Günter Grass als Zeichner: Im Zeichen der Tiere
Fisch und Schnecke, Hahn und Kuh, Spinne und Hund: Von Hause aus war der Nobelpreisträger für Literatur Günter Grass Bildhauer. Das Zeichnen und die Grafik waren sein Ausgleich – wenn ihn die Worte verließen.
Seine Bücher kennt alle Welt, seine Plastiken und Zeichnungen nicht so sehr. Günter Grass war mit mehreren Talenten gesegnet, das Schreiben war seine größte Begabung, die bildende Kunst hat er tatsächlich gelernt. 1947 absolvierte er eine Steinmetzlehre und studierte von 1948 bis 1952 an der Düsseldorfer Kunstakademie, später zieht er nach Berlin und nimmt an der Hochschule für Bildende Künste Unterricht beim Bildhauer Hans Hartung.
Die Arbeit an der Skulptur soll Grass tatsächlich das Höchste gewesen sein. Angeblich war es die einzige Tätigkeit, bei der er nicht rauchte. „Alles ist Auge und Raumgefühl, umgriffig, wunderbar“, sagte er 2007 in einem Interview über seine bildhauerische Arbeit.
Grass hat für nahezu all seine Bücher eindrucksvolle, suggestive Bilderzyklen angefertigt. Bereits seinen ersten Gedichtband „Die Vorzüge der Windhühner“ versah er mit eigenen Illustrationen, ein paar Jahre lang tauchten regelmäßig Hühner und Hähne in seinen Druckgrafiken und Tuschezeichnungen auf. Tiere, mit schnellen skizzenhaften Strichen ausgeführt, zählen zu seinen wichtigsten und berühmtesten Motiven, seine „Wappentiere“, wie er sie nennt.
Da gibt es zum Beispiel den fetten Butt, die dicke Kröte, die Schnecke, den Krebs und das berühmteste Motiv, die fiese Ratte, zu der sich der Künstler auch in Form von Selbstporträts gesellt. 1960 veröffentlichte Grass, damals in Berlin lebend, den Lyrikband „Gleisdreieck“ und wählte eine furchteinflößende, überlebensgroße Spinne, die vor einer Brücke sitzt, als Metapher für den im geteilten Berlin gelegenen U-Bahnhof. Und als er 1969 für Willy Brandt in den Wahlkampf zieht, da versucht er auch mithilfe von selbst gestalteten Plakaten Wähler zu überzeugen, berühmt ist der Hahn mit dem rotem Kamm, der „S-P-D“ kräht. Wenn man davon einmal absieht, waren Grass’ Zeichnungen immer mehr als pure Illustrationen. Sie stehen für sich und funktionieren auch jenseits der literarischen Geschichten, die er erzählt.
Romantiker als Vorbild
Grass’ Arbeitsweise ist eher an den Romantikern als am Multimediazeitalter geschult: Das Behauen der Worte und das Formen des bildnerischen Materials beeinflussen sich gegenseitig und ergeben zusammen ein Ganzes. Den Roman „Die Rättin“ soll der Literaturnobelpreisträger sogar als Skulptur angefangen haben. Dem Dichter kommt es damals in den Sinn, die ersten Passagen auf Tonscheiben zu ritzen, seinem Verleger beim Luchterhand-Verlag ruft er zu: „Ich schreibe jetzt auf Ton, überlegen Sie schon mal, wie man das binden kann!“
In seinem Atelier, einem ehemaligen Stall in der Nähe von Lübeck, gleitet Grass zwischen den Medien hin und her. Für jedes Gewerk hatte er einen eigenen Platz: fürs Schreiben, für die Zeichnungen, für das Formen des Tons. Wenn die Sprache nicht mehr ausreichte, hilft ihm der Zeichenstift. In Kalkutta, wo er 1986 für ein Jahr mit seiner Frau lebt, kann er die widersprüchlichen Eindrücke auf den Straßen, das Elend und die Not der Menschen am besten zeichnerisch verarbeiten. Der Bilderzyklus „Calcutta“, mit Kohle- und Filzstift ausgeführt, zeigt heilige Kühe, Leichen, die zum Verbrennen aufgestapelt wurden, Menschen, die auf der Straße schlafen, und das eigene abgeschlagene Haupt des Dichters neben einem Müllberg.
Anfang des Jahres waren Grass’ 2013 entstandene Radierungen zum Roman „Hundejahre“ in Berlin zu sehen. Grass hatte die Geschichte von Walter Matern und Eduard Amsel zur Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus 1963 zur Erstveröffentlichung illustriert und legte 50 Jahre später im Alter von 86 Jahren noch einmal nach. Die Hunde als Symbol der Nationalsozialisten sind dunkel und angsteinflößend wie damals, aber viel kryptischer. Grass’ Grafiken, Aquarelle, Zeichnungen und Skulpturen waren in Deutschland oft ausgestellt und sind es bis heute. Der Dichter und Demokrat verstand seine Kunst allerdings immer als Alltagsmedium, sie sollte zugänglich sein wie ein Buch, erschwinglich für jeden. Die horrenden Preise des Kunstmarktes lehnte Grass ohnehin ab, er ließ sich bewusst von einer kleinen Lübecker Galerie vertreten, wobei wahrscheinlich auch anderes für ihn möglich gewesen wäre.
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