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Nicht ohne meine Pfeife. Uwe Johnson bei einer Lesung Mitte der siebziger Jahre.
© picture alliance / Keystone

Brecht-Haus erinnert an Uwe Johnson: Ironie in Schiefhalsigkeit

In diesem Jahr wäre Uwe Johnson 80 Jahre alt geworden. Zur Erinnerung an den vor 30 Jahren verstorbenen Schriftsteller veranstaltet das Brecht-Haus jetzt eine ganze Woche mit Lesungen und Diskussionen.

Ein kurz geschorener Sitzriese in schwarzer Lederjacke unter einer Dachschräge, den Blick auf die mechanische Schreibmaschine geheftet, die er im Zehnfingersystem beackert: So ließ sich Uwe Johnson Anfang der 1960er Jahre in seiner Wohnung in der Friedenauer Niedstraße fotografieren. Damals befand sich der Mittzwanziger auf dem frühen Höhepunkt seines Ruhms. 1959 war bei Suhrkamp sein Debütroman „Mutmassungen über Jakob“ erschienen, an dem nicht nur das Doppel-S des Titels avantgardistisch war. Der überwältigende Erfolg veranlasste den am 20. Juli 1934 im vorpommerschen Cammin, heute Kamien Pomorski, geborenen und in Mecklenburg aufgewachsenen Uwe Johnson zu seinem unspektakulären Umzug von Ost nach West mit der Berliner Stadtbahn.

Der Roman sei „eine Welt, gegen die Welt zu halten“, resümierte er in der ihm eigenen Knappheit seinen Realismusbegriff. Mit diesem Motto haben Viviana Chilese und Greg Bond die Uwe-Johnson-Woche vom 3. bis 8. August überschrieben, die sie im Auftrag des Literaturforums im Brecht-Haus konzipierten. Den Auftakt bildet am Sonntag ein (ausgebuchter) Rundgang mit Michael Bienert durch die „Friedenauer Nachbarschaften – Johnson, Frisch, Grass & Co“.

25 Jahre nach dem Mauerfall, 30 Jahre nach Johnsons einsamem Tod im englischen Sheerness-on-Sea, das man im Rückblick als S.O.S. lesen kann, und anlässlich seines 80. Geburtstags scheint es Zeit für einen neuen Blick auf die historische Relevanz seines Werks. Die aus Ferrara stammende Germanistin Viviana Chilese promovierte über das Verhältnis zwischen Fakten und Fiktion in Johnsons Hauptwerk „Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl“ und dem Erzählfragment „Heute neunzig Jahr“, aus dem Nachlass herausgegeben von Norbert Mecklenburg. Er wird am 6. August über Johnsons Heimatbegriff diskutieren, andere Veranstaltungen stellen den leidenschaftlichen Briefpartner (4.8.), Lektor und Rezensenten (5.8.) vor.

Johnson war von protestantischem Pflichtethos geprägt

Im Mai 1964 hatte der als „Dichter der beiden Deutschland“ Gerühmte dem Tagesspiegel ein Angebot gemacht: Wenn sich die Zeitung entschlösse, das Programm des von der gesamten Westberliner Presse ignorierten „Deutschen Fernsehfunks“ der DDR abzudrucken, dann stünde er bereit, regelmäßig einzelne DFF-Sendungen zu rezensieren – eine Pioniertat.

Egal welchem Gegenstand sich Uwe Johnson widmete – er war von protestantischem Pflichtethos geprägt. Seine Briefe und Fernsehkritiken („Der 5. Kanal“, Edition Suhrkamp) wirken gedrechselt, atmen eine gewisse Kunstanstrengung, verbunden mit „norddeutscher Ironie in Schiefhalsigkeit“ – ein Kompliment, das er seiner wichtigsten Romanfigur Gesine Cresspahl zugestand. Ihm zu eigen waren der introvertierte Gestus des „Einatmens und Hinterlegens“ (Günter Eich), die noble Zurückhaltung, die sich in eigener Sache zum Kult der Diskretion steigerte.

Besonders gespannt darf man auf den Dokumentarfilm „Summer in the City" von Christian Schwarzwald und Robert Leacock, dem Sohn des berühmten Richard Leacock, sein, der am 7. August in Ausschnitten gezeigt wird. Er geriet nach der Ausstrahlung im NDR-Regionalprogramm 1969/70 in Vergessenheit. Im Stil des cinéma vérité erzählt der Film vom Leben unterschiedlicher sozialer Gruppen in New York, den Text schrieb Uwe Johnson und sprach ihn mit seinem sonoren Bass. Michael Blackwood, der Bruder des früh verstorbenen Regisseurs, hat sich aus New York angekündigt.

Wo die Erinnerung Bescheid weiß

An Uwe Johnsons wichtigste Lebensstationen ist die Literaturkritikerin Frauke Meyer-Gosau gereist. In ihrem Buch „Versuch, eine Heimat zu finden. Eine Reise zu Uwe Johnson“ (C.H. Beck) gelingt ihr die einfühlsame, jeglichem Voyeurismus abholde Rekonstruktion eines schwierigen Lebensweges, wobei das Buch für Johnson-Kenner nicht unbedingt Neues enthält. Ausführlich lässt sie die Einwohner des grauen Städtchens Sheerness zu Wort kommen, die den eifrigen Pub-Besucher „Charlie“ tauften.

Nein, Sheerness war für den Mecklenburger nicht der Ort, „wo die Erinnerung Bescheid weiß“, wie es in den heimwehversehrten „Jahrestagen“ heißt. Doch der Wasserliebhaber redete sich die Wahlheimat schön, aus jeder Kneipenbekanntschaft erwuchs ein Original.

Meyer-Gosau referiert auch das Ende seiner Ehe, das der pathologisch eifersüchtige Alkoholkranke in den Frankfurter Poetikvorlesungen „Begleitumstände“ höchst einseitig dargestellt hatte. Die Autorin hält noch einmal dagegen und lässt Johnsons geschiedener Frau Gerechtigkeit widerfahren. Mit 49 Jahren, nach dem mühevollen Abschluss der „Jahrestage“, erlag er einem Herzleiden. Begraben ist er auf einem Friedhof mit dem bezeichnenden Namen „Halfway Cemetery“.

Mehr unter www.lfbrecht.de

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