnt der erste schwarze Präsident Südafrikas lässig an den dicken Gittern seiner Zelle, ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Das Bild ging um die Welt.
Doch um staatstragende Motive hat sich Schadeberg nie geschert. Im Institut Français stellt er parallel zur großen Retrospektive eine Serie über ein französisches Dorf aus. Der Ort zählt 600 Einwohner und faszinierte den Fotografen wegen seines blühenden Gemeinschaftslebens quer durch die Generationen. Schadeberg dokumentiert Flohmärkte, Tanztees, Theaterabende, Festumzüge und Jahrmärkte. „Verschwindende Welt“ hat der Fotograf das Projekt genannt. „In Paris wollte das keine Galerie zeigen. Da hätte ich wohl Bilder aus einem Dorf in Afghanistan mitbringen müssen“, sagt Schadeberg. Dabei wollte er endlich einmal eine positive Geschichte erzählen.
Eines seiner ersten Bilder entstand während des Zweiten Weltkriegs in einem Luftschutzkeller: seine Nachbarn, Akkordeon und Bier. Schadeberg ist am Kurfürstendamm aufgewachsen, er erzählt gern von früher. Zum Beispiel wie er mit der Straßenbahn immer zum Kempinski gefahren ist, weil es dort auch ohne Lebensmittelmarken einen Eintopf gab, „mit zwei Kartoffeln, Kohlrabi und einem Knochen im Teller.“ Oder wie ein Freund der Mutter, ein Boxer, ihn in ein Fitnessstudio schleppte, dessen Besitzer auch Max Schmeling trainierte. Aus Schadeberg kommt wieder dieses Jungskichern: „Er sagte: Du bist zu schmächtig.“ Mut fehlte ihm dagegen nie.
Eine Journalistin hat kürzlich zu ihm gesagt, seine Bilder hätten etwas Religiöses. Da ist etwas dran. Die Art, wie er seine Bilder aufbaut, die gestaffelten Figurengruppen, auf die ein schräges Sonnenlicht fällt, sein ruhiger, zutiefst menschenliebender Blick. „Vielleicht ist das Quatsch, was Sie da sagen“, meinte er damals zu ihr. Schadeberg weiß, was er kann und was er geleistet hat. Er freut sich über Komplimente und ist ein sehr höflicher Mensch. Aber er sieht sich dann doch eher als Reporter denn als Künstler.
Retrospektive, Willy-Brandt-Haus, bis 15.1.2012, Di-So 12-18 Uhr. Portraits d’un village français – Verschwindende Welt. Institut Français, bis 15.1. Mo 14-18 Uhr, Di/Fr 14-19 Uhr, Mi/Do 12-19 Uhr, Sa 11-15 Uhr.
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