Christian Krachts neuer Roman: Im Zeichen der Kokosnuss
Christian Kracht spürt mit seinem Roman „Imperium“ deutschen Kolonialsehnsüchten nach. Es ist die Geschichte des August Engelhardt, ein weiterer Vertreter im Krachtschen Kosmos, in dem Zvilisierte auf "exquisite" Barbaren stoßen
August Engelhardt war nicht einfach nur Nudist und Vegetarier. Er glaubte an die Kokosnuss, die er für die Krone der Schöpfung und den Stein der Weisen hielt. Also zog er aus, sein Leben der göttlichen Frucht zu weihen. Die Kokosnuss war ihm heilig, da sie so weit oben wuchs, dem Licht so nah, und alles Leben sich doch aus dem Licht speist. Deshalb hielt er auch das Gehirn für das edelste Organ, das seine Energie direkt über die Haare aus der Sonne saugte – genau wie die behaarte Frucht der Kokospalme.
August Engelhardt war, so könnte man sagen, ein Messias des Solarzeitalters, lange bevor es Solarmodule gab. Das deutsche Kaiserreich war ihm zu eng und zu fleischfressend. Also bestieg er am Beginn des 20. Jahrhunderts ein Schiff und reiste nach Deutsch-Guinea im Pazifik. In der Kolonie Neupommern erwarb er eine Kokosplantage, um fürderhin unter Menschenfressern als Kokovorist zu leben und nichts anderes als Kokosnüsse zu sich nehmen zu müssen. Fotos zeigen einen langhaarigen, bärtigen, sehr mageren Mann mit einem Tuch um die Hüften: eine messianische Gestalt.
Diesen August Engelhardt aus Nürnberg gab es wirklich, auch wenn sich seine Lebensgeschichte wie eine ins Absurde überdrehte Satire auf bizarre Aussteiger späterer Hippiedekaden und ihre jeweiligen Erlösungsfantasien liest. Erst vor einem Jahr hat der Autor Marc Buhl einen wenig beachteten Roman über Engelhardt geschrieben; jetzt hat auch Christian Kracht, Spezialist dafür, in tragischer Historie das Komische aufzuspüren, diesen Stoff für sich entdeckt. Im Zeichen der Kokosnuss spürt er dem „Imperium“ nach – den deutschen Kolonialsehnsüchten, die, so stellt er das dar, doch von vornherein nicht mehr als ein groteskes, zum Untergang verurteiltes Laienschauspiel hervorgebracht haben. In der Konfrontation von Zivilisierten und „exquisitester Barbarei“ erweisen sich bei ihm die Menschenfresser zumindest als die größeren Humoristen, wenn sie das Ohr eines Missionars kunstvoll knusprig rösten.
In seinem vorigen Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ hatte Kracht eine von Lenin regierte Schweizer Sowjetrepublik ins Zentrum Europas gestellt und von dort aus einen alternativen Geschichtsverlauf entworfen. In „1979“ hatte er einen an Langeweile leidenden Dandy aus den iranischen Revolutionswirren in ein fiktives Konzentrationslager in der Wüste expediert und Würmer fressen lassen, als wäre Geschichte ein großes Dschungelcamp. Sein Debüt „Faserland“ beschrieb 1995 die Wohlstandsverkommenheit einer gelangweilten Party-Szene der Gegenwart. Das war der Ausgangspunkt seiner Reise in die Abgründe der Geschichte, die er aus Versatzstücken der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts spielerisch und rein fiktiv neu zusammenfügte.
In „Imperium“ ist er nun noch weiter zurückgegangen und endlich bei der Realgeschichte gelandet. Er kann sie, mit einigen Ausschmückungen, so nehmen, wie sie ist, denn Absurderes als die Wirklichkeit lässt sich nicht erfinden. Christian Kracht erzählt Kolonialgeschichte als Abenteuerroman, als handle es sich um eine Seefahrergeschichte von Melville oder von Joseph Conrad. Doch sein Genre ist die Parodie. In diesem Fall schreibt sie sich fast von allein. Es ist allzu einfach, einen Kokosnussanbeter als lächerliche Figur vorzuführen.
