Pet Shop Boys Album "Elysium": Jenseits der Tanzfläche
Dieser Pop will Ewigkeit: Diese Woche stellen die Pet Shop Boys ihr nachdenkliches Album „Elysium“ im Berliner Hebbel am Ufer vor und zeigen, dass jenseits der 50 erst das wahre Musiktalent beginnt.
Zwei Männer, ein Gedanke: Neil Tennant und Chris Lowe haben es sich als Pet Shop Boys seit jeher zur Aufgabe gemacht, vermeintlich simple Popsongs mit präzisen Momentaufnahmen zu verbinden. In skizzenhaften Szenen und Klangcollagen beschwören sie Bilder, die auch nach fünf, zehn oder gar 25 Jahren noch funktionieren. Unverdrossen klicken die Absätze aus „West End Girls“ in den Ohren, noch immer hängen die leicht bedrohlichen Gebetsformeln aus „It’s a Sin“ über dem Disco-Donner. Tennant rattert Namen wie Che Guevera, Harold Pinter oder Gerhard Richter herunter, als wären das Säufer aus der Bar nebenan. Und stellt Beobachtungen über Konsumismus, Katholizismus und Snobismus an, die erstaunlich magenfreundlich verpackt und radiotauglich sind.
Popgiganten, Hitmaschinen – und Kulturkritiker. Bei dem britischen Duo gerät jedes Album unter Genieverdacht. Dabei ist das Personal in den Liedern von Chris Lowe und Neil Tennant mitunter sehr gewöhnlich. Auf Album Nummer elf, dem am Freitag erscheinenden „Elysium“, tauchen auf: verwirrte Taxifahrer („Your Early Stuff“), aufgehuschte Feierhedonisten („Invisible“), eine Stylistin auf einem Motorrad – und als Stargäste Malcolm McLaren und Bryan Ferry („Requiem“). Die Handlungen spielen auf Partys, einem Begräbnis und einem Take-That-Konzert. Das will man hören!
Sänger Neil Tennant, Mitte 50, hat in den vergangenen vier Jahren seine Eltern verloren, und eine langjährige Mitarbeiterin des Pet-Shop-Boys-Kosmos starb vor ein paar Jahren. Diese beiden Ereignisse bilden die Eckpunkte des neuen Albums. Der Opener „Leaving“ setzt den Ton. Er handelt von vertrauten Menschen, die nicht mehr bei uns sind, aber unser Handeln geformt haben.
Das Abschlusslied „Requiem in Denim and Leopard Skin“ ist die gelungene Beschreibung einer Begräbnisfeier, auf der die Gäste das turbulente Leben der Verstorbenen Revue passieren lassen, und die Gefeierte knattert am Ende auf einem Motorrad fröhlich gen Himmel. Oder auf die elysischen Felder, auf denen in der griechischen Mythologie die würdigen Toten leben. Dort treffen alle wieder aufeinander. „There’s a place beyond this world“, heißt es in „Breathing Space“.
Vordergründig geht es um Abschied und hintersinnig um erfülltes Dasein. Darin ist „Elysium“ genauso wie der Vorgänger „Yes“ ein unbedingtes Bekenntnis zur Gegenwart, nur in ein stilleres Klangbild verpackt. Das ist nicht der mit Campness verzierte Durchmarsch auf die Tanzflächen der Welt. Wer das sucht, ist bei der aktuellen Platte der Scissor Sisters sehr viel besser aufgehoben. Nein, „Elysium“ liegt der Stimmung eines Frank Ocean näher, seinen verrätselten Liebesgeständnissen und schummrigen Arrangements.
Trumpfte das letzte Pet-Shop-Boys- Werk mit optimistischen Synthiebeats auf, mit einer Stimmung wie auf einer sommerlichen Sonntagnachmittagsparty, verdüstert sich der Himmel hier wie auf einem Aperitiv im Dämmerlicht. Das Album passt zum melancholischen Absacker – es wird zwar auch geschunkelt, aber so richtig drehen Neil Tennant und Chris Lowe nicht auf.
