Annette und Rudolf Kicken im Interview: Jede gute Fotografie hat ihr Geheimnis
Dreißig Jahre im Business: Annette und Rudolf Kicken über Wertewandel, neue Käufer und den globalen Markt
Was unterscheidet den Fotogaleristen von einem gewöhnlichen Kunsthändler?
RUDOLF KICKEN: Eigentlich nichts. Das sind ganz normale Menschen, die sich der Kunst verschrieben haben. Vor dreißig Jahren war das anders, als die Fotografie in Deutschland noch nicht als künstlerisches Medium akzeptiert war. Insofern war die Eröffnung einer Fotogalerie wichtig, weil es noch keine fotografische Infrastruktur gab. Zwanzig Jahre weiter werden wir wohl keine reinen Fotogalerien mehr haben.
Wodurch wachsen die beiden Bereiche, Kunst und Fotografie, zusammen?
ANNETTE KICKEN: Immer mehr Sammler erwerben heute verschiedene Medien. Sie kaufen Malerei, Skulptur und zeitgenössische Fotografie und sammeln von dort aus rückwärts: beginnend bei der Becher-Schule hin zur Neuen Sachlichkeit. Auch in den Museen, bei Themenausstellungen, hängen auf einmal Fotografien dazwischen.
RUDOLF KICKEN: In den USA ist die Mischung seit den Achtzigern üblich. In meinen Anfängen kamen höchstens bei einer Man-Ray-Ausstellung die Besucher von der Malerei in die Fotoabteilung herüber, obwohl es dieselbe Galerie war.
ANNETTE KICKEN: Für die Verschränkung beider Bereiche sorgt auch der wachsende Erfolg von Künstlern wie Stephen Shore, die in den Siebzigern, Achtzigern bei reinen Fotogalerien waren und nun zu Händlern wechseln, die auch andere Medien vertreten. Das einzige Problem besteht darin, dass in der Vintage-Fotografie ein enormes Fachwissen erforderlich ist. Aber gerade darauf kommt es an – jetzt, wo die Preise steigen und es zunehmend Fälschungen gibt.
Ist also eine Gleichstellung von Fotografie und Kunst erreicht?
RUDOLF KICKEN: Nur nicht bei der Mehrwertsteuer. Fotografie ist immer noch nicht als Kunst akzeptiert und kostet durch die 19-prozentige Mehrwertsteuer heute umso mehr. Gleichzeitig müssen wir Künstlersozialversicherung bezahlen und nun auch das Folgerecht.
ANNETTE KICKEN: Fotografie ist ein Splitterwesen: Bei der Mehrwertsteuer ist sie Nichtkunst, bei der Künstlersozialkasse und beim Folgerecht ist sie Kunst.
RUDOLF KICKEN: Eine schizophrene Situation: Jeder Museumsdirektor, der einen Gurski kauft, müsste im Grunde ins Gefängnis wandern, weil er das Geld nicht für Kunst ausgibt, sondern für Fotografie. Da Fotografie keine Kunst ist und er das Geld für Kunst ausgeben müsste …
Ihre Klage vor rund zehn Jahren wurde vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen. Würden Sie es noch einmal versuchen?
RUDOLF KICKEN: Wir haben in den letzten Jahren bis zum Kanzler hin Briefe geschrieben und Leute in der Kulturpolitik zu aktivieren versucht. Aber es heißt immer: „Herr Kicken, hören Sie auf mit Ihrem leidigen Thema.“ Es gibt eben keine Lobby. Der Großteil der teuren Arbeiten wird ohnehin nicht in Deutschland verkauft; insofern ist es kein Thema. Auch der Bundesverband der deutschen Galerien interessiert sich nicht dafür, denn dort wird befürchtet, dass am Ende auch für „normale“ Kunst 19 Prozent bezahlt werden muss. Gerade angesichts der gestiegenen Preise müsste man die Galerie eigentlich ins Ausland verlegen, nach Zürich oder New York.
Woher kommt das wachsende Interesse an Fotografie?
ANNETTE KICKEN: Die Fotografie bekommt endlich die Aufmerksamkeit, die ihr als Medium der Kunst immer zugestanden hat. Noch vor 20, 30 Jahren hätten Bilder von Umbo auf der Müllkippe landen können.
RUDOLF KICKEN: Haussmann-Fotos lagen hier in Berlin auf dem Flohmarkt, in einer Kiste.
