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Achternbusch
© Teichmann/laif

Herbert Achternbusch: "Jetzt muss ich noch fliegen lernen"

Auf dem Münchner Filmfest läuft derzeit eine Retrospektive mit seinen 28 Filmen. Der Gesamtkünstler Herbert Achternbusch spricht mit dem Tagesspiegel über Gott, die Welt, die CSU - und den Trend zum Bilderfurz.

Herr Achternbusch, auf dem Münchner Filmfest gibt es eine Retrospektive aller Ihrer 28 Filme . . .

. . . diese Journalisten! Jahrelang hat sich niemand für mich interessiert. Jetzt kommen sie wieder daher, nur weil ein Event stattfindet. Ein echtes Interesse an meiner Arbeit ist das doch nicht.

Vielleicht ändert die Retrospektive daran ja etwas.

Auf dem Münchner Filmfest? Das hat doch die CSU gegründet. Allerdings ist das Filmfest zuletzt wesentlich besser geworden. Sagen Sie mal, was könnte denn das Gegenteil von Erzählkino sein?

Ein poetisches Kino, eines, das vor allem mit Assoziationen arbeitet?

Vielleicht. Aber im Erzählkino geht es auch nicht ohne Assoziationen und ohne Poesie. Nein, es ist alles nur noch eine Frage der Verkäuflichkeit: wie man sich in möglichst viele Hirne einschleimt.

Sind die Sehgewohnheiten denn mittlerweile so verfestigt, dass kaum mehr ein anderes Kino möglich ist?

Ja. Da kann man heute nichts mehr machen. Alle sind so stolz auf diese Sehgewohnheiten, weil sie schon am Anfang der Filmgeschichte 20 Jahre gebraucht haben, um sie einzubürgern. Erst konnten die Menschen mit Film gar nichts anfangen. Dann kam der Ton – eine Art Untergang für das Kino, weil das Gesprochene, dieses Dahingeschwätze, immer banal ist. Bilder dagegen lassen dir Freiheit. Im Kino gibt es keine Freiheit mehr. Da bist du einfach eingespannt.

Haben Sie zuletzt gar keinen Film gesehen, der Ihnen ein wenig Hoffnung macht?

Eigentlich nur alte Filme. Aber was heißt schon Hoffnung? Der neue „Indiana Jones“ zum Beispiel ist nicht ganz so aufgebrezelt mit Technik – und sofort schreiben die Journalisten, das sei altmodisch. Der Filmjournalismus schleckt nur noch an die Zuschauer hin. „Das da ist Mist. Und das da ist besser, das hat nämlich mehr Geld eingebracht.“ Irgendwann geht das alles in die Luft.

Die Kritiker schreiben im vorauseilenden Gehorsam für Publikum und Produzenten?

Natürlich! Das sehe ich gerade jetzt. Auf einmal gibt es ein gewisses Interesse, weniger an meinen Filmen als an mir. Früher hieß es nur: „Ach, der wieder! Der hat uns gerade noch gefehlt!“

Um da zu widersprechen, bin ich zu jung. Das Früher, das Sie meinen, habe ich noch nicht mitbekommen.

In den letzten Jahren war ja nichts mehr von mir zu sehen. Ich wollte in meiner Arbeit immer die einfachen Leute erreichen, die Landbevölkerung. Aber dann merkt man: Die können das nicht verstehen. Und warum nicht? Weil sie nicht denken können. Warum können sie nicht denken? Weil sie keine Zeit dafür haben. Warum haben sie keine Zeit? Weil sie soviel arbeiten müssen und dann auch noch saufen. Da gibt es keinen Ausweg.

In Ihrem letzten Film „Das Klatschen der einen Hand“, der 2002 im Kino lief, wird erfolglos versucht, einen großen Stein zu bewegen und in einen Teich zu stoßen. Ein Bild für die Vergeblichkeit der Kunst?

Wir konnten den Stein damals wirklich nicht in den Teich werfen. Es hätte geplatscht und wäre lustig geworden, aber der Stein liegt heute noch da oben. Zufällig ist ein Arbeiter vorbeigekommen, der den Teich angelegt hat. Er meinte: „Seid's ihr blöd? Es war ganz schön anstrengend, den Stein da oben hin zu schaffen.“ Diesen Film zu drehen, hat mir eine Menge Spaß gemacht. Wir haben nur zwei Tage dafür gebraucht. In dem gezeigten Haus haben wir ein Theater, wo wir noch nie ein Stück aufgeführt hatten. Überall läuft irgendein Schmarrn. Da haben wir uns gedacht, wir machen ein Theater, auf dem nicht gespielt wird.

Theaterstücke gab es in den letzten Jahren von Ihnen ja einige zu sehen.

Ich habe immer lieber Filme gemacht, da hat man alles bis zur letzten Sekunde in der Hand. Ein Stück dagegen muss irgendwann seinen eigenen Weg gehen, deshalb muss man auf die Sprache mehr achtgeben. Der sprachliche Leib ist vorgegeben. Ob ein Regisseur das dann verhunzt, ist mir egal. Die Urform kann ja jeder nachlesen. Ins Theater selbst aber gehe ich nie. Da geht man in ein Haus, in dem Millionen verpuffen! In den Siebzigern hatten sie Wasser auf der Bühne, jetzt ist es Blut. Für mich ist das alles Scheiße. Wenn Theater nicht Sprache ist, dann ist es nur noch Gekleckse. Dann sollen sie doch Malerei machen.

