Buchmesse: In Leipzig ist die Gereiztheit spürbar
Die Leipziger Buchmesse wird schon vor ihrem Beginn von Streit überschattet: Im Fokus steht die umstrittene Präsenz rechter Verlage.
Jedes Mal, wenn in Deutschland eine Buchmesse eröffnet wird, sei es die Frankfurter, sei es die in Leipzig, brüsten sich die Direktoren, wie politisch ihre Messen doch geworden seien. Das nahm man vor einigen Jahren noch als üblich leeres Gerede und als Werbung hin, das zeigen sollte, dass diese Buchmessen mehr sind als Bücherschauen und Geschäftsplätze. Zumal die Bücher im Allgemeinen und die Literatur im Speziellen die Welt und eben das politische Geschehen sowieso auf die Messe holen.
Doch mehr denn je wird in diesem Jahr Leipzig die zunehmende Politisierung der Messen und der Gesellschaft demonstrieren. Und gerade auch, weil sie ein analoger Ort ist, dürfte sie in ihren Hallen und auf den Podien die politischen Debatten spiegeln. Und überdies: Es überträgt sich die Gereiztheit, die es nicht nur in Deutschland gibt, sondern überhaupt in Europa. Es drückt sich die Angst vor den Veränderungen durch Digitalisierung, Globalisierung und Menschenbewegungen überall auf der Welt aus. Und es ist eine damit einhergehende Explosionsbereitschaft festzustellen. Diskutanten erregen sich nicht zuletzt, um einen Status Quo der Saturiertheit und Bequemlichkeit zu bewahren, der sowieso nur eine Schimäre ist und stets auf Kosten anderer Weltgegenden geht.
Der Streit um die Präsenz rechter Verlage auf dieser Messe und vergangenes Jahr in Frankfurt steht dabei im Fokus. Daran lässt sich ein zunehmendes Auseinanderdriften der auf Konsens abzielenden westlichen Wertegesellschaften erkennen. Durch die Lage Leipzigs und das Selbstverständnis dieser Bücherschau als Schaufenster für den Osten und Südosten Europas bekommt die März-Messe eine zunehmende politische Wertigkeit. Die immer größer werdenden Gastlandauftritte tragen dazu bei, die sich inzwischen ähnlich wie die in Frankfurt darstellen. Sie werden von Ländern absolviert, in denen sich, so wie jetzt in Rumänien, die historischen Veränderungen seit 1989 noch dramatischer zeigen als im Westen Europas und die nun nach einer Phase der Stabilisierung wegen der Flüchtlingsströme vor neuen Herausforderungen stehen.
Es trifft sich gut, dass sich im nächsten Jahr die Tschechen in Leipzig präsentieren werden und im Jahr darauf Österreich, ein Land, das sich, von wegen Umgang mit rechten Verlagen und der AfD, mitten in einem Rechtsruck innerhalb eines demokratischen Systems befindet.
Und die Literatur?
Und die Literatur selbst? Sie scheint angesichts der Rechten- und Meinungsfreiheitsdebatte dieses Jahr gar keine Rolle zu spielen und in dem bitteren Streit unterzugehen. Das ist jedoch ein Trugschluss. Neue Bücher von Monika Maron mit einer Wutbürgerin als Hauptfigur, von Martin Mosebach über das Vorleben von 21 Kopten, die vom IS enthauptet und zu Märtyrern wurden, oder von Alexander Schimmelbusch mit einem sich um (Hoch-)Deutschland sorgenden Investbanker im Zentrum, lassen sich da debattenflankierend lesen.
Auch ein Roman wie die Beirut-Geschichte „Stadt ohne Gott“ des Berliner Schriftstellers Rainer Merkel mit dem Syrienkrieg als Folie, wie der Roman des Ukrainers Serhij Zhadan („Internat“) über den Krieg im Donbass oder der des Rumänen Catalín Mihuleac („Oxenberg und Bernstein“) über ein Pogrom in der nordrumänischen Stadt Iaei und die Gegenwart seines Landes, sind allesamt als politische Romane zu verstehen. Das gilt überhaupt schon seit jeher, vor und nach 1989, für den Großteil der osteuropäischen Literatur – womit über ihre Qualität noch nichts gesagt sein muss.
Wenn jemand wie die norwegische Journalistin Åsne Seierstad mit dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung ausgezeichnet wird, ist das ein Signal an die Literatur, und auch eines, das von ihr selbst ausgesendet wird. Ihre Bücher, obwohl dokumentarisch wie das über Anders Breivik und seine Opfer oder das über die beiden IS-Schwestern, sind an der Grenze zur Fiktion angesiedelt: Seierstad benutzt die Literatur, um ihre eigenen, wahren Geschichten noch wahrer zu machen.
Ich ist der Mittelteil des Wortes Nichts
Dazu passt der Trend zum Memoir, zum autobiografischen Schreiben, das dennoch als ein literarisches verstanden wird. Man begegnet da Figuren wie Karl Ove, Andreas oder Seppl, ohne dass deren Leben, deren Geschichten nun präzise eins zu eins mit den Lebensgeschichten ihrer Schöpfer Karl Ove Knausgård, Andreas Maier oder Josef Winkler abzugleichen wären.
„Ich, das ist der Mittelteil des Wortes Nichts“ hat Andreas Maier dem jüngsten Teil seiner so genannten Ortsumgehung vorangestellt, dem Roman „Die Universität“, was erst einmal sehr nüchtern, fast nihilistisch, Ich-negierend klingt. Doch das Schreiben bekommt damit etwas existenziell Notwendiges, um sich nicht abhanden zu kommen. Das Ich muss sich stabilisieren. Die Zeiten, in denen die Behaglichkeit regiert, in denen man sich allein dem Schönen, der fantasiereichen Literatur widmen konnte, sie sind vorbei. Auch davon wird diese Leipziger Buchmesse 2018 künden.