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Bereit für neue Zeiten. Hosen-Frontmann Campino 2015 bei einem Konzert
© Axel Heimken/dpa

Die Toten Hosen in Berlin: Irrsinnig selig

Verlässlich wie eine Schrankwand: Das Konzert der Toten Hosen in der Berliner Max-Schmeling-Halle.

Da sind wir also alle wieder, hören die alten Lieder. Und etliche neue, von denen „Unter den Wolken“ vielleicht am besten ausdrückt, worum es den Toten Hosen im 35. Jahr ihres Bestehens geht. Jedenfalls ist es einer der mächtigsten Songs, den sie je geschrieben haben, was man am Freitagabend in der Berliner Max-Schmeling-Halle schon daran erkennen kann, wie Gitarrist Kuddel van Holst sich konzentrieren muss, um ihn nicht zu versenken. Er legt verwehende Akkorde in den Toten-Hosen-Radau, Dreiklangzerlegungen, wie sie zum Markenzeichen von U2 geworden sind, vielfach kopiert, und die auch hier wunderbar passen, um dem Frust über bedrohte Freiheitsrechte eine hoffnungsvolle Note abzugewinnen.

Sicher, als Erwiderung auf Reinhard Meys Geografielehrer-Hymne „Über den Wolken“ taugt der Song nicht, der sich auf dem im Frühjahr erschienenen Album „Laune der Natur“ fand. Aber er bündelt, was die Band um Sänger Campino vor allem als Liveband mittlerweile auszeichnet: hart und direkt zu sein und den eigenen Ärger in erinnerungswürdige Popmomente zu verwandeln. In diesem Fall durch die von Kuddels Gitarre abtropfenden Wehmutstöne.

Dass es um eine Freiheit geht, die immer weiter eingeschränkt wird von aufstrebenden autoritären Systemen, berührt den Kern der in den bleiernen Helmut-Kohl-Jahren groß gewordenen Düsseldorfer Spaß-Punk-Truppe. Eine Referenz an die frühen Achtziger setzt die gleich an den Anfang des beinahe drei Stunden dauernden Konzerts. „Wir sind bereit“ ist genau die Art räudiger Straßenpunk, die den Toten Hosen schnell zu blöd wurde. „Wir hängen rum und warten auf die neue Zeit“, kreischt Campino mit dem damals üblichen Ekel, „gebt uns Gewehre für den letzten Streit.“

Der Barrikaden-Schlachtruf steckt immer noch in ihnen, wollen sie sagen. Tatsächlich haben ihn die Schulkumpel Breiti, Andi, Kuddel und Campi nie besser hingekriegt als heute. Schnell, gnadenlos und mit dem Druck eines versierten Rock-Drummers wie Vom Ritchie. Aber gut sind die mittlerweile über 50-Jährigen vor allem darin, Momente des allgemeinen Wohlbefindens zu erzeugen, bei denen ebenso exzessiv gerauft wie für das Gute eingetreten werden darf. Was auch immer deprimierend sein sollte, und da fällt Campino als Erstes „der Manager ist tot“ ein in Erinnerung an den Weggefährten Jochen Hülder, es wird umgeschmiedet in ein laut vernehmliches Ja! Schließlich wird den Abend ein Song beschließen, „Kein Grund zur Traurigkeit“, der eines weiteren Toten gedenkt. 2016 starb Ex-Drummer Wölli Rhode.

„Es ist auch mein Land“, singt Campino

Es ist womöglich dieser Familiensinn, der die Hosen stetig hat größer und für neue Generationen interessant werden lassen. Niemand soll vergessen werden, lautet Campinos Botschaft, auch nicht, wenn bei den Hochgeschwindigkeitsstücken der übliche Menschentaumel vor der Bühne entsteht und der Sänger ausdrücklich lobt, dass die Leute den Gestürzten sofort wieder aufhelfen würden. Er sagt sogar einmal an sein Publikum gewandt: „Dafür liebe ich euch.“

Das sind ungewöhnliche Worte für einen deutschen Musiker, und wer sie unverstellt auszusprechen vermag, ist wirklich ins Innerste des Pop vorgedrungen.

Die Stimmung bei diesem Berliner „Auswärtsspiel“ ist jedenfalls derart, dass sich alle mal wieder selig miteinander einig und irrsinnig verbunden fühlen. Und man seinem Nebenmann gerne die eigene Tote-Hosen-Sozialisation noch einmal erklärt. Es ist ja so, dass selbst Campinos Bob-Geldof-Moment nicht peinlich ist, wenn er gegen den grassierenden Nationalismus mit der Zeile ansingt: „Es ist auch mein Land“.

Souverän springt die Band kreuz und quer durch ihr Werk. Auf den aktuellen Klimakiller-Song „Laune der Natur“ folgt Campinos früherer Ratschlag an den eigenen Sohn, den Augenblick nicht zu versäumen, an dem er sein Leben noch ändern kann („Das ist der Moment“). Aber es gibt eben auch solche Songs, in denen sich Campino selbst vorrechnet, was es ihn kostet, keine dauerhafte Bindung eingehen zu können. Da träumt er dann, von einer „Schönen“ erschossen zu werden, er, „das Biest“.

In diese Lieder kann man mit seiner Schrankwand einziehen. Sie sind wie das Leben. Mal so, mal so. Kann man sich drauf verlassen.

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