zum Hauptinhalt
213959_0_f5dc8bea
© Mike Wolff

Neue Kunsthalle: Invasion der Blütenträume

Kreuzberger Setzlinge: Im Blumenmarkt gegenüber vom Jüdischen Museum könnte ab 2010 eine Kunsthalle entstehen. Jetzt gibt es einen Probelauf. 65 Künstler testen die Halle am kommenden Wochenende.

Getreu der Kampagne des Großen Vorsitzenden Mao Zedong „Lasst hundert Blumen blühen“ sprießen in Berlin gegenwärtig nur so die Kunsthallen: als „Halle am Wasser“ am Spreekanal hinter dem Hamburger Bahnhof, als „White Cube“ auf dem Schlossplatz neben der Ruine vom Palast der Republik, im ehemaligen Kraftwerk Mitte auf Initiative von Dimitri Hegemann, und nun in Kreuzberg – passenderweise in einer Blumengroßhalle, gleich vis-à-vis vom Jüdischen Museum. Dort, wo gegenwärtig noch riesige Regale voller Pfingstrosen, Lilien und Nelken blühen, soll am Wochenende die Kunst ihre Blüten treiben. Zumindest anderthalb Tage lang als Vorgeschmack auf das, was ab 2010 hier dauerhaft installiert werden könnte, wenn der Blumenmarkt die 6000 Quadratmeter große Halle verlässt, um in der Beusselstraße neben den Gemüsehändlern ein neues Quartier zu beziehen.

Alice Ströver, Vorsitzende des Kulturausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, stellte gestern gemeinsam mit Helmut Riethmüller vom benachbarten Forum Berufsbildung und Ulrich Klopsch vom Jüdischen Museum den seit längerem von der Grünenpolitikerin propagierten Kunststandort vor. Der Überraschungseffekt ist der von ihr begründeten „Initiative Berliner Kunsthalle“ gelungen, denn den 1965 von Bruno Grimmel entworfenen Zweckbau auf einem insgesamt 25 000 Quadratmeter großen Areal hatte man bisher immer übersehen. Seitdem sich in der Nachbarschaft von Jüdischem Museum und Berlinischer Galerie auch zahlreiche kommerzielle Galerien niedergelassen haben, hat sich die südliche Friedrichstadt zur Kunstadresse entwickelt. Eine Kunsthalle, wie sie schon lange für Berlin gefordert wird, könnte hier ihre neue Bleibe finden, zumal Kunst und Blumen unter ähnlichen Bedingungen gedeihen: Die halbrund geschwungenen Sheddächer lassen Nordlicht ein, für beide Nutzer die ideale Beleuchtung.

Noch steht solchen Blütenträumen allerdings der Wirtschaftssenator entgegen, denn die Halle der Berliner Blumengroßmarkt GmbH befindet sich in Landesbesitz und soll nach Auszug der Floristen meistbietend verkauft werden. Das direkt an die Friedrichstraße stoßende Terrain dürfte ein Filetstück auf dem Berliner Immobilienmarkt sein. Zwar glaubt Alice Ströver, mit Klaus Wowereit als Regierendem Bürgermeister und Kultursenator in Personalunion einen Trumpf in den Händen zu halten – schließlich hat Wowereit sich schon durch die bis zu 13 Meter hohe Halle führen lassen. Doch der favorisiert bekanntermaßen für die künftige Landes-Kunsthalle das Areal in der Heidestraße, wo sich in den letzten zwei Jahren ebenfalls ein Galerienschwerpunkt gebildet hat.

Der Blumenmarkt hat zumindest für ein Wochenende die Nase vorn gegenüber der Kunsthalle am Schlossplatz, die erst am 6. Juni ihren ersten Spatenstich zelebriert und auch dann erst ihr im Herbst startendes Ausstellungsprogramm konkretisiert. An diesem Wochenende werden dann 65 Künstler die Blumenhalle bespielen. Eine Jury hat sie unter 450 Einsendungen ausgewählt. Bei der gestrigen Pressekonferenz wurde schon einmal die Aktion „einschießen“ der „artboys“ vorgestellt, bei der gegen Bezahlung mit einer Farbpatrone auf eine vier mal vier Meter große Leinwand in luftiger Höhe geschossen werden darf. Auch die acht Teilnehmerinnen der Aktion „jump“ zieht es in die Lüfte. Sie werden von Stahlseilen gehalten, „zwischen dem Himmel der Kunst und der schmutzigen Realität des Kunstmarktes“ schwebend, wie es gestern vollmundig hieß.

Die beiden Beispiele deuten das Spielerische der Initiatoren der Blumenhalle an, die sich gar nicht erst als Konkurrenz gegenüber den Machern der Kunsthalle am Schlossplatz verstehen. Nein, man ziehe schließlich am gleichen Strang: Wenn der Wiederaufbau des Stadtschlosses im Herbst 2010 beginne, dann könne die dortige Kunsthalle doch einfach zu ihnen umziehen mit ihrem seriösen kuratorischen Programm. Sie würden ohnehin die populäre Seite bedienen und wollten eher in die Breite wirken, so Notker Schweikhardt von der „Kunstinvasion“, wie sich die Wochenendaktion nennt. „Berlin-Besucher finden hier ein niedrigschwelliges Angebot, danach können sie dann in den Hamburger Bahnhof gehen“, erklärte er. Außerdem kündigte er weitere Aktionen im Dreimonatsrhythmus an. Beim nächsten Mal soll der Akzent bei der Performance liegen, dann bei der Architektur. Ob sich dieser Eifer beibehalten lässt, steht allerdings in den Sternen, denn die diesmal anfallenden Kosten in Höhe von 120 000 Euro einschließlich der Miete übernehmen Sponsoren.

Eins dürfte allerdings mit dieser ersten „Kunstinvasion“ gelingen: dass die Blumenhalle aus ihrem Dornröschenschlaf zumindest für die Kunst wach geküsst wird. „Neueroberungen haben in Berlin in der Kunst und in der Clubszene eine gute Tradition“, so Alice Ströver. Das beste Beispiel dafür sei die benachbarte Berlinische Galerie, die in einem ehemaligen Glaslager ihr Quartier gefunden hat. Ihr stärkstes Argument lautet allerdings: Die Bezirksverordnetenversammlung selbst ist einstimmig für die Rettung der Blumenhalle als Haus der Kunst und gegen einen Abriss. Die nach Berlin drängenden Künstler braucht sie gar nicht erst zu fragen. Ihnen fehlt es trotz der zahlreichen Galerien immer noch an genügend Ausstellungsorten. Die Großmarkthalle gewinnt für sie die Bedeutung einer „Blauen Blume“. Selbst wenn sie nur für eine Nacht blüht.

(Blumengroßmarkt, Lindenstr. 91., 31. 5., 19 Uhr Vernissage, ab 23 Uhr Eröffnungsparty, 1. 6., 10 bis 20 Uhr Ausstellung, um 15 und 18 Uhr Gesprächsrunden)

Zur Startseite