Dieser Tage habe ich in Passau eine Ausstellung mit Ihren Bildern angeschaut. Sie malen große Zyklen in wenigen Tagen, wie in einem Schaffensschub.

Damit nichts verschwindet. Das sind Intuitionen, die bei mir ganz schnell wieder weg sein können. Aber jetzt mag ich nicht mehr malen, mir fällt nichts mehr ein. Ich habe kein Geld für einen Film. Schreiben tue ich auch nicht mehr, nicht einmal mehr Briefe. Da bin ich ganz widersetzlich. Jetzt muss ich noch das Fliegen lernen, damit ich bis zur nächsten Häuserzeile komme und nicht gleich auf die Straße falle, falls ich mich mal umbringen will. Sagen Sie mal, Bayerisch sprechen Sie gar nicht?

Ich bin zwar hier aufgewachsen, habe mir das Bayerisch aber abgewöhnt.

Sie sprechen auf jeden Fall kein Herrschaftsdeutsch. Es gibt ja so Männer, die reden vor sich hin wie Offiziere, egal, ob über Philosophie oder Politik. Da kann ich gar nicht zuhören, weil ich mir immer denke: Was machst du da mit deinem Maschinengewehr im Mund? Diese Sprache hat die CSU voll drauf. Aber auch die müssen irgendwann verschwinden.

Im Herbst feiern Sie Ihren 70. Geburtstag. Hat sich Ihre Haltung zur Religion und zur Kirche verändert?

Laufend. Für diese Idioten sollte man gar keine Geduld und kein Geld mehr haben. Die nützen uns nur aus. Kein Mensch kann mehr an Gott denken, weil überall die katholische Kirche ist. Schauen Sie mal hinein in den Katechismus! Sowas darf es doch gar nicht geben! Einen Film wie „Das Gespenst“ würde ich heute gar nicht mehr machen. Da drin stecken noch echte Gefühle. Jetzt ist da in Bezug auf die Christen gar nichts mehr.

Und ein Ersatz für den Katholizismus?

Die bessere Religion ist der Buddhismus, weil er auf dich als Mensch zugeht. Die Katholiken gehen ja immer nur auf ihre Lehrmeinung zu. Der Buddhismus sagt: Ohne Menschen gibt es uns nicht. Die Katholiken würden nie sagen, dass es ohne uns keinen Christus gäbe. Früher hatten sie die Gewalt, jetzt haben sie ihre Lehrmeinungen und dann tun sie noch so schüchtern und pseudo-marxistisch! Die Religion ist unser Untergang. Vielleicht auch der Religionsersatz, aber das kann ich nicht beurteilen. Im Denken bin ich nicht der Beste, aber ich kann ganz gut empfinden. Wenn man kein Gut oder Schlecht empfinden kann ohne Lehrmeinung, dann wird es grauenhaft.

Bei Ihrem Christusfilm „Das Gespenst“ haben Ihnen die Gerichte spät bescheinigt, dass er nicht blasphemisch sei. Hilft das im Nachhinein?

Blasphemisch waren damals die Reaktionen. Eine Filmvorführung ist eine reine Handlung, egal, was für ein Film gezeigt wird. Damals hat es ja einige Christusfilme gegeben, aber meiner war, glaube ich, fast der Beste.

Was halten Sie denn von den recht erfolgreichen neuen bayerischen Heimatfilmen?

Die Filme habe ich mir alle angeschaut – sogar zweimal, um mir sicher zu sein. Ein furchtbarer Mist, auf der großen Welle der Verblödung! Das läuft sich ganz sicher leer. Meine Tochter – sie wird 14 – hat übrigens gesagt, ich darf vor Journalisten nicht über andere Regisseure schimpfen. Deshalb nenne ich jetzt keine Namen, aber man wundert sich schon. Das ist alles Selbstbefriedigung.

Heute könnte man mit all der digitalen Technik doch viel einfacher Filme drehen und vielleicht auch mehr ausprobieren.

Ach, die Härte des Machens hat auch etwas Gutes. Wenn man diese 35mm-Mühlen herumschleppen muss und das ganze Material: Das ist alles Widerstand. Heute geht alles so einfach. Da lässt du einen Furz und kannst ihn danach in allen Farben einfärben. Die Welt mag möglichst leicht untergehen.

Das Gespräch führte Karl Hafner.


Herbert Achternbusch, geboren 1938 in München, ist alles andere als ein Spartenkünstler. Seit seinem Kino-Debüt Das Andechser Gefühl (1974) hat er rund 30 radikal subjektive, ästhetisch sperrige Filme und 20 Theaterstücke geschaffen – und sich dabei immer wieder lustvoll mit der CSU angelegt. Höhepunkt: der Skandal um den als blasphemisch bezeichneten Jesus-Film Das Gespenst (1982). Nach zehnjährigen Prozessen obsiegte er – und musste auch nicht 300 000 DM Filmförderung zurückzahlen. Das gestern eröffnete Münchner Filmfest (noch bis 28. Juni) würdigte den streitbaren Sohn der Stadt mit einer Retrospektive.

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