Kultur: Ingeborg Flagge: Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt(Main) hat eine neue Chefin
Architektur ist "etwas, dem man nicht entgehen kann, eine so genannte dritte Haut. Und das muss ein Museum begreiflich machen.
Architektur ist "etwas, dem man nicht entgehen kann, eine so genannte dritte Haut. Und das muss ein Museum begreiflich machen." Was Ingeborg Flagge verkündet, ist so neu nicht. Die Direktorin des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt am Main, die am 1. Juli ihr neues Amt von dem von der Geldnot des Hauses zermürbten und mittlerweile nach Berlin übersiedelten Wiklfried Wang übernommen hat, legt nur stärker den Akzent auf die Vermittlung zwischen wenigen Meisterwerken und grauem Baualltag. Flagge will nicht nur die "Sahnehäubchen" der Stararchitekten zeigen, sondern ein neues Publikum gewinnen: "Architektur darf künftig auch Spaß machen im DAM, denn ein Architekturmuseum nur für Architekten ist überflüssig." Dabei schweben ihr keineswegs populäre Disney-Veranstaltungen vor, vielmehr soll das Programm verständlicher werden, aber informativ bleiben. Vor allem auf Kinder, Jugendliche und Studenten setzt sie ihre Hoffnung, denn daraus rekrutiert sich das "Potenzial der Architektur".
Mit dieser Meinung, die Ingeborg Flagge kürzlich bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt äußerte, hebt sie sich entschieden von Gründungsdirektor Heinrich Klotz ab. Denn der - mittlerweile verstorbene - Klotz setzte seit der Eröffnung des Hauses 1984 bis zu seinem Weggang 1990 ans Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) die Highlights der Architektur geschickt in Szene - auch auf rotem Samt. Die 58-jährige Flagge indes macht einen pragmatischen Eindruck und will keinen bestimmten Stil fördern, wie dies Klotz getan hat. Ihre Vision ist das Museum als lebhaftes Forum für zeitgenössische wie historische Fragen.
Freilich weiß Flagge, die 26 Jahre lang als Chefredakteurin des Verbandsblattes "Der Architekt" amtierte und diese Position 1998 im Ärger über die Kluft zwischen Anspruch und Realität des Bauens aufgegeben hatte, recht gut, dass ihre Absichtserklärungen an der Realität gemessen werden. So verwies sie im Gespräch darauf, dass sie derzeit noch kein festes Konzept, doch viele Ideen habe.
Immerhin: Die zuletzt als Professorin für Bau- und Architekturgeschichte in Leipzig tätige Flagge macht den richtigen Schritt und öffnet das Haus breiten Kreisen. Dazu gehört, dass sie die von Klotz eingerichtete Dauerausstellung "Von der Urhütte zum Wolkenkratzer" - ein kurzer Abriss der Architekturgeschichte in Modellen und Dioramen - wieder ausgraben will. Für 2001 ist eine Retrospektive über den Städtebauer Ernst May geplant, danach folgt der als Mussolini-Parteigänger umstrittene, aber als Architekt hoch gerühmte Giuseppe Terragni. Als weitere Themen gelten Stadt, Land und Region, während die vierte Schau Schnittstellen behandelt zwischen Architektur und anderen Disziplinen, etwa der Fotografie.
Flagge will auch mit der Tradition brechen, dass nur verstorbene Baumeister vorgestellt werden. Zudem setzt sie auf Kooperationen mit anderen Instituten und nennt als Beispiel die Ausstellung von Jacques Herzog und Pierre de Meuron im kürzlich eröffneten Londoner Museum Tate Modern. Nicht ganz ohne Brisanz dürfte indes ihre Idee sein, die oberste Etage zur Galerie umzuwandeln und an Architekten zu vermieten, die Projekte vorstellen wollen. Der Grad zwischen Kommerz und eigenem Profil ist hier besonders schmal. Doch zum Auftakt ihrer selbst verantworteten Ausstellungen wird sie im Februar nächsten Jahres das Museum "ausstellen", jenen Altbau, den Oswald Mathias Ungers entkernte und mit einem modernen, fünfstöckigen Raumprogramm versah. Mit Licht, Musik und Bewegung will Flagge auf die Qualität dieses Baus hinweisen - sie hat also durchaus ähnliche dramaturgische Ideen wie Klotz.
Dabei galt die für fünf Jahre verpflichtete Flagge anfänglich als Übergangslösung. Sie verfügt weder über Museumserfahrung noch hat sie Architektur studiert, allerdings hat sie sich einen Namen als streitbare Verfechterin für qualitätsvolles Bauen gemacht. Doch Seiteneinsteiger dieser Art gibt es in deutschen Kulturinstituten durchaus. So erwartet man in der Mainmetropole, dass die neue Chefin das Haus wieder auf Vordermann bringt. Denn ihr Vorgänger Wilfried Wang, der dritte Leiter nach Klotz und Vittorio Magnago Lampugnani, war kein Mann fürs Parkett. Flagge indes gilt als Anhängerin von Netzwerken und wusste sich bisher dank guter Kontakte immer zu helfen.
Und Kontakte sind wichtig in Frankfurt, ist doch der Jahresetat mit fünf Millionen Mark denkbar knapp bemessen. Nach Auskunft von Frankfurts Kulturdezernent Hans-Bernhard Nordhoff (SPD) bleiben davon etwa 1,5 Millionen Mark für Ausstellungen übrig, aber das ist nach den Erfahrungen und Aussagen der früheren Direktoren eher zu bezweifeln. Auch mit den von Nordhoff zusätzlich als Startkapital spendierten 400 000 Mark wird Flagge nicht weit kommen. So muss sie sich um Sponsoren bemühen und dabei mehr Distanz wahren als ihr Vorgänger.
Schließlich führt das Haus schon im Namen den Anspruch auf nationale Alleinvertretung für Baukunst aus deutschen Landen. Doch die Konkurrenz zwischen Hamburg, München und Berlin ist inzwischen gewachsen, während das Geld nach wie vor nur von der Stadt Frankfurt kommt. Das Land Hessen und der Bund halten sich bedeckt. Dabei besitzt das Museum über 120 000 Architekturzeichnungen und 700 Modelle, die restauratorisch betreut und wissenschaftlich bearbeitet werden sollen. Als das Institut gegründet wurde, war die Arbeit am Computer noch nicht gang und gäbe: Damals wurde noch gezeichnet. Entsprechend wertvolles, aber auch empfindliches Material hütet das Depot des Hauses.
Wie desolat allerdings die Situation innerhalb des Museums ist, machte ein Hinweis bei der Podiumsdiskussion deutlich. Das Haus, das mit seinem Kürzel "DAM" wirbt, kann genau dieses nicht fürs Internet nutzen. Schon vor zwei Jahren wurde das Kürzel an die "Deutsche Anglergeräte-Manufaktur" vergeben. Und das bringt Frau Flagge sichtlich in Rage. Sie wird also bei ihren Mitarbeitern erst einmal Teamgeist wecken müssen. Die im Bayerischen angesiedelte Anglergeräte-Firma indes hat es begriffen. Aber die besteht auch schon seit 1875.
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