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Kultur: In der Wundertrommel

Karussellfahrt mit Jenny Elvers: Schlingensiefs „Kaprow City“ in der Berliner Volksbühne

Von Jan Oberlaender

Schon schlau, der Schlingensief. Drückt die deutschen Boulevardknöpfe („Jenny Elvers spielt sterbende Prinzessin Di!“), kitzelt britische Sensibilitäten („German play shows Queen as a Nazi!“) und bekommt so maximale Aufmerksamkeit für sein neues Volksbühnen-Happening. Und er kann zur Premiere von „Kaprow City“ ein paar schöne große Skandalartikel auf ein Leinwandkarree mitten im Zuschauerraum projizieren. Willkommen im Meta!

Die Ebenen verwischen schon beim Betreten des Bühnenraums, was den Zuschauer nicht sonderlich überrascht. Auch nicht, dass ein Teil des Publikums hinter die Bühne zu Schlingensiefs „Animatograph“ geführt wird: eine begehbare Drehbühne, deren wechselnde Aufbauten und Filmprojektionen schon in Island und Namibia, in Neuhardenberg, Wien und Leipzig zu sehen waren. Das intermediale Gesamtkunstwerk steht unter dem Motto: „Der Raum überprüft uns.“ Was verstiegen klingt, bedeutet vor allem eine Herausforderung an die Zuschauer. Nachdem das Backstage-Publikum entweder auf Stühlen entlang der halbrunden Rückwand oder direkt auf der Drehbühne Platz genommen hat, beginnt die Fahrt in einem so trashigen wie tiefgründigen Assoziationskettenkarussell.

An Rückwandplätzen zieht langsam die Außenseite des Karussells vorbei. Man sieht Gekritzel, Palmen und Plastikblumen, Wagner mit Hakenkreuz-Armbinde, mannsgroße Schwanzgrafittis. Da ist Haus Wahnfried, das Hotel Ritz in Paris und der „Princess Tunnel“, Lady Dis Todesort. Das Autowrack raucht noch, ein bärtiger Dodi sitzt auf dem Fahrersitz und mampft Kartoffelchips. Überall flimmern Monitore, Techniker fummeln an ihren Geräten. Viel mehr ist von außen nicht zu erkennen, aber der Regisseur hatte eingangs erklärt: „Kein Zuschauer sieht alles.“

Diese programmatische Aussage bezieht sich vor allem auf die Dreiteilung des Publikums. Denn im Saal auf den roten Samtsitzen sieht man nur eine Leinwand, darauf eine in Echtzeit zusammengeschnittene Live-Übertragung aus dem Inneren des Animatographen. Von diesem „Skandal-Film“ („Bild“) sieht man hinter dem eisernen Bühnenvorhang nichts, viel eher ist man ja Teil davon.

Irgendwann verlässt man seinen Randplatz und springt auf. Das machen viele so, bald wird es eng in den Gängen des Karussells. „Horch, was kommt von draußen rein“ – mit Wandergitarrenbegleitung. Immer wieder von Gongschlägen zum Raumwechsel aufgefordert, erforscht man Schlingensiefs Rumpelkammer. Überall Bedeutung. Überall Erde, Farbe, Müll und Licht. Und Lärm: Gebrabbel, Kotzgeräusche, Verzweiflungsschreie, Reifenquietschen. (Will da jemand aussteigen?). So wird Verstehensarbeit zur nervenaufreibenden Grenzerfahrung: Man dreht sich mit, fragt sich nach zwei Stunden Reizüberflutung, was das jetzt eigentlich war. Aber darum geht es dem Meister schließlich: Man soll das Chaos annehmen.

Also los: Die kleinwüchsige Queen knetet Hakenkreuz-Plätzchen, Charles trägt riesige Plastikohren. Zerknüllte Zeitungen hängen von der Decke, aha, das Mediensystem. Ein Darsteller im gelben Plüschsternkostüm umarmt die Mitfahrenden: der Star zum Anfassen. Durch einen farbverschmierten Plastikvorhang sieht man Diana beim Todtraurigsein zu. Jenny Elvers-Elbertzhagen ist eine passende Diana: genauso Medienfigur, genauso verzerrt wahrgenommen. Die Rolle adelt sie. Ein anderer Raum ist tapeziert mit Farbfotokopien von zerfetzen Körpern, man erkennt die aufgeplatzten Köpfe von Udai und Kusai Hussein. Wie wird man eigentlich berühmt? Adolf Hitler brüllt „Parteitag!“, Andy Warhol ruft „Pop!“, und eine Mickymaus schwenkt die Ohren.

Schlingensief übernimmt nicht erst mit seinem Diana-Projekt die Happening-Idee des New Yorker Künstlers Allan Kaprow, dessen „18 Happenings in 6 Parts“ immer wieder zitiert werden. Wie Kaprow will Schlingensief seinem Publikum ein Erfahrungsangebot machen, indem er den Alltag neu zusammensetzt. Nur dass er eins drauflegt, indem er es mit einer wild zusammengeschnittenen Hyperrealität konfrontiert. Schlingensief macht seine neue Arbeit aber auch zum „Center of royal Biography“. Hier recycelt er seine eigene Kunstbiografie: ein Becken mit Drachenblut, ein toter Beuys-Hase, Dutzende von Filmplakaten. Manchmal bleibt die „Wundertrommel“ stehen, igendwann wechselt sie die Drehrichtung. Am Ende heißt es: „Schlagt die Wände ein!“. Zwischen den Räumen splittern die Sperrholzplatten.

Nächste Vorstellungen: 15., 16. 9. , 1., 2., 19., 20. 10., jeweils 19.30 Uhr.

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