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Kultur: Immer wieder springt der Saphir zurück Die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik in der Warteschleife

Krisen, die Perspektiven öffnen, bedürfen langer Ruhepausen. Nach der Stagnation erfolgt, unverhofft, Eruption.

Krisen, die Perspektiven öffnen, bedürfen langer Ruhepausen. Nach der Stagnation erfolgt, unverhofft, Eruption. Solche schöpferische Dynamik kennzeichnet auch die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, eines der wichtigsten Zentren zeitgenössischer Musik seit über 50 Jahren. Das letzte große Skandalon ereignete sich hier 1976 mit der Uraufführung von Hans Jürgen von Boses Violinkonzert. Doch derzeit befindet sich die Neue-Musik-Szene in einer Warteschleife: einer jener ereignislosen Phasen, die nach Henri Poincar, dem Vater der Chaostheorie, jeder kreativen Eruption vorausgehen.

Auch die thematischen Akzente („Raum und Musik“, „Östliches Denken in der Neuen Musik“) dienen in Darmstadt lediglich als Strohpuppen zur Bündelung etablierter kompositorischer Vielfalt, zur Überbrückung konzeptioneller Leere. Die am Klangraum-Raumklang-Projekt mitwirkenden Komponisten Peter Edwards, Sebastian Semper, Alberto Bernal und Gerhard Mueller-Hornbach suchen den Raum – das Foyer der Wettersatellitenorganisation Eumetsat – musikalisch zu artikulieren, indem sie die Instrumentalklänge wandern lassen. Neuer Wein in alten Schläuchen? Das Projekt wäre nur zu retten, wenn die Komponisten Werke darbieten würden, die durch ästhetische Qualität überzeugten. Einziger Lichtblick: Wolfgang Rihm bezieht klar Position. Raum- und Architekturmetaphern mögen, so Rihm, zwar evident erscheinen, haben aber einen beschränkten Erklärungswert, weil sie am eigentlichen Phänomen, dem Musikalischen, vorbeigehen.

Doch Stagnationsphasen sind keine verlorene Zeit. Das zeigt das unterschwellige Brodeln an den Darmstädter Rändern: Da ist die 28-jährige Irin Jennifer Walshe, eine durchweg unkonventionelle Komponistin. Ihre Lecture lässt sie in eine Performance übergehen, singt und rezitiert, murmelt, hechelt, vollführt gymnastische Übungen und kratzt zwischendurch auf der Geige. Was nach Jux und Tollerei klingt, verfolgt Walshe mit eigentümlicher Konsequenz, sie unterfüttert ihre Arbeit mit einem ästhetischen Programm. Aus der kritischen Einsicht, dass die Stimme Geschlechter- und Machtverhältnisse widerspiegelt, hat Walshe das Verfahren abgeleitet, Stimmklänge in einem quasi wert- und bedeutungsfreien Raum zu exponieren. Unbegreiflich bleibt nur, dass sie sich in der folgenden Diskussion immun gegen alle Einwände zeigt: Stimuliert das Summen, Hecheln und Stöhnen auf der Bühne nicht unwillkürlich zu konventionellen (weil sexuellen) Assoziationen? Erliegt Walshes „Stimme“ nicht jenen Bedeutungsmustern, gegen die sie antritt?

Ein weiterer Vertreter des Gärungsprozesses ist der Österreicher Bernhard Lang. Live-elektronisch generierte Musik in Clubs mit 70er-Jahre-Schalensesseln und BecksBier, das ist derzeit die Schnittstelle, an der sich DJs aus der Off-Szene und junge Komponisten aus dem so genannten E-Bereich begegnen. Mit Bernhard Lang hält die Clubkultur auch in Darmstadt Einzug. Von der Neuen Musik übernimmt er dieTechnik, Artikulationsmöglichkeiten der Instrumente auszudifferenzieren: Das Quietschen, Knattern und Stöhnen eines Basssaxophons wie etwa in reset/remix dient ihm als Material für die digitale Bearbeitung. Dafür wiederum bezieht er sich auf die Ästhetik der Clubkultur, etwa auf deren Loops, die computergenerierte Repetition kurzer Tonfolgen, die klingt, als wäre das LP-Zeitalter noch nicht überwunden. Und als zwänge ein Kratzer den Saphir dazu, immer wieder in die selben Rillen zurückzuspringen. Darmstadt 2002 – eine Metapher? Beate Kutschke

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