40 Jahre nach den Roten Khmer: In der Ferne ein Schrecken
Kambodscha, 40 Jahre danach: Die Akademie der Künste stellt Fotos und Filme zum Völkermord der Roten Khmer aus.
Bis zu den Achseln steht der junge Mann in dreckigem Wasser. Über sich hält er einen schwarzen Plastikeimer, steht starr da, mit nacktem Oberkörper, und schüttet Sand über sich aus. Was der kambodschanische Künstler Khvay Samnang tut, nennt er einen stillen Protest. Gegen den Kampf um Land, wie hier am Boueng-Kak-See, wo Tausende von Anwohnern gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen. Ein Privatinvestor hatte das Gelände gepachtet, der See wurde zugeschüttet. Er existiert nicht mehr.
Das Video, das den 32-Jährigen bei seiner Performance zeigt, ist Teil der Ausstellung „Die Roten Khmer und die Folgen“ in der Akademie der Künste. Darin setzen sich sechs Filmemacher, Fotografen und Zeichner mit einem Thema auseinander, das Kambodscha bis heute prägt: die Jahre 1975 bis 1978, als die radikal-kommunistischen Roten Khmer 1,7 Millionen Menschen töteten, etwa 21 Prozent der damaligen Bevölkerung. Auf ihre Terrorherrschaft, deren Beginn sich am 17. April zum 40. Mal jährt, folgte ein Bürgerkrieg. Er dauerte fast bis zum Ende der 90er Jahre und machte das südostasiatische Königreich zu einem der ärmsten Länder der Welt.
Vandy Rattana zeigt idyllische Landschadten - mit Bombenkratern
Heute, sagt Samnang, ruiniere der Kapitalismus sein Land – und weil die Roten Khmer fast alle Grundbucheinträge vernichtet hätten, könne den Menschen ihr Land leicht weggenommen werden. Neben seinen Werken hängen Bilder von Vandy Rattana, 34, Fotograf. Sie gehören beide der jungen Kunstszene Kambodschas an, die der Kurator und Filmemacher Nico Mesterharm seit 2006 fördert. „Kunst in Kambodscha ist traditionell etwas, das schöne Dinge abbildet“, sagt er. „Künstler mussten erst lernen, diese schwierigen Themen anzunehmen.“
Idyllisch und friedlich, so sehen auch die grünen Landschaften auf Rattanas Bildern aus, mit weiten Wiesen und Gewässern. Doch dort, wo heute Teiche sind, schlugen in den 60er und 70er Jahren die Bomben der US-Amerikaner ein und brachten 200 000 Zivilisten um. Rattana möchte die internationale Politik so zur Mitverantwortung ziehen, für die Zerstörung seiner Heimat.
Der Filmemacher Rithy Panh erzählt hingegen von seinen ganz eigenen Traumata: Als die Roten Khmer an die Macht kamen, war er 13 Jahre alt. Die Familie wurde in ein Arbeitslager deportiert, seine Eltern überlebten nicht lange, der Junge war allein. Die Erinnerungen an diese Zeit, an eine Jugend, die er nie hatte, rekonstruiert er in „Das fehlende Bild“ mit Tonfiguren. Im letzten Jahr wurde er dafür mit dem Oscar nominiert. Wie er verlor Em Theay, einst Solistin des königlichen Hofballetts, in den 80er Jahren ihre gesamte Familie. Sie verarbeitet ihren Schmerz, in dem sie über ihre Erinnerungen spricht und tanzt. In Ong Keng Sens Doku-Performance „Beyond the Killing Fields“.
Im gleichen Jahr in Kambodscha: Günther Uecker und Tim Page
Einen anderen Zugang zu dem Land, einen Zugang von außen, hatte der deutsche Künstler Günther Uecker. Er reiste 1993 nach Kambodscha, das Jahr, in dem die ersten freien Wahlen stattfanden. Was er dort sah, war grausam. Elektroschocks, Waterboarding, Aufhängen bis zur Bewusstlosigkeit – in dem Gefängnis Tuol Sleng, das er zu dem Zeitpunkt als Museum besuchte, waren in den späten 80er Jahren Tausende von Menschen gequält und ermordet worden. Uecker fotografierte Porträts der Gefolterten und übermalte die Aufnahmen später mit Tusche. So lange, bis die Gesichter kaum noch zu erkennen waren. „Wind der Seelen der Toten, für die Kinder der Khmer“ nennt der Künstler, der für seine Nagelbilder bekannt ist, die 62 verfremdeten Zeichnungen. Für ihn sind sie auch eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust.
Im gleichen Jahr wie Uecker war der britische Kriegsreporter Tim Page in Kambodscha, berühmt durch seine Aufnahmen aus dem Vietnamkrieg. In der Akademie der Künste stellt er eine Fotoserie mit Menschen aus, die 1988 im Rahmen eines Projekts von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ein Stück Land bekommen haben. Ein Mann hält eine Sense in der Hand, eine Frau eine Schere; Utensilien, um ihr neues Hab und Gut zu formen. Auf einem anderen Schwarzweiß-Foto sieht man eine Familie. Müde sehen alle aus, einer hat ein Holzbein, ein anderer ist blind. Optimistisch wirken nur die Jüngeren. „Die Generation unter 30 weiß ganz wenig von den Roten Khmer, weil ihre Eltern nicht über die Vergangenheit reden“, sagt Page in Berlin. Dabei sind die Spuren allgegenwärtig.
Die Roten Khmer und die Folgen, Akademie der Künste, Hanseatenweg, bis 1. März
Marie Rövekamp
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