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Am Tisch der reichen Leute: Bankersgattin Carla (Valeria Bruni Tedeschi) hat das Sagen.
©  movienetfilm

"Die süße Gier" im Kino: Italien kann sehr kalt sein

In „Die süße Gier“ erzählt Regisseur Paolo Virzi in aller Schärfe von der Habgier unter Bankern und Maklern - und lässt dem Publikum wenig Illusion hinsichtlich der Erbarmungslosigkeit des Kapitalismus.

Giovanni Bernaschi (Fabrizio Gifuni) ist schlank und sportlich, sein akkurater Haarschnitt lässt sich mit einer energischen Bewegung der manikürten Rechten jederzeit korrigieren, sofern der unerwarteterweise mal die Fasson verlieren sollte. Giovanni Bernaschis Haltung ist aufrecht, elastisch, sprungbereit, und über seine Kleidung müsste man kein Wort verlieren, trüge der Mann sie nicht mit solch müheloser Eleganz. An seinem Arbeitsplatz hat die Sekretärin auf High Heels die gleiche Funktion wie der beflissene Assistent und sogar die Aussicht vom Dachgeschoss des Hochhausturms: Alles repräsentiert Geld in seiner materialisierten Form, alles ist Schauwert für Leute, die ihr Geld investieren wollen, um sich Gleiches oder noch Schöneres leisten zu können. Und dabei hilft ihnen Giovanni Bernaschi.

Er ist das personifizierte Böse in diesem Film, der sich noch nicht einmal mit den schlimmsten Auswüchsen der neoliberalen Wirtschaftssysteme beschäftigt und dessen Gewinner und Verlierer unsentimental beschreibt. Nicht zufällig spielt er im Winter in der norditalienischen Lombardei mit ihrer Hauptstadt Mailand. Abseits aller Italien-Klischees zeigt „Die süße Gier“ die isoliert auf Hügeln liegenden Anwesen der Reichen, die Einfamilienhaussiedlungen der Mittelschicht, den gehobenen und den verkommenen sozialen Wohnungsbau und kennzeichnet so die jeweiligen Milieus.

Virzi zeichnet ein Bild von Kälte und totaler Isolation

Dabei entsteht ein Gesamtbild von Kälte und totaler Isolation. Dass die reale Lombardei Sitz der rechtspopulistischen Lega Nord ist, die seit Jahrzehnten für die Unabhängigkeit der reicheren Regionen vom Zentralstaat Propaganda macht, verwundert dabei genauso wenig wie die Tatsache, dass dort schon im Spätmittelalter der Lombardkredit – Geld gegen bewegliches Pfand – erfunden wurde.

Der Film schildert die durch Habgier herbeigeführte Zerstörung zweier Familien: Der mittelständische Makler Dino (Fabrizio Bentivoglio) hat es zu bescheidenem Wohlstand gebracht, aber nachdem er durch seine Tochter Serena mit der reichen Familie Bernaschi in Kontakt gekommen ist, genügt ihm das nicht mehr. Als er dort zum Tennis eingeladen wird, findet er Gefallen an dem locker wirkenden Umgangston, dem beiläufig gereichten Imbiss, der Männerkumpanei in Bademänteln – und erst recht an der schönen, eleganten Hausherrin Carla. Dass Dino dem großen Bernaschi beim Tennis zum Sieg verhalf, lässt ihn vom sozialen Aufstieg träumen und in dessen Fonds investieren – Geld, das er nicht hat.

"Die süße Gier" lässt dem Publikum wenig Illusion

Carla (zerbrechlich und sorgsam indifferent: Valeria Bruni Tedeschi) kämpft ihrerseits gegen die Langeweile an und möchte als ehemalige Schauspielerin ein vom Abriss bedrohtes Theater retten. Das Geld ihres Mannes würde ihr das ermöglichen. Ein halbes Jahr später jedoch sieht alles ganz anders aus: In der dunklen Winternacht, mit der die Geschichte beginnt, wird ein Radfahrer totgefahren und im Schnee liegen gelassen. Das Unfallauto ist schnell identifiziert: Es ist der nagelneue SUV ihres Sohnes Massimo. Aber hat Massimo ihn auch gefahren?

Aus Dinos, Carlas und Serenas Sicht wird das halbe Jahr vor dem Unfall rekapituliert. Alle drei sind in ein Geflecht aus moralischer Verkommenheit, Verrat, Korruption, Schwäche und Arroganz verstrickt, und am Ende zeigt sich, wer welche Schuld auf sich geladen hat. „Die süße Gier" lässt dem Publikum wenig Illusionen hinsichtlich der Erbarmungslosigkeit des Kapitalismus. „Ihr habt auf den Ruin des Landes gesetzt, und ihr habt gewonnen“, sagt Clara einmal zu ihrem Mann. „Wir“, korrigiert er, sie einbeziehend, „wir haben gewonnen.“

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