Wiedereröffnung des Rijksmuseums: In der Kathedrale des 21. Jahrhunderts
Pompös wird das Rijksmuseum Amsterdam wiedereröffnet. Es ist eine der letzten Amtshandlungen von Königin Beatrix. Das Nationalmuseum der Niederlande macht sich damit fit für die Zukunft - indem es gleichzeitig einen Schritt in die Vergangenheit geht.
Zehn Jahre sind auch für ein Museum eine lange Zeit, wenn es seine Tore schließt. Mag es in seinen Sälen auch Jahrhunderte locker überspringen, für den Zeitgenossen zieht sich eine solche Phase umso länger hin. Das Rijksmuseum, die Schatzkammer der Niederlande, zugleich das größte Haus Amsterdams, hat sich eine solche Auszeit genommen – wenn auch nicht vollständig. Stets blieben die in einem Seitenflügel separierten Highlights wie Rembrandts „Nachtwache“ zu sehen. Die Verdoppelung der Bauzeit, die Steigerung der Kosten auf 375 Millionen Euro, das Hickhack um die Beibehaltung einer Radler-Passage durch eine Torfahrt des Gebäudes aber kratzten am Ruf der Institution.
Das Rijksmuseum hat deshalb einiges wettzumachen, der Pomp der Eröffnung zeugt davon. Die Übergabe des Hauses am Samstag durch Königin Beatrix kommt einem nationalen Staatsakt gleich: Fanfaren, Rezitation eines eigens verfassten Gedichtes, orangefarbener Teppich für die Massen. Der große Auftritt ist angebracht, denn das Rijksmuseum erfährt eine spektakuläre Wiederbelebung. Ein gigantischer Bau mit achtzig Sälen und 8000 ausgestellten Werken ersteht wie Phönix aus der Asche neu. Das aus dem 19. Jahrhunderts stammende Gebäude hat zugleich einen Rückbau und eine Aufrüstung für das 21. Jahrhundert erfahren. Mit dem spanischen Architektenduo Cruz y Ortiz absolvierte das gesamte Haus eine doppelte Kehrtwendung – in die Zukunft.
Zwischen 1876 und 1885 hatte der niederländische Architekt Pierre Cuypers, von dem auch der Amsterdamer Hauptbahnhof stammt, das Museum als üppig dekoriertes neogotisches Schatzhaus für die bedeutendsten Kostbarkeiten des Landes erbaut. So viel katholische Begeisterung kam schon zu Gründerzeiten nicht bei allen an. Nach und nach ließen die Direktoren die Historienzyklen auf den Wänden übermalen und Terrazzoboden entfernen. Um mehr Platz für Kunst, Büros, Werkstätten zu gewinnen, wurden außerdem Einbauten in die beiden großen Lichthöfe gestopft, so dass die einstige Grandezza der muffeligen Atmosphäre einer komplett verschachtelten Kiste wich.
Cruz y Ortiz aber wagten sich wieder heran. Mit der Rückbesinnung auf die ursprüngliche Planung gelingt ihnen ein Meisterstreich, denn ihre Doppelstrategie gibt dem Gebäude einerseits seine Identität zurück, zugleich hebt es das Haus technisch auf die Höhe heutiger Zeit: Licht, Raum, Smartphone-Empfang. Damit reiht sich das Rijksmuseum wieder in die internationalen Top Ten ein – mit schönster Kunst, Architektur von Rang, vorbereitet für ein jüngeres Publikum. Der Louvre in Paris, die National Gallery in Washington, das Victoria & Albert Museum in London, die Vatikanischen Museen in Rom haben diesen Relaunch bereits absolviert. Der Vergleich mit dem British Museum und seiner seit 2000 überdachten Halle liegt nahe. Wie in London dienen auch in Amsterdam die freigeräumten Atrien nun als Empfangssäle für die erwarteten Besuchermassen und deren Verteilung in die verschiedenen Flügel.
Nicht nur die Architektur, auch die Unterbringung der Werke in den verschiedenen Geschossen wurde neu gedacht. Mit dem seit 2008 amtierenden Direktor Wim Peijbes vollzog sich die Hängung einer nochmaligen Revision, so dass der Besucher das Haus vollkommen neu erkunden kann. Nur ein Bild behielt seinen Platz: Rembrandts „Nachtwache“. Sie befindet sich wie einst als Apotheose am Ende der Ehrengalerie, als größtes Glanzstück des Goldenen Zeitalters. Das monumentale Werk hängt vor tiefblauem Grund, der sich mit der nächtlichen Dunkelheit des Bildfonds verbündet. Plastisch treten nun die Figuren hervor, so dass die davorstehenden Betrachter mit ihnen zu verschmelzen scheinen.