Dass menschenfressende Südsee-Insulaner ziemlich lächerlich wirken, gehört zum Prinzip
Die Ereignisse, die in den Geschichtsbüchern stehen, bleiben dabei weitgehend ausgespart. Auf einer abgelegenen Insel im Pazifik beginnt selbst der Erste Weltkrieg, in dem die deutschen Kolonien zügig untergingen, nur als fernes Gerücht. Krachts abgeklärter Erzähler, der mit mildem Spott von jenseits der Zeiten spricht, schildert dieses Ereignis so: „Erst läuft also dieser Student Gavrilo Princip, nachdem er in Moritz Schillers Café hastig ein Schinkenbrot hinuntergeschlungen hat, hinaus auf die Straße jener kleinen, beschaulichen Stadt auf dem Balkan und schießt aus nächster Nähe, Stücke des Sandwichs noch im Mund, Brotkrümel noch im spärlichen Moustacheflaum, mit dem blanken Revolver mittenmang auf den verhassten Despoten und seine Frau Sophie. Dann kommt, gelinde gesagt, eins zum anderen.“ Nicht nur hier meint man, einen Film mit Buster Keaton oder ähnlichen Heroen des Absurden vor sich zu sehen. Komik ergibt sich immer wieder aus der Umkehrung von Hauptsachen und Nebensachen: Aufstieg und Niedergang von Weltreichen ist, gelinde gesagt, ohne Schinkenbrot und Krümel im Mund, nicht angemessen zu begreifen.
Kolonialherren und Eingeborene stellt er in etwa so dar, wie sie auf alten Zigaretten-Sammelbildern ausgesehen haben. Sie sind zu Witzfiguren umgebaute Klischees und sollen das auch sein. Dass menschenfressende Südsee-Insulaner oder indische Rikschah-Fahrer also ziemlich lächerlich wirken, gehört zum Prinzip. Das für Rassismus zu erklären, wie es Georg Diez gerade im „Spiegel" getan hat, heißt, aus einer ziemlich tauben Kokosnuss einen Skandal zu zimmern.
Bei Kracht wird alles zu Stil. Er erzählt selbst die groteske, tragische Lebensgeschichte des August Engelhardt weniger um der Story willen, als aus Lust an der Komik einzelner Situationen und Figuren und aus Freude an geschliffenen Sätzen. Seine Sprache passt sich den historischen Vorbildern an; sie ist jugendstilhaft gespreizt, betont altmodisch und ganz und gar parodistisch. Lustig ist das, auch wenn die Parodie gewissermaßen in der Luft hängt: Wer zielt da worauf und warum? Macht der Autor sich damit etwa über sich selbst lustig? Oder zielt er auf alle Glaubensanhänger von was auch immer, die noch nicht, wie sein spätgeborener Erzähler, zu den „Nichtgnostikern“ gehören? Der gebürtige Schweizer Christian Kracht ist der Weltbürger unter den deutschsprachigen Literaten. Bei seinen öffentlichen Auftritten bevorzugt er die Rolle des Dandys, der eine distinguiert-blasierte Gelangweiltheit zur Schau stellt. Aber das ist, wie alles, nur Attitüde, Stil und Distinktionsmerkmal. Literarisch gibt der parodistische Stil vor allem das eigene Darüberstehen zu erkennen. Was er „wirklich“ ist, was er verbirgt oder bedeutet, lässt sich nicht sagen. Vielleicht ja nichts als Leere.
Bei „Imperium“ handelt sich um eine der Kolonialzeit durchaus angemessene, arroganzgewürzte Herrenprosa, die sich an der eigenen Kunstfertigkeit erfreut, ohne Gefahr zu laufen, selbst in ihren Gegenstand verstrickt zu werden. So ist diese Abenteuergeschichte am Ende selbst nicht mehr als ein stolzer, nicht unflotter Dampfer, der die Wellen des Pazifiks durchpflügt, dort aber ganz bestimmt keinerlei Spuren hinterlassen wird.
Christian Kracht: Imperium. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012. 256 S., 18,99 €
Jörg Magenau
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