Arno Brandlhuber: Inseln im Archipel
Der Architekt Arno Brandlhuber befasst sich in zwei Ausstellungen selbstkritisch mit der Entmischung der Berliner Stadtquartiere.
Das Wasser steht nicht wirklich hoch, bloß ein paar Zentimeter. Aber es reicht, um teure Schuhe zu ruinieren. Es glitzert und spiegelt auch ganz schön in der Berliner Galerie KOW. Und doch sieht man schon jetzt, dass die Feuchtigkeit ihre Spuren im Untergeschoss hinterlassen wird. Der Architekt Arno Brandlhuber hat das viel gerühmte Unterstatement-Haus in der Brunnenstraße gebaut, in dem er nun seine radikalen Gesten ausstellt. Und man fragt sich: Weshalb lässt er sein eigenes Gebäude leiden?
Brandlhuber beschreibt sich in der Soloschau „Im Archipel“ als Teil eines Problems, das die sogenannte Kulturindustrie fortwährend beschäftigt: Wo immer sie auftaucht, verändert sich ein Quartier mit verlässlicher Geschwindigkeit. Sie gilt als Indikator für die künftige Attraktivität einer Gegend. Als Investor braucht man deshalb keinen Scout, sondern bleibt den Kreativen einfach auf den Fersen. Und pflanzt dann Luxuslofts oder Townhauses, die ganze Straßen zur finanziellen Explosion bringen.
In Berlin kann man momentan zusehen, wie die Quartiere segredieren. Dabei galt die Stadt dank ihrer spezifischen Geschichte lange als beispielhaft für eine behutsame Sanierung. Nicht zuletzt die Maßnahmen im sozialen Wohnungsbau, die die Internationale Bauausstellung (IBA) von 1984 durchführte, ließen Geringverdiener und bürgerliche Klientel koexistieren. Inzwischen vollzieht sich der Prozess der Abgrenzung rasend schnell, es bilden sich jene urbanen Inseln, denen Brandlhuber nun sein Projekt in der Galerie KOW widmet.
Zum Wasser im Keller gesellt sich eine Soundarbeit von Mark Bain mit hochsensiblen Sensoren, die in das Haus hineinhören, jede Vibration akustisch verstärken und das Gebäude zum Resonanzkörper machen. Beides erinnert an die Zeit, als hier eine feuchte Bauruine stand und von besetzten Häusern umgeben war. Als der Ort undefiniert und ein bisschen gespenstisch war. Im trockenen Bereich der Galerie liegen Zeitungsartikel aus dem vergangenen Jahr aus, die Berlins Zerfall in homogene soziale Archipele reflektieren – auch in der Brunnenstraße mit ihren inzwischem gepflegten Flair des Kaputten.
„Archipel“ heißt denn auch der zweite Teil der Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein (NBK). Hier werden mächtige Stalakmiten aus Beton von wandhohen Spiegeln vervielfältigt. Wie erstarrte Gebirge beherrschen und strukturieren sie den Raum, in den sie von oben als Schüttung gelangt sind: durch kreisrunde Öffnungen in der Raumdecke, die die Künstlerin Karin Sander schon 2011 als „Kernbohrungen“ für ihre Ausstellung vorgenommen hatte.
Brandlhuber recycelt auch anderes wie eine Lampe von Olafur Eliasson und greift selbst für die konzeptionelle Idee seiner Ausstellung auf vorhandenes Material zurück: auf das Manifest „Archipel“ der Architekten Oswald Mathias Ungers, Rem Koolhaas und Hans Kollhoff. Ein Hinweis darauf, dass man nicht alles immer neu und vermeintlich besser machen muss, sondern das Vergangene häufig in klug modifizierter Form nutzen kann. Denn auch Koolhaas & Co. schreiben über Berlins „städtische Inseln“ – 1977 allerdings, vor dem Hintergrund eines schrumpfenden West-Berlin. Damals dachten die Architekten an Wohnzonen zwischen üppigem Grün und setzten die Stadtvilla als präferierten Gebäudetypus an die Stelle des rekonstruierenden Wiederaufbaus, der heute das Stadtbild charakterisiert. Inzwischen ist klar, dass die schrumpfende Stadt eine Utopie war und sich die Inseln anders bilden als von der architektonischen Avantgarde erhofft. Ihr Konzeptpapier bietet dennoch die Möglichkeit einer kritischen Revision.
Dass Brandlhuber, Jahrgang 1964, nicht mit architektonischen Vorschlägen kommt, sondern künstlerisch interveniert, unterstreicht seine Nachdenklichkeit. Hier steht ein ratloser Visionär im Konflikt mit der eigenen Gewissheit. Schließlich ist auch das Haus in der Brunnenstraße, obwohl es auf landläufige Merkmale von Luxus verzichtet, sich lieber in die raue Ecke einpasst und für heterogene Nutzungsideen anbietet, zum homogenen Ort geworden. Bewohnt und genutzt von lauter Kreativen, die genau diese Art von Ästhetik schätzen. Sie bilden ihr eigenes Archipel: ein Rollover der Wirklichkeit, dem Architektur offenbar wenig entgegensetzen kann. Es bleibt beim Atemholen, wenn man nicht auf die letzten Brachen spekuliert, sondern nach der eigenen Verantwortung bei der Stadtplanung fragt.
Schließlich steht im Fall von Brandlhuber mit St. Agnes in Kreuzberg schon das nächste Projekt ins Haus: der Umbau eines ehemaligen Kirchenbaus von Werner Düttmann aus den sechziger Jahren in ein Kunstquartier. Die Klingelschilder des Pfarrhauses informieren noch über eine Obdachlosenunterkunft. In weniger als einem Jahr soll die Galerie Johann König in die umgebaute Kirche ziehen, darum sollen sich Gleichgesinnte gruppieren. Und obgleich man in diesem Winkel nicht fürchten muss, dass sogleich die ersten Flagshipstores eröffnen, stehen die Zeichen natürlich auch hier auf Archipel.
„Im Archipel“, Galerie KOW, Brunnenstraße 9, bis 21.10., Mi–So 12–18 Uhr. „Archipel“, Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, bis 4.11., Di–So 12–18 Uhr, Do 12–20 Uhr
Christiane Meixner
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