Kultur: In der Ferne so schön
Berliner Gastspiel: Katharina Grosse, Thomas Rentmeister und Max Frisinger im Kunstmuseum Bonn.
Wie ein Parasit hat sie in Bonn angedockt. Die weiße Flosse mit ihren abstrakten Farbwolken und Graffiti scheint an der Wand des Hauses zu lehnen und untergräbt dessen strenge Architektur. Als Malerei sprengt „In seven day times“ von Katharina Grosse mit seinen 20 Metern Gesamtlänge und einer Höhe von sieben Metern jede Dimension, die sich nicht am Panoramabild orientiert. Als autonomer Skulptur mangelt es der Form aus Fieberglas allerdings an Standfestigkeit. Wer sich die Konstruktion näher anschaut, der sieht die Verankerung im hellen Beton, aus dem Axel Schultes in den späten achtziger Jahren das Bonner Kunstmuseum hat gießen lassen. Kunst am Bau – das ist vielleicht die treffendste, wenn auch etwas trockene Charakterisierung einer Arbeit, die so viel stärker wirkt als jene vier großen Elemente, die 2009 in der Temporären Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz zu sehen waren.
Dass man sie dennoch zum Vergleich heranzieht, hat mit dem Gesamtbild zu tun, das sich im Kunstmuseum am Rhein momentan bietet: Es ist im Wortsinn bis unters Dach mit Arbeiten gefüllt, deren Produzenten in Berlin leben. Als wollte es die Diskussion um eine Kunsthalle in der Hauptstadt noch einmal befeuern, zeigt es, was in Berliner Ateliers entsteht. Und selbst wenn alle drei Künstler in den vergangenen Jahren mit Arbeiten zu sehen waren, reichen die Galerieauftritte nicht an eine institutionelle Präsentation wie diese heran, die Skulptur mit Architektur verknüpft und nicht zuletzt die differenten Werke der Künstler in Beziehung zueinander setzt.
Zur großen Einzelausstellung von Thomas Rentmeister, dessen erste Monografie im Rahmen dieser Schau erschienen ist, gesellt sich Max Frisinger als Träger des neuen Kunstpreises Start 2011. Der soll in Bonn künftig dank einer Großinstallation im zentralen Museumstreppenhaus und einem Wettbewerb für die Stadt Verbindungen zwischen der artifiziellen Zone der Kunst und der urbanen schaffen.
Frisinger, 1980 in Bremen geboren und schon jetzt in internationalen Ausstellungen wie „Gesamtkunstwerk: New Art from Germany“ der Londoner Saachti Gallery vertreten, hat ganze Arbeit geleistet. Mehrere Wochen recherchierte er in Bonn bei Firmen und Institutionen. Anschließend trug der Künstler davon, was in Kellern oder Büros verstaubte. Sein Interesse galt Dingen, die ihren konkreten Wert als Gebrauchsobjekte längst eingebüßt haben: kaputte Stühle, Tischgestelle, Gummireifen, Bretter, sogar einen Plastikteich und eine Kinderrutsche.
Frisingers Talent wird in der intuitiven Systematik sichtbar, mit der er den Schrott arrangiert hat. Die himmelwärts strebende Skulptur „Rotor“ ist ästhetisch wie eine kubistische Plastik und so imposant, dass schon einige Besucher die Treppe hochgestolpert sein sollen, weil sie vor Staunen die Stufen vergaßen. Im Foyer, wo einige weitere Arbeiten stehen, lässt der Eindruck zwar nach, weil die gläsernen und ebenfalls mit dysfunktionalen Objekten angereicherten Vitrinen an Schnittchen für Sammler erinnern, die Kompatibles fürs Wohnzimmer suchen. Doch die Installation im Treppenhaus ist grandios und korrespondiert nicht zuletzt mit Rentmeisters zentraler Installation, die unter anderem aus ausrangierten Kühlschränken besteht.
Weiße Leinentücher, Wattestäbchen, Zucker, weißes Papier und andere lapidare Materialien komplettieren „Muda“ (2011), das eine archäologische Wüstenstadt mit Durchgängen und anderen Fragmenten sein könnte. Tatsächlich bezeichnet „Muda“ im Japanischen einen nahezu untranskribierbaren Begriff, der gern mit Verschwendung gleichgesetzt wird. Dabei hängt der Wert dieser Abwesenheit von Sinn und Nutzen direkt von der Hochachtung ab, die der Akteur seiner eigenen Tätigkeit entgegenbringt. Wie man sich denken kann, rangiert dieser Wert beim Künstler Thomas Rentmeister ganz hoch.
Seine Skulpturen sind aus eben jenem „Müll“, den das Englische aus „Muda“ gemacht hat. Selbst in Japan gilt „Muda-Vermeidung“ als Voraussetzung ökonomischer Produktion. Was Rentmeister nun aber im Museum zeigt und kontinuierlich forttreibt, sind die Erzeugnisse des Gegenteils: verschwenderische Collagen, ins Absurde vergrößerte Papierrollenhalter aus Edelstahl, an denen zarte Bahnen von Toilettenpapier wehen, zwei Riesenformate mit pastosem Farbauftrag in Weiß und Dunkelbraun, die sich wie stets in seinem Werk als Nutella und Penatencreme erweisen.
Immer wieder werden epochemachende Strömungen wie die serielle Minimal Art, abstrakte Malerei oder das Monochrome zitiert und Arbeiten aus den alltäglichsten Materialien einverleibt, die zwischen Kunst und Leben zünden. Das theoretische Nachdenken über die Skulptur im 21. Jahrhundert wird von Kritik an einer konsumfixierten Gesellschaft, von sinnlichen Erfahrungen und den Repressionen einer zutiefst regulierten Gesellschaft. Das mag ineffizient in einer Zeit wirken, die überall auf Optimierung setzt. Sinnlos ist es genau deshalb nicht.
Kunstmuseum Bonn, bis 5. Februar; Katalog (DuMont Verlag) 39,95
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