Berliner Kuratoren können in Amsterdam sehen, wie gut Malerei und Skulptur zusammenpassen
Doch bis der Besucher vor dieses Hauptwerk niederländischer „Schilderkonst“ gelangt, hat er einen Höhenweg der Kunstgeschichte abgeschritten. Rechts und links vom großen Saal, an dessen Ende Rembrandt prangt, öffnen sich die Kabinette mit den Spitzenstücken des „Gouden Eeuw“ – als wären es Seitenkapellen auf dem Weg zum Hauptaltar. Wie schon einmal vom Erbauer des Hauses mit Glanz und Glorie inszeniert, wähnt sich der Besucher nun erneut in einer Kathedrale mit gewölbten Decken und Ziermalerei an den Wänden.
Die ganze Halle feiert einen Gottesdienst, mit der Kunst zum Niederknien. Jan Steen ist dort zu sehen, Frans Hals und Vermeer mit seinen stillen Porträts, in denen die Zeit nicht vergeht. Seine hinreißende Milchmagd hält wie ehedem den Krug zum Gießen vor sich hin, auch seine Briefleserin schaut genauso unverwandt auf das Blatt in ihrer Hand. Rembrandt wird nochmals zelebriert, etwa mit seinem großartigen Bildnis von Jan Six als Feier auf die schnelle, geniale Malerei, dazu die beiden Ruisdaels, Onkel und Neffe, mit ihren Landschaftsbildern als Gleichnis auf die Schicksalhaftigkeit.
Niederländische Malerei, das eröffnet sich in der Ehrengalerie sogleich, bedeutet in dieser Epoche Weltkunst. In welchem Kontext sie entstand, was die politischen Bedingungen waren, wie das kleine Land zu Wohlstand und imperialer Macht gelangte, das erklärt sich aus den Galerien rundum. Das Rijksmuseum erzählt zwar Nationalgeschichte mit Kanonen, Silbertellern, zerschossenen Rüstungen und Schiffsmodellen, doch ohne Heimattümelei – das 17. Jahrhundert ist Hollands große Zeit. Mit kuratorischem Geschick und ohne Berührungsangst wird hier zusammengebracht, was den damaligen Geist, die Kultur ausmachte, mit Spitzenstücken als Beleg, dazu Gemälden von Rembrandt an der Wand. Wer sich je davor gefürchtet hat, Skulpturen, Bilder, Möbel zusammen auszustellen, kann hier Mut schöpfen. Für Berliner Kuratoren wie auch Gegner einer gemeinsamen Präsentation ist in den Sälen zum 17. Jahrhundert modellhaft zu studieren, wie es in einer künftigen Gemäldegalerie an der Museumsinsel aussehen könnte, ohne seine Ansprüche aufzugeben.
Paradigmatisch zeigt sich die Kombination beim Mittelalter im Untergeschoss. Vor dem Bild einer trauernden Madonna ist Pietro Torrigianis Terrakottabüste der Jungfrau als Mater Dolorosa platziert, die gegenseitige Erhellung der Exponate ist evident. Auch hier haben sich die Kuratoren des Rijksmuseums etwas gewagt, für das diesmal allerdings das Bode-Museum in Berlin voranging. Die meisten Skulpturen stehen frei, kaum ein Vitrinenglas stellt sich zwischen den Betrachter und das Objekt. Neueste Technik erlaubt diesen Schritt: perfekt gesetztes Licht und Überwachungskameras.
Das neue Rijksmuseum erweist sich als Reisemaschine durch Zeit. Mit einem Gefährt der Vergangenheit – einer fast 150 Jahre alten Karosse, die jedoch einen modernen Motor besitzt – macht sich der Besucher vom Mittelalter bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Weg, mit einem Abstecher nach Asien in einem eigenen Pavillon. Eigentliches Ziel der Reise aber wird weiterhin das „Goldene Zeitalter“ bleiben. Mit den großen Universalmuseen der Welt hält das Rijksmuseum am Ende dennoch nicht Schritt. Hollands Geschichte vor und nach jener Ära brachte nicht mehr dieselbe außergewöhnliche Qualität in der Malerei hervor. Die punktuellen Querverweise auf internationale Kunst, hochrangige Leihgaben holen dies nicht auf.
Und doch rüstet sich hier ein neuer Player für den globalen Kampf der Städte um Aufmerksamkeit. Mit den anderen Häusern am Museumplein – dem Stedelijk, das seit dem vergangenen Jahr wiedereröffnet hat, und dem Van-Gogh-Museum, das ab dem 1. Mai wieder zugänglich sein wird – erstarkt hier eine gewaltige Konkurrenz. Die Besucherzahlen – bis zu 2,5 Millionen erwartet das Rijksmuseum allein im ersten Jahr – werden es erweisen. Auf die Größe eines Landes, das weiß man in Holland sehr genau, kommt es dabei ohnehin nicht an.
Rijksmuseum, Museumstraat 1, geöffnet täglich von 9 - 17 Uhr. Mehr Informationen im Internet unter www.rijksmuseum.nl
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