Gregory Porter live in Berlin: Im Zarten liegt die Kraft
Jazzsänger Gregory Porter zeigte bei seinem Konzert in der Berliner Philharmonie, dass er sich dem klassischen Kunstlied annähert.
Wie oft er sich wohl schon für den Einfall verflucht hat, diese abgrundtief hässliche Kappe mit den unterm Kinn zusammengeknoteten Ohrenklappen zu seinem Markenzeichen zu machen? Abgesehen davon, dass die Zuschauer dadurch kaum etwas von seinem Gesicht zu sehen bekommen – für keinen Musiker scheint es in Live-Situationen förderlich, wenn seine Hörorgane vollflächig abgedeckt sind. Von der Hitze, die sich im Scheinwerferlicht zwangsläufig unter der Kopfbedeckung entfaltet, mal ganz abgesehen.
Hoffentlich verhilft der Weltstar-Status, den Gregory Porter seit seinem 2013er Hit-Album „Liquid Spirit“ genießt, ihm bald zur Bekanntschaft mit einem Designer, der ihm Kappen aus besonders atmungsaktivem Hightech-Material maßschneidert.
Bevor sich aber der 45-jährige Mützenmann am Mittwoch seinen Fans in der restlos ausverkauften Philharmonie zeigt, schickt er erst einmal Avery Sunshine auf die Bühne. Eine Stimmungskanone, die sich flink hinters Keyboard schwingt und, begleitet von ihrem Gitarre spielenden Ehemann, den Leuten gleich mal mächtig einheizt. Wie sie da so mit ihren nackten Füßen durch die Luft rudert, während sich ihre prächtige Stimme in die Höhe schraubt, gleicht Mrs Sunshine einem Soul-Flummi. Zwei eigene Songs, dazu ein wenig Aretha Franklin und James Brown – und der Saal groovt. Sogar eine Gospel-Nummer bringt sie noch im halbstündigen Support-Gig unter, fleht um Frieden für die Welt – und darum, dass ihre Landsleute den Donald bitte, bitte nicht zum Präsidenten wählen mögen.
Die vierköpfige Band legt formidable Soli hin
Der Name Trump kommt Gregory Porter bei seinem anschließenden 90-Minuten-Set zwar nicht über die Lippen, wie politisch er denkt, hat er aber gerade im „Spiegel“-Interview klargemacht: Von alltäglichem Rassismus in den USA berichtet er da, wenn er beispielsweise mit seiner russischen Frau ins Restaurant geht und dort erleben muss, dass der Kellner ausschließlich mit ihr kommuniziert, weil sie die Weiße ist. Barack Obamas Amtszeit, erzählt er weiter, habe zwar dazu geführt, dass so mancher seinem „bisher verborgenen Wahnsinn freien Lauf“ ließ, doch Porter findet das positiv: „Es ist eine Chance für uns, an dieser Auseinandersetzung zu wachsen.“
Doch die Fans sind ja der Musik wegen in die Philharmonie gekommen – und sie wollen Spaß. Den bekommen sie auch, von Porter wie auch von den vier Jungs seiner Band, die formidable Soli hinlegen und außerdem en passant immer mal wieder kleine Anspielungen an fremde Hits aufblitzen lassen. Die schnellen Nummern haben Power, die Wände vibrieren, Porters Prachtorgan füllt die Halle bis in den letzten Winkel.
Der Klang wäre ohne Verstärkung besser
Und doch muss, wer ehrlich ist, zugeben: Seine betörende, breit strömende Kraft kann dieser Bassbariton dann am besten, am beeindruckendsten entfalten, wenn möglichst wenig um ihn herum passiert. Wenn sich der hibbelige, übernervöse Schlagzeuger mal zurückhält, dessen Gedengel sowieso viel zu laut ausgepegelt ist. Und überhaupt: Wozu braucht einer wie Porter in einem Saal wie der Philharmonie überhaupt eine elektroakustische Verstärkung?
Das bourgeoise Retro-Outfit, seine ritualisierte Opernsänger-Gestik, vor allem aber die Ernsthaftigkeit seiner Interpretationen rücken ihn deutlich Richtung Klassik. Als Singer/Songwriter-Jazz beschreibt er selber den Stil seines neuen Albums, das von Balladen dominiert wird. Echte Kunstlieder sind das, zeitgemäße Entsprechungen zu Brahms’ „Vier ernsten Gesängen“ oder Schumanns „Dichterliebe“.