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Säuerlicher Sauftourist. Schaubühnenstar Lars Eidinger in dem Monolog „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“ (Regie: Rodrigo García).
© Bresadola/drama-berlin.de

Eindrücke vom F.I.N.D Theater-Festival: International aber nicht beliebig

Auf dem „Festival Internationale Neue Dramatik“ an der Berliner Schaubühne glänzen dieses Jahr großformatige Inszenierungen von Regisseuren, die zugleich Dramatiker sind.

Es konnten einem schon Zweifel kommen, als das diesjährige „Festival Internationale Neue Dramatik“ (F.I.N.D.) an der Schaubühne eröffnet wurde. Zur Begrüßung sprach Klaus Wowereit, und er schlug – wie es eben läuft, wenn aus Kultur Politik wird – einen weiten Bogen. Von Nurkan Erpulats Hit „Verrücktes Blut“ (am Ballhaus Naunynstraße) zum friedlichen Zusammenleben in Berlin („natürlich gibt es auch Probleme“), vom 11. September über den Mauerfall bis zu muslimisch geprägten Gesellschaften, die gerade ein hohes Gut namens Freiheit entdecken. Sollte das Programm sein? Meint Internationalität auch im Festivalkontext einen Galopp der Beliebigkeit?

Thomas Ostermeier, der Schaubühnen-Chef, findet tags darauf in seinem Büro deutlichere Worte. Es ginge darum, „die Muskeln dieses Festivals zu stärken“, sagt er, auch in Hinblick auf innerstädtische Konkurrenz wie die Berliner Festspiele, die Autorentheatertage am Deutschen Theater oder das Hebbel am Ufer mit seinem durchweg internationalen Programm. Darum erfährt F.I.N.D. in diesem Jahr Veränderungen: Beispielsweise gibt es keinen Länderschwerpunkt mehr, und auch nicht so viele Szenische Lesungen. Ein Fokus liegt stattdessen auf vergleichsweise großformatigen Inszenierungen von Regisseuren, die zugleich Dramatiker sind. Die romanischen oder angelsächsischen Theaterkulturen, auch die israelische Szene, so Ostermeier, lebten ja viel mehr von den Gegenwartsautoren als die deutsche Landschaft mit ihrer Klassikerpflege. „Das muss man in Berlin immer wieder vermitteln.“

Einer, der Dramen von antiker Wucht schreibt und sie auch selbst auf die Bühne bringt, ist der in Beirut geborene Wajdi Mouawad. 2010 hat er bei F.I.N.D. sein nachgerade biblisch bebendes Schuld- und-Sühne-Stück „Verbrennungen“ vorgestellt. Nun erlebt „Zeit“ hier seine Uraufführung. In einer erfrorenen kanadischen Stadt, in der Ratten zu Sirenengeheul ihre Kreise ziehen, ruft eine taubstumme Frau ihre Brüder herbei, auf dass sie den Vater ermorden. Dieser in die Demenz driftende Poet hat die Tochter über Jahrzehnte missbraucht. Mouawad besitzt ein Gespür für Bildwucht und Mythenhall, keine Frage. Und doch bleibt ein zwiespältiger Eindruck: Es ist eine im Grunde plakative Rache-Geschichte, bedeutungsschwanger verbrämt.

Weit sehenswerter: die Inszenierung „Noli me tangere“ von Jean-François Sivadier. Der Regisseur entwirft eine sehr eigene Version der Geschichte von Johannes dem Täufer, diesem Aufrührer, den König Herodes aus lauter Revolutionsfurcht hat einkerkern lassen. Pontius Pilatus, Erzengel Gabriel, Salome und eine Laientheatergruppe, die ein Stück über die Auferstehung Christi probt, flanieren in einem fantasiesprühenden Tableaux-Reigen an dem Anarchisten vorbei. Und wenn am Ende mit dem Kopf des Täufers auch Herodes’ Macht fällt, wenn der Bühnenpalast sandrieselnd zu wanken beginnt, ist die Gegenwart der Tyrannenstürze nahe, ohne dass man sie herbeireden müsste.

Sivadier ist eine hierzulande noch nicht durchgesetzte Stimme. Wobei sich F.I.N.D. nicht vorrangig als Entdecker- Festival begreift „Wir haben uns davon verabschiedet zu sagen: kommt alle und kauft die Talente der nächsten Generation“, so Ostermeier. Gefördert allerdings wird der Theater-Nachwuchs durchaus. In der neuen Reihe „Confessions“, wo sich junge Autoren mit Zehn-Minuten-Monologen präsentieren. Mit „F.I.N.D. plus“ ist eine Plattform eingerichtet worden, die den Austausch zwischen Theaterstudenten aus Deutschland, Frankreich und Russland befördert und begleitend Studio-Inszenierungen vorstellt. „Otmorozki“ von Kirill Serebrennikov etwa, der die Schule des Moskauer Künstlertheaters leitet. Die junge deutsche Dramatik schließlich ist in Person des Berliner Autors Paul Brodowsky vertreten, der mit seinem Stück „Regen in Neukölln“ 2008 zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen war.

Jetzt hat Friederike Heller diese rotzig- schöne, sanft abgehobene Asphalt-Ballade angenehm leichthändig inszeniert, in der sich ein Taxifahrer, ein Scherenschleifer, ein Student, eine junge Türkin und ein sprechender Fuchs in Neukölln über den Weg laufen.

Vornehmlich, so sagt es Ostermeier, ist F.I.N.D. auf die Intensivierung bestehender Arbeitskontakte ausgerichtet. Mouawad wird in der kommenden Spielzeit an der Schaubühne inszenieren, ebenso der lettische Regisseur Alvis Hermanis, der jetzt seine Moskauer Produktion „Schuschkins Erzählungen“ zeigt. Und auch die Zusammenarbeit mit der jungen israelischen Künstlerin Yael Ronen wird fortgesetzt, die zum Abschluss des Festivals einen Work-in-Progress-Einblick in die Produktion „The Day Before the Last Day“ gibt, eine Weiterentwicklung ihres Erfolgsstücks „Die 3. Generation“ mit israelischen, palästinensischen und deutschen Schauspielern.

Keine Frage, Kontinuität kann sich lohnen. Regisseur Rodrigo García, auch er zuvor schon auf dem F.I.N.D. zu Gast, sorgt für den bisherigen Höhepunkt des Festivals, das Solo „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“ mit einem fulminanten Lars Eidinger. Dieser wüste Theater-Trip im Discokugel-mäßig verspiegelten Taxi verhandelt einen Generationenkonflikt der besonderen Art. Der 35-jährige Vater will mit seinen Lebensersparnissen von 2000 Euro einen suff- und drogenbefeuerten Ausflug in den Prado nach Madrid unternehmen. Die Söhne im Kindesalter möchten lieber nach Disneyland, um an der verschwitzten Hand eines Mannes im Pluto- Kostüm die Sinnleere des modernen Menschen zu spüren. Was für ein schönes, international verständliches Anliegen.

Bis 13. 3. an der Schaubühne; „Regen in Neukölln“ und „Soll mir lieber Goya ...“ werden ins Repertoire aufgenommen.

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