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Kate (Clémence Poésy) in „The One Below“.
© The One Below Ltd.

Panorama Berlinale 2016: Jungs kosten mehr als Mädchen

Meist sind es Regisseurinnen, die sich in Filmen mit Baby-Wünschen und Baby-Dramen auseinander setzen. Im Panorama der Berlinale sind auch Filme von Männern vertreten. Hier werden Mütter zu Monstern.

Abtreibung, Leihmutterschaft, gestohlene und verkaufte Babys: Das traditionelle Kleinfamilienmodell Vater-Mutter-Kind hat ausgedient – Dokumentationen und Spielfilme in allen drei Hauptsektionen der Berlinale befassen sich mit dem Babythema, von Anne Zohra Berracheds „24 Wochen“ bis zu „Mãe só há uma/Don’t Call Me Son“ der bereits letztes Jahr im Panorama gefeierten brasilianischen Regisseurin Anna Muylaert.

Es sind mehrheitlich Regisseurinnen, die sich dieser Themen annehmen, und irgendwie wundert man sich darüber nicht. So hat die Amerikanerin Rebecca Miller mit wunderbarer Leichtigkeit eine Komödie inszeniert, in der Greta Gerwig, Julianne Moore und Ethan Hawke brillieren. „Maggie’s Plan“ erzählt von Kontrollsucht und Kinderwunsch, von Verliebt- und Verlassenheit, von drei Erwachsenen, die sich redlich bemühen, in unterschiedlichen Kombinationen miteinander zu leben und ihren insgesamt drei Kindern dabei gerecht zu werden. Am Beginn aller Verstrickungen steht Maggies Plan, ein Kind ohne Beziehung zu kriegen, und als der ausersehene Samenspender ihr vorschlägt, wenigstens die konventionelle Zeugungsmethode anzuwenden, lehnt sie freundlich, aber bestimmt ab. Gleichzeitig verliebt sie sich in John, einen Uni-Kollegen, der aber mit Georgette verheiratet ist und bereits zwei Kinder hat. Drei Jahre später leben John und Maggie und ihre Tochter zusammen.

Rückerstattung an die Ex-Frau

Wunderbar lakonisch lässt Rebecca Miller, die ihr eigenes Script verfilmt hat, das Trennungsdrama, das sich zwischen John und Georgette abgespielt haben muss, einfach aus und zeigt stattdessen, was aus einer großen Liebe geworden ist: Maggie muss nicht nur für ihre Tochter, sondern auch für ihren Mann sorgen, der seit Jahren an seinem Roman arbeitet – Ende nicht absehbar. Er langweilt sie, und sie überlegt, wie sie ihn seiner Ex- Frau, mit der er ohnehin oft telefoniert, unauffällig zurückerstatten könnte.

Rebecca Miller hat im gentrifizierten Teil Brooklyns gedreht, zwischen Öko- Märkten und schicken Galerien, und sie macht sich gleichermaßen über die Biederkeit der akademischen Mittelschicht wie über den Kontrollwahn der sich für unabhängig haltenden Frauen und die Egomanie der dazugehörenden Männer lustig. „Maggie’s Plan“ – eine unbedingte Empfehlung für einen vergnüglichen Kinobesuch und ein aussichtsreicher Kandidat für den Panorama-Publikumspreis.

Kinder kaufen

Ganz anders gehen die Protagonisten in der sorgfältigen Dokumentation „Inside the Chinese Closet“ der Italienerin Sophia Luvará die Frage der künstliche Befruchtung an. Luvará hat in Schanghai und in der chinesischen Provinz gedreht, wo der schwule Andy und die lesbische Cherry leben. Andys Vater und Cherrys Mutter wissen Bescheid, und sie drängen ihre Kinder, eine Scheinehe einzugehen beziehungsweise für Enkel zu sorgen, auf welche Weise auch immer. Es ist sehr rührend zu beobachten, wie der geduldige, freundliche Andy immer wieder Lesben trifft, die das gleiche Problem haben wie er, und wie sich stets herausstellt, dass Scheinehe und Kinderkriegen schon an einfachen Fragen scheitern: Wessen Name soll das Kind tragen? Was erwarten deine Eltern von mir?

Währenddessen besucht die energische Cherry ihre Eltern auf dem Land, wo die Mutter unverblümt berichtet, zu welchen Preisen die Krankenhäuser unerwünschte Kinder verkaufen. Jungen kosten mehr als Mädchen.

Mütter als Monster

Sophia Luvará hat einen Heiratsmarkt für Schwule und Lesben besucht, ihre Protagonisten zu zweifelhaften Therapeuten begleitet und ihre Telefongespräche mit Baby-Vermittlungsagenturen dokumentiert. Sie konterkariert Bilder der elegant-futuristischen Silhouette Schanghais, wo Andy in einem Appartement mit fantastischer Aussicht wohnt, mit solchen vom Dorf, das sich mit seinen einzeln stehenden Höfen seit Jahrzehnten kaum verändert zu haben scheint. Es sind genau diese beiden Pole, zwischen denen die chinesische Gesellschaft laviert, und das sicher nicht nur in ihrem Umgang mit Schwulen und Lesben.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass zwei Horror-Filme zum Thema doch wieder von Männern inszeniert wurden – es sind düstere Fabeln über Frauen, deren überwältigender Kinderwunsch sie zu Monstern werden lässt. In der britischen Produktion „The Ones Below“ sehen sich die beruflich erfolgreichen prospektiven Eltern Kate und Justin plötzlich mit neuen Nachbarn konfrontiert, die ebenfalls ein Kind erwarten. Zwischen den Paaren entsteht Spannung, weil Kate die wilde Begeisterung ihrer Nachbarin über die bevorstehende Mutterschaft nicht teilt. Immer wieder sieht man sie am Fenster stehen und die vor Gesundheit strotzende schöne blonde Frau beobachten, die mit Kleidern in Komplementärfarben auf einem künstlich aussehenden Rasenstück im Stil des fotografischen Hyperrealismus inszeniert ist. Kates Zweifel prallen an der glatten Oberfläche ab.

Und der dänisch-iranische Regisseur Ali Abbasi erzählt in seinem beinahe klassisch zu nennenden klaustrophobischen Waldmärchen „Shelley“ von einer rumänischen Haushaltshilfe, die bald zur Leihmutter für ihr dänisches Arbeitgeberpaar wird. Es geht um Ausbeutung und Aneignung der Ressourcen der Schwellenländer durch die arrivierten westlich-kapitalistischen Systeme – so jedenfalls kann man diese in Blut und Mord endende Geschichte interpretieren, oder auch als Allegorie auf die Kräfte der Natur, die nun einmal nicht durch den Menschen zu kontrollieren sind. Und vielleicht geht es darum sogar in allen diesen Filmen, was dann auch wieder nicht zufällig wäre.

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