Warum sind wir jetzt erst sensibilisiert?
ANNETTE KICKEN: Deutschland war ein Zentrum der fotografischen Avantgarde; in den Zwanzigern und frühen Dreißigern gab es engagierte Museumsdirektoren und private Sammler. Mit dem Nationalsozialismus kam der Bruch, danach hat es gedauert.
Heute gibt es Fotoauktionen auch auf dem deutschen Markt. Das Auktionshaus Lempertz trennt künftig allerdings Fotografie und Fotokunst. Was halten Sie davon?
RUDOLF KICKEN: Das ist Quatsch. Dahinter steckt die alte Frage: Ist Fotografie Kunst? In New York käme niemand auf die Idee, hier zu trennen.
ANNETTE KICKEN: Und wo verliefe dann die Trennungslinie: bei den Bechers, Diane Arbus oder Man Ray?
RUDOLF KICKEN: Ein Kunstwerk ist ein Kunstwerk ist ein Kunstwerk. Da ist egal, ob es gemalt, in Bronze gegossen oder in Beton ausgeführt ist. Bei Video sagt auch keiner, Heimvideo und Kunstvideo.
Erfüllen die Preisrekorde auf Messen und Auktionen Sie nicht auch mit Angst?
RUDOLF KICKEN: Nach Eröffnungen in Basel oder Miami haben wir oft gesagt: „Es ist erschreckend gut gelaufen.“ Dennoch ist die Fotografie im Verhältnis zu anderen Medien noch unterbewertet. Auch dort haben Meisterwerke ihren Preis. Denken Sie an den „Satiric Dancer“ von André Kertész, den wir für zwei Millionen Euro auf der Art Basel hatten. Davon gibt es sechs Stück auf der Welt, fünf sind im Museum. Mich erfüllen eher die Hedgefonds mit Sorge. Wir haben von Treffen der Manager vor den großen Auktionen gehört. Preisabsprachen, die sind eine Gefahr.
In Europa sind die Preise für Fotografie moderater als in den USA. Müsste es da nicht hier mehr Verkäufe geben?
RUDOLF KICKEN: Es kommt darauf an. Viele Leute haben noch nicht realisiert: Der Kunstmarkt war einer der ersten globalen Märkte überhaupt, der sich unglaublich erweitert hat durch das Internet, das billige Reisen. Das ist der Vorteil der Globalisierung: Auf der einen Seite kann man gut einkaufen, auf der anderen gut verkaufen, wenn man weiß, wo die entsprechenden Märkte sind. Für Spitzenwerke gibt es sowieso nur einen Preis, und der ist global.
ANNETTE KICKEN: Der Markt funktioniert in beide Richtungen: Man kann zu viel bezahlen, aber ebenso günstig Werke finden, die eigentlich unterbewertet sind.
RUDOLF KICKEN Das liegt daran, dass viele mit den Ohren kaufen, nicht mit den Augen. Voraussetzung aber ist das Wissen. Das Auge lässt sich trainieren.
Viel zu sehen und zu lernen gibt es auch in Ihrer Jubiläumsschau mit Werken von Eugene Atget bis zu Wols (bis 17. 2.). Aber wo haben Sie Ihre eigenen Vorlieben?
RUDOLF KICKEN: Für uns gibt es keinerlei Festlegung. Nur die Ausstrahlung eines Bildes zählt. Das kann sowohl ein Schnappschuss sein, den wir für einen Euro irgendwo finden, als auch der Kertész für zwei Millionen. Eines der wichtigen Dinge in der Fotografie ist, dass das Einzelwerk zwar als Bild stark sein muss. Wird es aber in Relation gestellt – und darum ist Sander auch so gut –, also wenn zwei gute Bilder nebeneinander hängen, wird es noch besser.
Klingt das nicht etwas mystisch?
RUDOLF KICKEN: Jedes gute Kunstwerk hat sein Geheimnis. Außerdem muss es sexy sein.
Wie bitte?
RUDOLF KICKEN: Das Wort Aura ist wohl besser. Man muss einfach vor einem Bild stehen und dann sagen: „Wow!“ Wie oft haben wir eine spannende Abbildung zugeschickt bekommen, und als wir es dann wirklich sahen, war nichts mit „Wow“, sondern alles weg. Das ist so, das kann man nicht erklären. Zum Glück.
Das Gespräch führte Nicola Kuhn.
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