Höchstens in den Texten. Tennant war es nach eigenen Angaben leid, von Taxifahrern ständig auf die achtziger Jahre angesprochen und für künstlerisch scheintot erklärt zu werden. Als er sich mal wieder auf dem Weg zur BBC befand, um mit Chris Lowe im Fernsehen aufzutreten, schrieb er einfach die als Kompliment gemeinten Worte seines Fahrers mit: „You’ve been around/ but you don’t look too rough/ And I still quite like some of your early stuff.“
Daraus wurde ein gewohnt bissiges und verhalten elektronisches Lied über Ruhm, Erfolg und Vermächtnis. Auch eines über künstlerische Aufgabe? Ist die Platte ein Schwanengesang? Nein, nein, haben die beiden dementiert. Angeblich schreiben sie bereits wieder an neuen Liedern.
Im vergangenen Jahr haben Tennant und Lowe bei Take-That-Konzerten eine große Feier zwischen Fans und Musikern erlebt. Das Duo spielte im Vorprogramm der früheren Boyband (obwohl auch die alten Boys rund 100 Millionen Platten verkauft haben). Bei diesen Konzerten fiel den Pet Shop Boys auf, dass sie noch nie eine Midtempo-Nummer geschrieben hatten, so ein Zwitterding zwischen Kuschelballade und Disco-Stampfer. Also komponierten sie „Winner“, eine Fingerübung, die sie eigentlich nie veröffentlicht wollten – bis sie nach Los Angeles gingen.
Zum ersten Mal nämlich hat das britische Popduo in den USA aufgenommen. Und noch eine Premiere: Zum ersten Mal stand ein Hip-Hop-Produzent an den Reglern. Andrew Dawson gewann für seine Mitarbeit an Kanye-West-Alben bereits diverse Grammy-Trophäen. In Kalifornien setzte sich Dawson drei Monate mit den Musikern ins Studio, hörte sich ihre Demos an und befand „Winner“ für absolut hittauglich. Doch auch gestandene Produzenten-Größen können irren: Das Lied wurde zu einer der am schlechtesten verkauften Singles der Band.
Die gute Nachricht: Dawson hat auf das für ihn typische Geziepe und Gepiepse von Vocodern verzichtet. Wir hören hallende Synthies, abgehackte elektronische Flächen und Pieptöne, die als Beats funktionieren (besonders gelungen auf „Invisible“). Es gibt eine Gospelnummer („Hold On“) und einen Titel mit vorsichtigen Achtziger-Disco-Anleihen („Face Like That“). Nur eines gibt es nicht: einen richtig knalligen Hit. Auf „Elysium“ reihen sich zwölf Lieder aneinander, die von leisen Tönen leben. Für Pet-Shop-Boys-Verhältnisse ist die Platte fast sperrig geraten.
Seit einigen Jahren leben die Briten teilweise in Berlin, wer Glück hat, kann Neil Tennant am Sonntagvormittag in der Panoramabar begegnen, wo er Prosecco auf Eis schlürft und Elektro hört. Oder er sieht beide, wie sie dem atonalen Irrsinn lauschen, den manche Bands in der Berghain-Kantine veranstalten. Viele der Lieder haben laut Neil Tennant in Berlin ihren Anfang genommen. Erstmals taucht die Stadt auch in den Lyrics auf. „In Berlin you’re dancing to techno“, heißt es in einem neuen Titel.
Ihre Verbundenheit zur Stadt – und zum wichtigen deutschen Plattenmarkt – beweisen die Engländer am Mittwoch, wenn sie exklusiv ihr Album in der deutschen Hauptstadt vorstellen. In der Reihe „Electronic Beats by Telekom“ spielen sie im Hebbel am Ufer, ein Ereignis, für das nur online Karten verlost wurden. Der Andrang war so groß, dass das Konzert nun auch online übertragen wird.
Dass sie sich für die Album-Premiere ausgerechnet das verhältnismäßig unglamouröse Kreuzberg gewählt haben, gehört zu den Unberechenbarkeiten, die zu ihrem lang anhaltend Erfolg beigetragen haben. Und sie bis ins Londoner Olympiastadion gebracht haben: Auf der Abschlussfeier der Spiele sangen sie „West End Girls“ in einer Art Science-Fiction- Rikscha und mit fantasievollen Kostümen des Modedesigners Gareth Pugh. Herrlich untragbar, wunderbar künstlerisch. Und es war wieder ein Moment, in dem man spürte: In den Köpfen der Herren Tennant und Lowe stecken noch viele grandios verrückte Ideen.
„Elysium“ erscheint am 7.9. bei EMI. Live-Übertragung des ausverkauften Konzertes am 5.9. im HAU auf www.electronicbeats.net
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