Interview mit Aino Laberenz: Irgendwo wirbelt Christoph herum
Aino Laberenz, Schlingensiefs Witwe, spricht im Interview über Afrika, die Biennale in Venedig und sein Vermächtnis.
Frau Laberenz, wann waren Sie zuletzt in Ouagadougou, auf der Baustelle des Operndorfs? Wie ist es, dort allein zu sein?
Anfang März war ich das letzte Mal dort. Ich versuche alle zwei Monate hinzukommen. Beim ersten Mal habe ich gedacht, vielleicht versteckt sich Christoph in Afrika, oder er holt mich vom Flughafen ab. Das war nicht leicht. Auf der anderen Seite war es schön, wieder auf der Baustelle zu sein. Immer wenn der Wind über das Gelände fegt, habe ich das Gefühl, Christoph wirbelt gerade herum.
Wie ist das Gefühl, in Afrika allein zu sein?
Anders. Hier in Berlin weiß man, wie man sich bewegt. Hier kann man zur Not jemanden anrufen. Dort ist man auf sich gestellt. Ich habe gemerkt, welche Verantwortung ich trage. Vor der Abreise hatte ich in Burkina Faso den ersten richtig schönen Traum von Christoph. Nach seinem Tod träumte ich anfangs nur vom Sterben und Loslassen. Horror. Aber dieser Traum hat mich noch drei Tage lang getragen. Es war, als hätte er mir gerade über den Kopf gestrichen. Das ist Afrika für mich. Ich bin ihm dort sehr nah.
Gab es Verabredungen zwischen Ihnen, was geschehen soll nach seinem Tod?
So offen, wie Christoph mit seinem Sterben umgegangen ist, hat er auch mit mir darüber gesprochen, was mit seinem Werk nach seinem Tod passieren soll. Für ihn war das Operndorf ein Projekt, bei dem er sich ab einem gewissen Zeitpunkt herausgerechnet hat. Er hat gesagt: Die Erfahrung ist toll, aber nun brauchen sie keinen Schlingensief mehr. Er hat etwas gesät.
Hat er auch bedacht, den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig vielleicht nicht mehr selbst vollenden zu können?
Die Nominierung hat ihn immens gefreut. Für ihn war das ein Ritterschlag, wie die Einladung nach Bayreuth. Er hatte schon Überlegungen angestellt, aber über die Fortsetzung haben wir nicht gesprochen. Ich habe schließlich bis zum Schluss an sein Leben geglaubt.
Warum haben Sie nicht versucht, den Pavillon in seinem Sinne zu vollenden?
Die Kommissarin des Pavillons, Susanne Gaensheimer, fragte mich zunächst, ob man die Ideen auf dem Stand der Dinge zur Zeit seines Todes realisieren könnte. Es gab zwar keine Zeichnungen, aber die hätte man vielleicht anhand seiner Gedanken entwickeln können. Christoph hatte ein afrikanisches Wellness-Zentrum geplant. Es sollte ein Becken geben, in dem man schwimmen kann und das man schwarz wieder verlässt. Für mich war die Umsetzung das Problem: Wie mache ich das, wie sieht dieses Becken aus? Ist es rund oder eckig? Christoph war nicht nur ein Regisseur, der Anweisungen gab, sondern zugleich Autor und Bühnenbildner, Schauspieler und Kameramann. Sein Werk ist ohne seine Präsenz schwer zu realisieren. Ich hätte in Venedig letztlich meine Ästhetik umgesetzt. Dann wäre es keine Arbeit mehr von ihm. Auch in Zukunft wird es keine unvollendeten oder neuen Arbeiten geben, es werden keine Projekte mehr ausgegraben. Nur sein Buch kommt noch heraus, das er so gut wie beendet hatte.
Operndorf, Venedig, das Buch: Hat Schlingensief zu große Aufgaben hinterlassen?
Ich habe mich auch schon gefragt: Mache ich mehr als vor Christophs Tod? Ich weiß es nicht. Auf eine Art und Weise mache ich das Gleiche. Es gab immer dieses Tempo. Christoph hatte eine unfassbare Fähigkeit, Dinge aufzunehmen und alles parallel weiterzuverfolgen. Anders als z. B. René Pollesch hat er diese Energie nicht im Theater gebündelt, sondern auch in die Oper und Kunst ausgestrahlt.
Wie viel Aino Laberenz steckt in Schlingensiefs Arbeiten?
Eine Frage ist, wie viel von anderen in Christophs Arbeiten steckt. Christoph hat wie ein Schwamm Ideen aufgenommen. Er hat immer Freunde befragt. Die andere Frage ist, wie viel von seinen Arbeiten in uns steckt, denn er hat uns zu vielen Ideen getrieben, er hat uns produktiv überfordert.
Beginnt in Venedig seine Musealisierung?
Christoph hatte kein Problem damit, im Museum vorzukommen, er war stolz darauf. Er wollte etwas Bleibendes hinterlassen, auch mit den Filmen. Er freue sich darauf, hat er einmal gesagt, wenn in 200 Jahren „Der Untergang“ gefunden wird neben seinem „100 Jahre Adolf Hitler“ und die Menschen sich fragen, was war jetzt die Realität. Die Frage lautet eher: Wie zeigt man seine Arbeiten ohne den Menschen, der so eins war mit seiner Kunst?
