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Rettungsbedarf. Szene aus „Sie leben! “ im Theater an der Parkaue, 2013.
© IMAGO

Berlins Kinder- und Jugendtheater in Not: Immer auf die Kleinen

Das drohende Aus für die Puppenbühne Hans Wurst Nachfahren zeigt: Berlins Kinder- und Jugendtheater leben prekär.

Es ist ein Ende mit Achselzucken. Gerade mal 25 Minuten verbleiben im Kulturausschuss, um die Causa Hans Wurst Nachfahren zu verhandeln. Punkt drei auf der Tagesordnung. Der traditionsreichen Puppenbühne droht nach über 20 Jahren am Winterfeldtplatz das Aus (siehe Tsp. vom 18. 6.). Der neue Eigentümer des Hauses an der Gleditschstraße 5 – der Musiker Jörg Hiller, der unter dem Künstlernamen Konrad Sprenger auftritt – will dort ein Tonstudio einrichten. Was tun? Gefunden wird, was der kulturpolitische Sprecher der CDU Stefan Schlede „die zweitbeste Lösung“ nennt. Das Theater darf seinen Spielbetrieb bis zum Ende der Saison 2014/2015 fortsetzen. Und muss nicht schon im Januar weichen. Die Theatermacher Barbara Kilian und Siegfried Heinzmann könnten also, so Schlede, „in relativer Ruhe ihren Platz räumen“. Prima. Ruhe ist ja immer gut.

Ein paar Fragen bleiben allerdings offen. Warum zum Beispiel hat sich der Senat nicht bemüht, die Immobilie – die immerhin Anfang der 90er Jahre mit 1,25 Millionen Euro für das Theater umgebaut wurde – selbst zu erwerben? Habe man ja versucht, entgegnet Kulturstaatssekretär Tim Renner. Allerdings sei das Haus über Verkehrswert angeboten worden, was einen Rattenschwanz an parlamentarischen Prozessen nach sich zöge. Und darüber sei leider die Frist zum Kauf verstrichen. Pech gehabt. Gibt es kein Ausweichquartier für die Künstler? Und ob, das Theater 89 hätte sich angeboten. Sagt Renner. Und rechnet gleich mal die geringe Luftliniendistanz zwischen Schöneberg und Moabit aus. Die dort ansässige Bühne von Hans-Joachim Frank bekommt ab 2015 keine Konzeptförderung mehr, da wird ein Platz frei.

Hans-Wurst-Leiterin Kilian beteuert allerdings, von dieser Option im Kulturausschuss zum ersten Mal gehört zu haben. Zuvor sei von Marzahn die Rede gewesen. „Da gibt es doch Kinder“, hätte es seitens eines namentlich lieber nicht zu nennenden Politikers geheißen.

Kulturelle Nutzungsbindungen laufen aus

Was Kilian aber auf die Palme bringt: dass jetzt so getan werde, als hätten sie und Heinzmann aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters ohnehin den verdienten Ruhestand antreten wollen. Kilian ist 62, Heinzmann wird 75. Aber beide würden tatsächlich gern noch viele Jahre den „Grüffelo“, den „Sängerkrieg der Heidehasen“, „Loriots Dramatische Werke“ und all die anderen Klassiker ihres Hauses spielen. Die nebenbei ungebrochen erfolgreich laufen. Im vergangenen Jahr hatte Hans Wurst Nachfahren über 25 000 Besucher. Aber noch ein Umzug? Nachdem man bereits vom Mehringhof an den Winterfeldtplatz migrieren musste? Das können und wollen die Theatermacher nicht.

Egal, wie man zur Kunst der Hans Wurst Nachfahren steht (denen 2008 schon mal eine vom Senat eingesetzte Jury wegen Verstaubtheits-Befund die Basisförderung streichen wollte); ungeachtet auch der Frage, ob es im Kulturbetrieb Bestandsschutz geben oder Altes öfter mal Neuem weichen sollte – der Fall ist ein Symptom. Immer mehr Gruppen und Häuser aus dem Kinder- und Jugendtheaterbereich haben mit Mieterhöhungen, unsicheren Standorten und Mittelknappheit zu kämpfen. Das seit 30 Jahren bestehende, nicht subventionierte Puppentheater Berlin in Charlottenburg musste vor einiger Zeit seinen Platz im heutigen Museum Berggruen räumen und konnte nur dank Lottomitteln das in eigener Initiative gefundene Ausweichquartier am Gierkeplatz errichten. Das Theater Morgenstern bangt aktuell um seinen Bestand, weil es 2015 seine Spielstätte im Rathaus Friedenau verlieren soll. Dort zieht dann die Steuerfahndung ein. Und im Gebäude des Theaters o. N. an der Kollwitzstraße läuft die kulturelle Nutzungsbindung 2016 aus, danach muss höchstwahrscheinlich ein neuer Ort gesucht werden. Eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Klar, das sind sämtlich kleine Bühnen, die oft genug durchs Aufmerksamkeitsraster fallen. Die sich aber gewachsener Beliebtheit bei ihrem Publikum erfreuen. Es gibt einen hohen Bedarf an gutem Kindertheater in Berlin, nicht nur in Marzahn.

Doch nicht mal bei den großen Häusern sieht die Lage zufriedenstellend aus. Das in aller Welt bekannte Grips-Theater kämpft noch immer mit einem Defizit von 50 000 Euro pro Saison und kann, absurd genug, weit weniger Kinder- und Jugendtheatervorstellungen spielen als gewünscht – die bringen nämlich kaum Geld ein.

Ungewissheit und Unterfinanzierung

Dem Musiktheater Atze wurde unlängst aus heiterem Himmel vom Bezirk Mitte der Mietvertrag gekündigt. Der drohende Rausschmiss aus dem Max-Beckmann-Saal konnte zwar abgewendet werden. Dafür ist der Etat der Bühne nach wie vor zu gering. 690 000 Euro pro Jahr – das klingt erst mal auskömmlich. Bedeutet angesichts des aufwendigen Betriebs aber, dass die Spieler nicht mehr als 120 Euro am Abend verdienen. Brutto, versteht sich. Das Theater Strahl wiederum, das seit Jahr und Tag in einem unattraktiven Jugendzentrum in Schöneberg beheimatet ist, muss mit ungewissem Ausgang für die Umbaufinanzierung seiner neuen Wunschspielstätte am Ostkreuz kämpfen. Und kommt mit 455 000 Euro im Jahr auch mehr schlecht als recht über die Runden.

Das Theater an der Parkaue schließlich – Berlins junges Staatstheater mit dem Flieger im Logo – steht zwar mit jährlichen Zuschüssen in Höhe von 5,5 Millionen Euro nicht schlecht da und bietet ein ziemlich reiches Programm. Aber um den Auftrag der kulturellen Bildung erfüllen und in nachgefragtem Maße in die Schulen gehen zu können, fehlen mindestens 200 000 Euro pro Jahr.

Sicher, man wird schwerlich ein Theater finden, das sich für ausreichend finanziert hält. Aber genauso gewiss ist auch, dass jeder Politiker in frommer Sonntagsrede die Bedeutung kultureller Bildung betonen wird. Nur kosten darf sie nichts. Wenn’s um die Kleinen geht, soll Ruhe herrschen.

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