Die Kunstszene reagierte zunächst verwundert darauf, dass Schlingensief für den deutschen Pavillon nominiert wurde.
Das mochte auf manchen absurd wirken, war für ihn aber gerade deshalb normal. Im Film war er nie der Filmregisseur, seine Experimentalfilme wurden immer infrage gestellt. Mit seiner Berufung in die Jury der Berlinale 2009 hatte zuletzt auch da ein Umdenken stattgefunden. Im Theater hieß es: Der kann doch keine Personenregie. In der Kunst: Der ist doch kein Künstler. Und sein Buch sei zwar toll, aber er ist doch kein Schriftsteller. Das hat ihn nicht gestört, weil er selbst ja nie der Meinung war, er mache Theater, nur weil er im Theater ist, oder er sei Literat, nur weil er ein Buch schreibt. Ich hoffe aber sehr, dass sich der ein oder andere Vorbehalt durch die Entdeckung seiner Arbeit in Zukunft erledigt.
Christoph Schlingensief wurde lange nicht wirklich ernst genommen, erst mit Bayreuth schlug die Wahrnehmung um.
Richtig ist, dass sich mit Bayreuth seine Arbeit auch anderen Publikumskreisen geöffnet hat. Als er gestorben war, habe ich gemerkt, dass viele Menschen etwas verloren haben. Andererseits gab es immer Menschen, die mit seiner Arbeit nicht umgehen konnten. Oder Angst davor hatten. Es war typisch für Christoph, dass er alles zugelassen, nie vorgeplant hat. Es gab keinen Beipackzettel, wie etwas zu verstehen ist.
Nach Venedig gibt es keine Projekte mehr, außer Afrika. Konzentrieren Sie sich dann auf Ihre Arbeit als Kostümbildnerin?
Es gibt noch das Buch. Und es gibt Anfragen von Museen. Christoph hatte angefangen, mit seiner Galerie Editionen zu produzieren. In der Kunst wird er noch ein anderes Leben haben, das jetzt vielleicht gerade erst anfängt. Und ich mache weiterhin Kostüme.
Welche Folgen hat das für Ihr Leben? Sehen Sie sich als Künstlerwitwe, die sich ganz dem Werk des Verstorbenen widmet?
Witwe – das ist etwas, was ich noch gar nicht richtig verstanden habe. Ein Trauerjahr reicht mir auch nicht. Aber ich weiß, was Christoph mir wünscht. „Du bist noch jung“, hat er mir gesagt. „Ich habe schon so viel gemacht. Du musst dich auch noch entdecken, das ist dein gutes Recht.“ Zuerst aber würde er mir sagen: „Wenn Du daran kaputtgehst, höre sofort auf.“
Was bedeutet es, seine Alleinerbin zu sein?
Ich bin nicht nur die Erbin, weil ich seine Ehefrau war, sondern weil er mich bewusst in die Verantwortung gesetzt hat. Vor seinem Tod habe ich das so gar nicht registriert. Ich habe täglich darum gekämpft, dass er lebt. Daran habe ich bis zuletzt geglaubt. Deshalb bin ich immer noch in einem Schockzustand. Christoph war so lebendig bis zum Schluss. Der Tod macht einen sehr klar. Ich weiß, was ich will: dass er durch seine Arbeit noch lange lebt. Ich habe das Gefühl, ihn beschützen zu müssen. Das gilt nicht nur für Venedig und „Via Intolleranza“. Ich möchte ihn nicht verheizen. Ich bin sicher, dass seine Biografie auch in drei Jahren noch Leser findet. Für mich ist der Inhalt wichtig und nicht, einen Markt zu bedienen.
So denkt der Kulturbetrieb im Allgemeinen nicht. Es kann nicht schnell genug gehen.
Das ist legitim, das ist kein schlimmer Gedanke. Ich unterhalte mich auch mit seiner Galerie, denn ich weiß, was sie von mir wollen: Ab welchem Zeitpunkt kann man Arbeiten von ihm verkaufen? Mit dem Kunstmarkt ist Christoph schon vorher umgegangen und hat an Sammler verkauft. Der deutsche Pavillon in Venedig wird allerdings sein Bild als Künstler prägen. Das macht mich durchaus nervös.
Hat Christoph Schlingensief Ihnen Kraft hinterlassen, all dies zu schaffen?
Auf jeden Fall. Allein dadurch, wie er mit dem Sterben umgegangen ist. Ich habe Respekt davor, wie offen er damit war. In allen Entscheidungen, die ich jetzt treffe, ist er präsent, weil er auch mir gegenüber so offen war. Ich muss mich nur an ihn halten. In der Woche, bevor er gestorben ist, habe ich ihn gefragt, ob ich mit ihm weiter reden kann, wenn er nicht mehr da ist. Natürlich, hat er geantwortet, mir wird doch sonst langweilig.
Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Rüdiger Schaper.
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